Die Diagnose, das Stigma und die Liebe

Sie schleichen sich ein wie ungebetene Gäste, oft unbemerkt, bis der Körper Alarm schlägt. Anfangs zeigen sich die Symptome für gängige Erkrankungen, wie bei einer Grippe. Doch dann wird klar, dass es weitaus mehr ist. Die Betroffenen schweigen, gefangen zwischen Scham und gesellschaftlichen Stigmata. Doch wie geht es Menschen, die eine solche Erkrankung überwunden haben oder ihr Leben lang damit konfrontiert sind? Erfahrungen aus dem Leben von Menschen mit Hepatitis-C und HIV.

Johanna Bender & Lena Englbrecht

Symbolbild für den Kampf gegen HIV | Foto: Ideogram AI

In Baden-Württemberg treffen wir Larissa in ihrer Wohnung. Entspannt sitzt sie auf der dunkelgrauen Couch im Wohn- und Essbereich – äußerlich keine Spur mehr von der Krankheit, die sie vor kurzem noch hatte: Hepatitis-C.

Während die Typen A und B durch Impfungen vorgebeugt werden können, gibt es gegen den C-Erreger, auch HCV genannt, bislang keinen präventiven Schutz. Die Krankheit bleibt oft unbemerkt im Körper und hält sich jahrelang im Verborgenen, bis die Leber bereits erheblichen Schaden genommen hat. Wenn es zu Beschwerden kommt, kann es schon zu spät sein: Leberzirrhose, Leberversagen oder Leberkrebs sind mögliche Folgen. Für manche Betroffene bedeutet dies: ein verzweifelter Wettlauf gegen die Zeit in der Hoffnung auf eine lebensrettende Transplantation.

Im Mai 2022 begann Larissas Hepatitis-C-Infektion. Juckreiz, Übelkeit und gelblich verfärbte Augen waren die Anzeichen. Der Kommentar eines Arbeitskollegen, der die gelbliche Verfärbung ihrer Haut bemerkte, brachte sie zum Nachdenken. Larissa vereinbarte sofort einen Termin bei ihrer Hausärztin, die die Dringlichkeit in Larissas Stimme erkannte und sie noch am selben Tag einbestellte. „Der Anruf am nächsten Morgen hat alles verändert“, erinnert sich Larissa. „Ich saß im Auto auf dem Weg zur Arbeit, als die Ärztin mich fragte, ob ich umkehren könnte. In dem Moment konnte ich gar nichts denken, gleichzeitig gingen mir wahnsinnig viele Gedanken durch den Kopf.“

Larissa, 29, hatte Hepatitis-C. | Foto: Lena Englbrecht

Larissa fuhr sofort ins Krankenhaus, wo sie sich intensiv mit ihrer Diagnose Hepatitis-C auseinandersetzen konnte. Fünf Tage lang fand sie sich in der Umgebung eines Krankenzimmers wieder, täglich wurden ihre Blutwerte kontrolliert um die Leberentzündung im Auge zu behalten. Hepatitis – ein Wort, das sie bisher nur am Rande wahrgenommen hatte, war nun plötzlich im Mittelpunkt ihres Lebens. Wie die meisten Menschen hatte Larissa nur vage Vorstellungen von dieser Krankheit, weshalb sie die Zeit im Krankenhaus nutzte, um sich mehr darüber zu informieren. Die Behandlung von Hepatitis-C erfordert Geduld. In der Akutphase lautet die ärztliche Anweisung schlicht: Abwarten, denn oftmals heilt die Krankheit innerhalb einiger Monate von selbst aus.

Was ist Hepatitis-C?

Hepatitis-C, eine Form der Leberentzündung, wird von Blut zu Blut übertragen, was das Ansteckungsrisiko im Alltag für die Meisten gering hält. Dennoch existieren zahlreiche Übertragungswege: Neben dem Teilen von Spritzbesteck bei Drogenkonsum können auch minimalinvasive Eingriffe bei Ärzt:innen, Kosmetiker:innen oder Tätowierer:innen zur Infektion führen, wenn die Hygienestandards nicht eingehalten werden. Deswegen sind Berufstätige im Gesundheitswesen oftmals betroffen.

Quelle: Hepatitis C

Unmittelbar nach Larissas Diagnose wollte sie Ihrem Umfeld nicht von Ihrer Infektion erzählen. Nach Ihrer Diagnose hat sie sich erst mal einen Stempel aufgedrückt, meinte Larissa: „Hepatitis-C, das bekommen ja eher Menschen, die keinen guten hygienischen Voraussetzungen ausgesetzt sind. Und dann habe ich das plötzlich.“ Die Vorurteile können nicht nur von außen kommen, sondern auch in einem selbst verankert sein.

