Der Ingenieur Dirk Schütte* lebt seit sieben Jahren in seiner Parzelle eines Berliner Kleingartens – illegal. Doch das ist nicht die einzige Problematik, die ein Leben in der Laube mit sich bringt.
Von Carla Nyweide
Dirk Schütte sitzt auf seinem Sofa und arbeitet an einer Power-Point-Präsentation für seine nächste Geschäftsreise nach Thailand. Das Ledersofa steht im Wohnzimmer, der Küche, dem Büro und auf der Terrasse. Denn das Haus, in dem Dirk wohnt, ist eine umgebaute Gartenlaube. Die erlaubten 24 Quadratmeter hat er in Eigenleistung um eine überdachte Terrasse und einen zusätzlichen Anbau auf rund 50 Quadratmeter erweitert. „Seit ich ein richtiges Badezimmer und Schlafzimmer angebaut habe, kann man hier wirklich gut wohnen.“ Neben dem Sofa steht eine noch nicht ausgeräumte Tasche vom letzten Aufenthalt in Prag. Der 49-jährige ist beruflich mehrmals im Monat unterwegs: „Ursprünglich sollte die Kleingartenanlage eine Anlaufstelle sein, wenn ich mal in Berlin bin.“
„Ich bin ein Vagabund. Eigentum belastet mich.“
Mittlerweile wohnt Schütte seit 2017 dauerhaft in der Parzelle 48, illegal. Seit dem Jahr 1990 verbietet das Bundeskleingartengesetz das dauerhafte Wohnen in den Anlagen auch für die neuen Bundesländer. Zudem ist vieles, was das Wohnen erst ermöglicht, ohnehin nicht gestattet. Beispielsweise dürfen Strom-, Wasser-, und Abwasseranschlüsse nicht innerhalb der Laube nutzbar sein. Dirks Hütte zeigt, dass ihn diese Verbote nicht sonderlich interessieren. Ein Boiler im Badezimmer sorgt dafür, dass es nicht nur fließendes, sondern auch warmes Wasser gibt. An der Wand der Wohnküche ist eine elektrische Heizung installiert. Die Sanitäranlagen sind alle an das städtische Abwasser angezapft. „Das haben wir Dauerbewohner alles privat gelegt“, sagt Dirk, während er die Heizung eine Stufe höher dreht.
Es ist ein kalter, grauer Februar-Tag in Berlin. Schütte klappt seinen Laptop zu. Zeit für eine kleine Runde, zum Briefkasten und die Mülltonne zum Sammelplatz bringen. Die meisten Parzellen sehen durch die Monate der Abwesenheit ihrer Gärtner etwas verwildert aus. Doch in einigen Lauben brennt ebenfalls Licht: „Hier leben um die 30 Leute unter der Hand, 10 Parteien konnten vor 1990 kaufen und dürfen hier rechtmäßig wohnen.“ Dirk stellt seine Mülltonne vor der freistehenden Briefkastenanlage ab. „Manche sind ja ganz legal gemeldet und bekommen ihre Post. Wir anderen haben eben auch Wege gefunden, um unsere Pakete und Briefe hier zu kriegen“, erzählt er. Der Weg von der Straße zu seiner Parzelle ist nur mit Schotter befestigt, wie alle Wege der Anlage. Alle paar Meter sind tiefe Krater im Boden, die mit Regenwasser gefüllt sind: „Mensch, das geht so nicht. Da muss ich mal mit der Karin reden.“
Karin Menke* ist Dirks Nachbarin und lebt seit 1999 in der Kleingartenanlage. „Karin hat hier viele Jahre das Amt der Arbeitsministerin besetzt. Aber sie ist bis heute eine von denen, die immer mit anpackt, wenn etwas zu tun ist“, sagt Dirk. Er selbst ist seit dem letzten Jahr der Vorstand der Kleingartenanlage.„Sie haben keinen gefunden. Ich habe mich dann irgendwann breitschlagen lassen. Jetzt muss ich mich halt um solche Sachen wie die Wege kümmern.“ Er klopft an Karins Tür: „Karin? Bist du da?“ Seine Nachbarin lebt in einer deutlich einfacher gehaltenen Hütte als seine eigene. „Wir müssen mal wieder einen Arbeitseinsatz machen, um die Wege aufzuschütten. Da kann man ja gar nicht mehr richtig langfahren. Nächsten Samstag?“, fragt er. „Mit der mickrigen Strafe sind dit eh wieder nur ne Handvoll Leute, wenn’s jut läuft“, erwidert Karin. Pro Jahr müssen alle Kleingärtner fünf Arbeitsstunden für die Gemeinschaft ableisten. Wenn diese Pflicht nicht erfüllt wird, muss man pro Stunde eine Strafe von zehn Euro zahlen. Dirk zuckt mit den Schultern.
