Über den Mut, etwas zu wagen – die Macher von morgen
Das Programm Entrepreneurship inklusiv verwandelt die inklusive Ernst-Barlach-Schule in eine Ideenschmiede für junge Gründer:innen. Menschen mit und ohne Behinderung bekommen hier die Chance, eigene Geschäftsideen zu entwickeln und den Mut zu finden, Neues zu wagen. Hier wachsen Unternehmergeist und Inklusion und brechen gemeinsam gesellschaftliche Limitationen auf.
Judith Kalde & Michelle Müller
Entlang eines grünen Parkstücks erhebt sich hinter einer von Bäumen gesäumten Allee das Logo der Stiftung Pfennigparade. Befestigt ist es an einem großen, grauen Bau, der die Szenerie dominiert. Seine Außenfassade ist schlicht. Die Platten infolge der Witterung verfärbt. Völlig konträr wirkt das moderne, ovale Gebäude mit gläserner Frontfassade, das sich an die Seite des grauen Riesen reiht. Durch die Fenster kann man die Brüstung einer Rollstuhlrampe erahnen. Das bunte Banner am Eingang des Gebäudes verrät, dass es sich bei der modernen Konstruktion um die Ernst-Barlach-Schule handelt.
In der Schule fallen helles Licht und sommerliche Wärme durch die mobile, gläserne Decke bis in das Erdgeschoss. An der Garderobe hängen bunte Jacken mit wilden Mustern.
Ein Kinderrollstuhl lehnt zusammengefaltet an der Wand. Die Klassenzimmertüren sind noch geschlossen. Im Schulgebäude ist es ruhig, nur das leise Summen eines E-Rollstuhls ist auf dem gelben Vinylboden zu vernehmen. Felicitas Fischer und Veronika Moj bewegen sich die Rollstuhlrampe hinunter. Felicitas sitzt dabei im Rollstuhl, Veronika läuft.
Die Ernst-Barlach-Schule im Norden Münchens ist eine Bildungsinitiative der Stiftung Pfennigparade. Sie gehört zu den größten sozialen Stiftungen Deutschlands und engagiert sich für Menschen mit und ohne Behinderungen in den Bereichen Arbeit, Freizeit, Gesundheit und Bildung. Ihr Ziel ist die Förderung einer inklusiven Gesellschaft.
Veronika Moj ist eine engagierte, junge Frau. Sie arbeitet für die Stiftung Pfennigparade, die 2019 das Pilotprojekt eines Gründungsförderprogramms Entrepreneurship inklusiv an der Ernst-Barlach-Schule durchführte. Der erste Durchlauf des Programms war ein voller Erfolg. Thomas Heymel, Leiter der Abteilung Corporate Development der Pfennigparade, gründete daraufhin das Startup YourCapabilities. Unter dem Namen Entrepreneurship inklusiv finden seither zwei Mal im Jahr Gründerworkshops an der Ernst-Barlach-Schule und der Anna-Freud-Schule in Köln statt.
Felicitas, kurz Feli, hat bei dem letzten Durchgang im vergangenen Frühjahr 2024 an einem der Programme teilgenommen. Dort hat sie Veronika kennengelernt. „Unser Ziel ist es, dass junge Menschen mit und ohne Behinderungen lernen, dass sie eine inklusive Zukunft mitgestalten und sogar ein Unternehmen gründen können“, erklärt Veronika. Sie ist Co-Moderatorin und vermittelt den Schüler:innen die nötigen Kompetenzen, unterstützt und begleitet durch das Projekt. Zu Beginn des Workshops verläuft die Ideenfindung oft etwas holprig, offenbart Veronika. „Bei uns ist es anders als im Frontalunterricht. Die Schüler:innen müssen selbstständig arbeiten und ihre Ideen entwickeln. Sie können sich die Inhalte aussuchen, die sie wirklich interessieren. Anfangs gibt es Momente, in denen manche unsicher sind, ob sie das überhaupt schaffen können, ihre eigenen Ideen zu entwickeln. Man merkt dann aber recht schnell, wie begeistert alle von der eigenen Ideenentwicklung sind.“ Die Schüler:innen sind in diesen drei Monaten des Workshops nicht auf sich allein gestellt. Ehrenamtliche Mentor:innen der HypoVereinsbank stehen ihnen unterstützend zur Seite. Stiftung und Bank verbindet eine lange Partnerschaft.