Als Larissa sich ihrem Umfeld öffnete, waren alle total schockiert: „Niemand wusste so viel darüber, so ging es mir ja zu Beginn auch. Mich haben tatsächlich alle direkt sehr aufgefangen, haben gesagt, wenn ich irgendwas brauche, soll ich mich melden und dass sich alle auch ein bisschen mehr über Hepatitis-C informieren würden, weil sie gar nicht wissen, wie sie mir überhaupt helfen können. Alle waren sehr offen damit!” Die Erfahrungsberichte von anderen Hepatitis-Erkrankten, die sie während ihres Krankenhausaufenthaltes gelesen hat, suggerierten, dass vor allem ältere Betroffene mit Vorurteilen von außen konfrontiert werden. Dadurch kann es sein, dass ältere Menschen nicht so offen mit ihren Infektionen umgehen. Jegliche Erfahrungsberichte waren anonymisiert, was dafür spricht, dass noch viel Scham mit dem Thema verknüpft ist. Larissa sah sich Fragen ausgesetzt, wie sie zu ihrer Erkrankung gekommen ist. Sie wurde gefragt, ob sie in letzter Zeit tätowiert worden ist, Zahnarztbehandlungen hatte oder erste Hilfe leisten musste, bei der es zu Blutaustausch kam. In ihrem Fall blieb die genaue Ansteckungsursache ungeklärt, wobei ein einige Wochen zurückliegender Microblading-Termin, eine Augenbrauentätowierung, zeitlich in Frage käme.

Was sind die häufigsten Hepatitis-C-Vorurteile?

  • dass Hepatitis-C unheilbar sei.
  • dass man Hepatitis-C durch harmlose Alltagskontakte (bspw. aus der gleichen Flasche trinken) bekommt.
  • dass Hepatitis-C „das schlimmste Virus“ unter den Hepatitis Viren wäre (Hepatitis-D gilt als das aggressivste bekannte Hepatitisvirus. Auch chronische Hepatitis-B ist nicht harmloser als Hepatitis-C).

Quelle: Hepatitis A bis E: Was sind die häufigsten Irrtümer?

Normalerweise genießt Larissa Kochen und Essen, doch während der akuten Phase ihrer Hepatitis-C-Erkrankung war das kaum möglich. Nächtelang quälte sie sich mit Übelkeit und Erbrechen, verlor rapide an Gewicht. Kochen und essen wurde durch die Übelkeit zur Tortur. Die Kraftlosigkeit und Müdigkeit schränkten ihr soziales Leben ein, längere Treffen mit Freund:innen waren kaum möglich. Trotz ihrer Symptome ging sie weiter ihrer Arbeit nach. Lediglich während ihres Krankenhausaufenthalts zu Beginn ihrer Erkrankung pausierte sie.

Trotz der Herausforderungen, die ihre Infektion mit sich brachte und ihr Leben anderthalb Jahre auf den Kopf stellten, fand sie Wege, mit der Krankheit umzugehen. Neben ihrer eigenen Robustheit spielten dabei zwei Faktoren eine entscheidende Rolle: Zum einen ihre Ärzt:innen, die mit Engagement und Kompetenz an ihrer Seite standen. Zum anderen ihr soziales Umfeld, dass ihr vorurteilsfrei begegnete und Rückhalt gab. Doch nicht alle an Hepatitis-Erkrankten haben das Glück, auf solch umfassende Hilfe zurückgreifen zu können.

Für Betroffene ist die Suche nach Unterstützung oft schwierig. Die Deutsche Leberhilfe gilt als eine der wenigen Anlaufstellen für Hepatitis-Patienten. Beratungsstellen und Selbsthilfegruppen sind deutschlandweit verteilt. Tests für Hepatitis-C werden oft von AIDS-Beratungsstellen angeboten.

Larissas Weg zur Heilung war nicht einfach. geprägt von Rückschlägen und erneuten Hoffnungsschimmern. Nach einer Akutphase, in der ihr ein Arzt bestätigte, geheilt zu sein, folgte eine chronische Phase, die eine dreimonatige medikamentöse Therapie erforderte. Im November 2023 kam die erlösende Nachricht: Larissa ist Hepatitis-C-frei.