Währenddessen verschwindet Karin in ihrem Hasenstall, der mit einer großen Plane verschlossen ist. Neben den Kaninchen hält sie noch Gänse und Hühner auf einer umzäunten Fläche, die größer ist als ihre eigene Laube. Menke hält die Tiere, um sich selbst mit Fleisch und Eiern zu versorgen. Sie kommt aus dem Stall zurück mit einem großen Camouflage-Tarnnetz in der Hand: „Hilfste mir mal dit übern Stall zu legen. Wejen die Satelliten-Bilder.“ In der Vergangenheit musste schon mehrere Bewohner der Kleingartenanlage illegale Bauten, wie Carports, gepflasterte Wege oder eben zusätzliche Gebäude auf eigene Kosten zurückbauen, nachdem sie vom Bezirksverband entdeckt wurden. Begehungen durch den Bezirksverband, um die Anlage zu kontrollieren, finden nur selten statt. Aus diesem Grund vermuten Dirk und Karin, dass die meiste Recherche-Arbeit vom Schreibtisch aus stattfindet.
„Wenn ick dit n bisschen versteck, finden se mich vielleicht nich janz so schnell“
Nachdem der Stall fertig getarnt ist, geht Dirk durch das Gartentor zurück auf seine Seite. Es steht noch weitere Arbeit im Home-Office an. Er öffnet die Vodafone-App auf seinem Handy, um zu überprüfen, wie viel Datenvolumen sein mobiles Hotspot-Gerät diesen Monat noch hat. 183 GB von 200 GB verbraucht. „Entweder ich buch mir noch was dazu oder arbeite den Rest des Monats nur noch im Büro“, sagt Schütte. „Wir können ja hier vieles selbst machen, aber Festnetz und Internet verlegen geht nicht. Und die Netzanbieter machen das nicht in Kleingartenanlagen.“ Nach vielen weiteren E-Mails und Telefonaten tauscht Dirk den Arbeitslaptop gegen sein privates Tablet. Am nächsten Sonntag steht wieder die monatliche Vorstands-Sprechstunde an. Vorab schicken ihm die Bewohner ihre Anliegen, damit er sich darauf vorbereiten kann. „Ach die üblichen Verdächtigen wieder.“
„Der eine macht seinen spießbürgerlichen Garten und der andere so bisschen Freistil“
„Da gibt es dann beispielsweise Streitigkeiten um die Heckenhöhe oder den Grenzverlauf. Und dann tragen die das zu mir und ich soll das salomonische Urteil sprechen.“ Weitere Anmeldungen zur Sprechstunde gibt es bis jetzt nicht.
Dirk geht die wenigen Schritte bis zu seiner blauen Einbauküche und öffnet den Kühlschrank. Er schneidet die Kartoffeln vom Vortag in dünne Scheiben und gibt sie in die heiße Pfanne. Während das Essen brutzelt, tritt Schütte vor seine Haustür. Tief atmet er die kalte Luft ein. „Das ist schon herrlich, mitten in der Stadt einen Garten zu haben. Und dafür habe ich mir eben keine Million für ein Eigentum ans Bein gebunden. Ich bin ja eh selten hier“, redet Dirk vor sich hin.
In den vergangenen Jahrzehnten war der Ingenieur berufsbedingt in Afrika und Asien zuhause. Nur für Besuche kam er nach Deutschland. „Ich brauch auch jetzt, wo ich zurück bin nicht viel zum Leben. Individualität und Freiheit ist das Wichtigste.“ Während Dirk seine Bratkartoffeln verspeist, liest er einen neuen Artikel von rbb24 zum Thema Wohnungsnot in Berlin. „Das wird auch für uns hier noch zum Problem,“ sagt er. Der Kleingartenentwicklungsplan des Berliner Senats sah eigentlich schon für das Jahr 2020 vor, einige Kleingartenanlagen dem Erdboden gleichzumachen. Die Stadt benötigt Flächen für den Bau von Wohnungen, Schulen oder Sportplätzen. Der Senat hat den Bestandsschutz 2020 um ein weiteres Jahrzehnt bis 2030 verlängert. Die Kleingartenanlage, in der Dirk wohnt, fällt dabei unter die Entwicklungskategorie „Sonstige“.
Was diese Kategorisierung konkret bedeutet, ist unklar
Jedoch steht fest, dass die Anlage damit nicht zu „dauerhaft gesichert“, „dauerhaft zu erhalten“ oder „langfristige Nutzungsperspektive“ zählt. „Ich bin im Prinzip darauf vorbereitet, hier meine Taschen packen zu müssen. Aber immerhin dulden sie uns Dauerbewohner die letzten Jahre anscheinend noch. Traurig bin ich eh nicht, wenn ich das Shithole an der Spree verlassen muss“, sagt Dirk.
* Namen geändert
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