„Wir setzen uns für eine frühe inklusive Bildung und Förderung ein, damit Berührungsängste mit gehandicapten Menschen erst gar nicht entstehen“
Michael Dietrich, damaliger Vorstandssprecher der HypoVereinsbank, PM 2022
Dabei profitieren beide Parteien. Die Mentor:innen und die Mentees. Veronika beschreibt diesen Aspekt des Workshops als sehr besonders: „Oftmals sind die Mentor:innen Menschen, die noch nie Berührungspunkte mit Menschen mit Beeinträchtigungen hatten.“ In ihrer Funktion als ehrenamtliche Betreuer:innen der Gruppen lernen sie, dass sie eventuelle Berührungsängste ablegen können. „Wir sind im Endeffekt alle ganz normale Menschen und haben alle unsere Macken und Probleme.“ Ein Lächeln huscht über Veronikas Lippen. „Diese Entwicklung zeigt uns, wie schnell und einfach Inklusion passieren kann. Unser größter Wunsch dabei ist dann natürlich, dass die Mentor:innen nach Hause gehen und sich künftig wünschen, in einem inklusiven Team zu arbeiten.“
Die Inklusion von Menschen mit Behinderungen in Unternehmen ist immer noch problematisch. Sie brauchen durchschnittlich länger, eine neue Arbeitsstelle zu finden, als Menschen ohne Behinderungen und sind darüber hinaus häufiger von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen. Feli ist dieses Problem nicht unbekannt. „Ich habe dreimal überlegt, ob ich direkt in die Arbeitswelt starten soll, habe mich aber letztendlich für das Abitur entschieden. Jeder soll sehen, dass ich mir echt Mühe gegeben habe.“ Feli ist willensstark und entschlossen. „Als Mensch mit Beeinträchtigungen muss man sich immer ganz besonders durchkämpfen und beweisen. Ich möchte in Bewerbungsgesprächen sagen können, dass ich alles erreicht habe, was auch Menschen ohne Beeinträchtigungen schaffen, und zeigen, dass ich die Beste für meinen Traumjob bin.“
YourCapabilities will den Schüler:innen zeigen, dass neben den klassischen Bildungswegen wie Studium und Ausbildung auch die Möglichkeit der Selbstständigkeit besteht. Veronika skizziert den Ablauf des Workshops: „Wir starten mit der Frage, was die Schüler:innen im Alltag nervt, und wollen dann wissen, wie diese Probleme zu lösen sind. Dadurch entstehen Ideen, die schließlich zu Projekten für mehr Barrierefreiheit werden, gesellschaftliche Inklusion unterstützen oder Hilfestellungen für Menschen mit psychischen Einschränkungen bieten. Die Projekte sind sehr vielfältig und knüpfen an eigene Problemfelder an.“ Auch Feli hat sich das im Workshop zu Herzen genommen. Auf ihrem Schulweg nutzt sie die öffentlichen Verkehrsmittel Münchens.
An diesem warmen Sommertag dringt angenehme Kühle aus der U-Bahnstation. Die Geräusche der Menschen vermischen sich mit dem Summen der Rolltreppen. Doch anstatt auf diese zuzusteuern, löst sich Feli vom Menschenstrom und biegt nach links in einen schmalen Gang ab, der sie zu einem Aufzug führt. Mit ihrem Handgelenk drückt Feli den silbernen Knopf, um den Fahrstuhl zu rufen. Sie atmet erleichtert auf, als sich die Mechanismen in Gang setzen und der Aufzug langsam nach oben fährt. „Ich bin auf die Fahrstühle an den Stationen angewiesen. Wenn ein Aufzug defekt ist, muss ich eine komplett andere Strecke wählen, was mich an schlechten Tagen mehr als zwei Stunden kosten kann.“ Am meisten stört Feli, dass sie nicht im Voraus wissen kann, welche Aufzüge funktionieren.
Im Rahmen von Entrepreneurship inklusiv entwickelt Feli gemeinsam mit ihren Mitschülerinnen ein Konzept für die App FreeWheel. Darin können Rollstuhlfahrer:innen vorab sehen, ob alle Fahrstühle funktionieren. Wenn dies nicht der Fall ist, wird ihnen eine Alternativroute angezeigt. Den Abschluss des Gründerprogramms markierte eine feierliche Veranstaltung in einem Theatersaal. Dort durften alle Gruppen ihre Ideen vor einer Jury präsentieren. Veronika erzählt begeistert von diesen Veranstaltungen: „Dabei zu sehen, wie viel Elan die Schüler:innen mitbringen können und wie begeistert sie sind, ist richtig schön und zeigt, wie stolz man auf seine eigenen Ideen sein kann.“
Felis Gruppe gewann mit ihrer Idee zwar keinen Preis, doch lässt sie sich davon nicht abhalten, zukünftig ihre App weiterzuentwickeln und ihre Visionen zu verwirklichen. „Die größte Herausforderung ist, dass es kaum Vorbilder gibt, an denen man sich orientieren kann“, erklärt Veronika. „Das führt natürlich auch dazu, dass die Schüler:innen nicht an sich selbst glauben.“ Das Team hinter YourCapabilities will diese Zweifel aufräumen und zeigen, dass in jedem Menschen Talent steckt. Auch Felicitas lässt sich nicht entmutigen: „Viele Menschen erwarten nicht, dass ein Mensch mit Beeinträchtigungen an so etwas arbeitet. Das löst auch in mir das Gefühl aus, mich drei Mal mehr beweisen zu müssen. Aber ich mache das Ganze auch genau dafür, dass es für alle anderen, die später gründen wollen, einfacher wird.“
Felis Worte tragen Hoffnung und Entschlossenheit, die sie antreiben, ein Vorbild für andere zu sein. Mit jedem Schritt, den sie geht, prägt sie eine Gesellschaft für mehr Gleichberechtigung und Inklusion. Sie hat den Mut gefasst, etwas zu wagen – eine echte Macherin von Morgen.
Doch nicht nur Feli gehört in die Welt der Macher von Morgen. Auch Yannick Andricek hat mit seiner Unternehmensgründung die gesellschaftlich festgesetzten Grenzen überwunden.
Michelle Müller & Judith Kalde
Uns hat allen voran die Lebensfreude unserer Protagonist:innen begeistert. Sowohl Feli als auch Yannick inspirieren uns durch ihren Mut für seine Träume zu kämpfen und niemals aufzugeben.
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