Von HCV zu HIV

Nach dem Besuch bei Larissa in Baden-Württemberg, geht es ans andere Ende Deutschlands. Genauer gesagt nach Berlin. Bastian Castillo, gebürtiger Berliner, ist 34 und hat seit 2013 das HI-Virus. Seine Geschichte zeigt, welche Fortschritte die Forschung in der Behandlung von HIV gemacht hat. Die heutige Lebensrealität von Infizierten in Deutschland ist weit entfernt von den düsteren Anfängen der AIDS-Krise der 80er Jahre.

Was ist der Unterschied zwischen HIV und AIDS?

HIV, ausgeschrieben Human Immunodeficiency Virus, ist eine Infektion, die bestimmte Zellen der Immunabwehr zerstört, die den Körper dadurch schwächt und anfällig für Erkrankungen macht, die bei nicht infizierten Menschen in der Regel unproblematisch verlaufen. Unbehandelt kann eine HIV-Infektion zu AIDS (Acquired Immunodeficiency Syndrome) werden.  Menschen mit AIDS bekommen häufig Lungenentzündungen und Pilzerkrankungen, gegen die der Körper sich dann nicht mehr wehren kann.

Quelle: AIDS und HIV

„Im Jahr 2022 lag die geschätzte Zahl der Neuinfektionen von HIV in Deutschland bei 1.900, im Jahr 2023 bei 2.200.“

Quelle: Epidemiologisches Bulletin 28/2024, 2024

Bastians HIV-Diagnose 2014 war ein Zufallsbefund, der seine Beziehung auf eine harte Probe stellte. Sein damaliger Partner und er wollten sich testen lassen, da sie beide vor ihrer Beziehung eine Erfahrung mit ungeschütztem Geschlechtsverkehr hatten. Die Diagnose traf ihn wie ein Schlag, er war sehr erschüttert und fiel mental in ein tiefes Loch. „ich war definitiv kurz nachdem ich die Diagnose bekam, wirklich sehr depressiv. Ich bin nach Hause, ins Bett und wollte einfach nur allein sein und weinen, weil ich einfach gedacht habe, okay, jetzt geht es einfach wirklich bergab mit meinem Leben.“ Doch er begann sofort mit der Therapie – tägliche Medikamenteneinnahme, die sein Leben seitdem begleitet.

Vor ein paar Jahren sah die Therapie für HIV-positive Menschen noch ganz anders aus. Die Therapie bestand aus täglicher Einnahme verschiedener Tabletten, die oft Nebenwirkungen wie starken Durchfall mit sich brachten. Allerdings geht es in der Forschung stetig weiter, neue Präparate zur Eindämmung und Behandlung von HIV wie Depotspritzen kommen auf den Markt. Diese Spritzen enthalten dieselben Wirkstoffe wie die Tabletten, müssen aber monatlich aufgefrischt werden. Diese Art der HIV-Medikation kann eine große Erleichterung für Erkrankte sein, die mit der täglichen Medikamenteneinnahme und damit der konstanten Konfrontation mit ihrer Infektion zu kämpfen haben.

Was ist PrEP?

Mittlerweile kann man sich präventiv nicht nur mit Kondom, sondern auch durch PrEP vor einer Ansteckung schützen. Die HIV-PrEP (Prä-Expositions-Prophylaxe) ist eine vorbeugende Maßnahme gegen HIV-Infektionen. Dabei nehmen HIV-negative Menschen regelmäßig ein Medikament ein, um sich vor einer möglichen Ansteckung mit dem HI-Virus zu schützen. Bei korrekter Anwendung reduziert PrEP das HIV-Infektionsrisiko um bis zu 99 Prozent, schützt jedoch nicht vor anderen sexuell übertragbaren Krankheiten. Im Jahr 2023 profitieren mindestens 30.000 Menschen von der Einnahme von PrEP.

Quelle: Alles Wichtige zur HIV-PrEP (aidshilfe.de)

Quelle: HIV-Prophylaxe PrEP könnte noch viel mehr Menschen schützen

Vorurteil über Vorurteil

Das Image, „dreckig“ zu sein oder viele wechselnde Partner:innen zu haben, sei weit verbreitet, sagt Bastian. „Das große Vorurteil ist, HIV ist eine Schwulenkrankheit, Schwulenseuche“. Mit ruhiger Stimme fügt er hinzu: „Das stimmt natürlich gar nicht, es gibt heterosexuelle Menschen, die auch HIV-positiv sind. Ja, es ist Fakt, dass eine größere Anzahl homosexueller HIV-positiv ist, aber das Virus sucht sich ja nicht irgendwelche speziellen Sexualitäten aus. Es kann bei heterosexuellen Menschen verbreitet werden wie auch unter homosexuellen Menschen.“

Auch Sarah Mandl, Sozialpädagogin der AIDS-Beratungsstelle in Passau, kennt einige dieser Vorurteile. Neben dem verbreiteten Stigma, dass die Krankheit „ja eher Homosexuelle betrifft“, herrsche oft die Fehleinschätzung, dass Frauen weniger von der Krankheit betroffen seien. Sie sagt außerdem: „Bei Frauen heißt es oft, sie hätten ein sehr umtriebiges Leben, da wird immer schnell davon ausgegangen, dass sie viele verschiedene Sexualpartner:innen hatten.“ Die Diskriminierung erstrecke sich jedoch auch auf andere Gruppen. Mandl erzählt auch, Menschen mit Migrationshintergrund sehen sich öfter mit dem Vorurteil konfrontiert, ihre Herkunft allein mache eine HIV-Infektion wahrscheinlicher.

Zurück nach Berlin zu Bastian. Er erzählt von den Herausforderungen des Datings nach seiner Diagnose. Seine „Experimente“ auf Dating-Plattformen, wie und wann er offen mit seinem HIV-Status umgeht, zeigten ein Dilemma: „Egal wie man’s macht, man macht es falsch. Wenn man offen damit umgeht, kommt ganz oft Ignoranz.“ Die Frage, wann man einen potenziellen Partner einweihen soll, bleibt bei jeder neuen Begegnung schwierig. Die Reaktionen auf Bastians HIV Erkrankung auf Dating-Plattformen sind zum großen Teil negativ. Für viele Männer war sie ein Grund, ein weiteres Kennenlernen oder eine Beziehung abzulehnen.

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Bastian hatte nach einigen Jahren das Bedürfnis, die Öffentlichkeit über HIV aufzuklären, um gegen die Stigmatisierung anzukämpfen. Als Teilnehmer der RTL-Dating-Show Prince Charming hatte Bastian ursprünglich geplant, die Plattform der Sendung zu nutzen, um seinen HIV-Status öffentlich zu machen und Aufmerksamkeit dafür zu schaffen. Ein früher Abschied aus der Sendung durchkreuzte diesen Plan. Doch statt aufzugeben, verlagerte er sein Anliegen ins Digitale. Er wurde durch seine Social Media Präsenz zum Sprachrohr für ein Thema, das trotz medizinischer Fortschritte noch oft mit Stigmata behaftet ist. Seitdem nutzt er die Reichweite sozialer Medien, um Einblicke in sein Leben mit dem HI-Virus zu geben. Auf Instagram klärt er seine über 7000 Follower:innen über die Infektionskrankheit auf und gibt beispielsweise reflektierte Rückblicke auf sein Jahrzehnt mit HIV.

Ein Plädoyer gegen Stigmatisierung

HIV und HCV – zwei Infektionskrankheiten, die trotz unterschiedlicher Verläufe eine Gemeinsamkeit haben: die Stigmatisierung ihrer Übertragungswege. Die Furcht vor Ansteckung durch Blut oder andere Körperflüssigkeiten macht Menschen Angst, obwohl die Übertragung meist nicht so einfach ist.

Die Geschichten von Larissa aus Baden-Württemberg und Bastian aus Berlin sind mehr als persönliche Schicksale. Beide appellieren an die Gesellschaft: Es braucht mehr Verständnis, weniger Stigmatisierung und mehr Aufklärung. In einer Zeit, in der die Medizin Meilensteine in der Behandlung von HIV und Hepatitis-C erreicht hat, hinken gesellschaftliche Wahrnehmungen oft hinterher. Doch Larissa und Bastian zeigen: Jedes offene Gespräch, jede geteilte Erfahrung hilft dem gesellschaftlichen Diskurs. Ihre Botschaft ist klar: Mit adäquater medizinischer Versorgung und einem unterstützenden Umfeld ist ein erfülltes Leben nicht nur möglich, sondern Realität.

Johanna Bender & Lena Englbrecht

Der Lebensmut und die Resilienz unserer Protagonist:innen hat uns tief beeindruckt und inspiriert. Umso schockierender war es zu erfahren, mit welchen hartnäckigen Vorurteilen und gesellschaftlichen Hürden sie immernoch konfrontiert werden.