HIGH AUF HEILUNG
Wie MDMA die Psychotherapie revolutionieren könnte

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Lange Zeit als Partydroge abgestempelt, steht MDMA heute im Mittelpunkt einer medizinischen Renaissance. Weltweit erforschen ForscherInnen, wie die psychedelische Substanz tiefsitzende Traumata und psychische Erkrankungen heilen könnte. Auch in Deutschland setzen sich Forschende und TherapeutInnen bereits für die Zulassung von MDMA als Therapeutikum ein. Doch wie realistisch ist der Durchbruch wirklich? Und stehen wir tatsächlich vor einem Paradigmenwechsel, der die Psychotherapie revolutionieren könnte?
von Niklas Bailer, Leonie Ballauf, Julia Gasser und Elina Mensch
„Es ist, als würde man Therapie machen, während dich all deine Lieben umarmen, in einer Badewanne voller Welpen, die dein Gesicht abschlecken.“ Der US-Veteran Jonathan Leubecky lächelt, als er gegenüber dem „Economist“ seine Erfahrungen mit der MDMA gestützten Therapie (MDMA-AT) beschreibt. Nach seiner Rückkehr aus dem Krieg kämpfte Leubecky nicht nur gegen die Erinnerungen an den Einsatz, sondern auch gegen die Dunkelheit in sich selbst. Die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) machte sein Leben zu einem ständigen Überlebenskampf, und auch die besten Therapien zeigten keine Wirkung. Dann kam MDMA – eine Substanz, die bis dahin eher auf Partys als in Kliniken zu finden war. Was als letztes Experiment begann, veränderte sein Leben: Die kontrollierte Einnahme von MDMA öffnete Türen zu seinen Gefühlen, die ihm jahrelang verschlossen waren, und ermöglichte es ihm, Traumata zu verarbeiten, die ihn zuvor überwältigt hatten.
„Das Ziel war, Psychedelika zu mainstreamen.“
MDMA-AT soll die Behandlung der Posttraumatischen Belastungsstörung grundlegend verändern – eine Erkrankung, von der etwa sechs Prozent der US-Bevölkerung betroffen sind und die bei Kriegsveteranen noch häufiger auftritt. Leubeckys Geschichte steht exemplarisch für viele Veteranen, die sich öffentlich für die Legalisierung der MDMA-Therapie einsetzen – und damit eine ungewöhnliche politische Einigkeit herbeiführen. Wie der Anthropologie-Professor Nicolas Langlitz in einem Interview betonte, war es überraschend zu sehen, wie Demokraten und Republikaner in dieser Frage an einem Strang zogen: „Das Ziel war, Psychedelika zu mainstreamen. Mainstreaming bedeutet, politische Unterstützung auf beiden Seiten des amerikanischen Parteienspektrums zu bekommen. Und das ist auf breiter Front gelungen“, sagt Langlitz.
Die Forschung zu MDMA-AT wird maßgeblich von der Multidisciplinary Association for Psychedelic Studies (MAPS) vorangetrieben. vorangetrieben. Insbesondere die Studien MAPP1 (2021) und MAPP2 (2023) lieferten vielversprechende Ergebnisse: Bereits nach drei Therapiesitzungen erfüllten rund 70 Prozent der Teilnehmenden nicht mehr die Diagnosekriterien für eine PTBS – ein deutlich höherer Wert als in der Placebogruppe, die nur auf 32 bis 48 Prozent kam. Vorläufige Ergebnisse einer Langzeitbeobachtung deuten zudem darauf hin, dass die positiven Effekte der Therapie mindestens sechs Monate anhalten könnten. Und das offenbar gefahrlos: Von den bislang rund 1.700 Behandelten meldete MAPS nur einen Fall von schweren Nebenwirkungen.

Darstellung aus MAPP2 (2023)
Trotz dieser Erfolge erhielt die Therapie im August 2024 einen Rückschlag. Die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA) lehnte den Antrag auf Zulassung der MDMA-unterstützten Therapie ab. Das psychopharmakologische Beratungskomitee der FDA stimmte mit 10 zu 1 Stimmen gegen die Zulassung und führte methodische sowie sicherheitsrelevante Bedenken an. So wurde kritisiert, dass die Teilnehmenden möglicherweise wussten, ob sie zur Behandlungs- oder Placebo-Gruppe gehörten, was die Ergebnisse verzerrt haben könnte. Zudem fehle es weiterhin an langfristiger Forschung zu potenziellen Missbrauchs- und Herz-Kreislauf-Risiken.
Diese Zurückweisung unterbrach die Hoffnungen auf neue Behandlungsoptionen für PTBS, die seit über zwei Jahrzehnten stagnieren. Die Entscheidung der FDA stellt jedoch kein endgültiges Nein dar. Vielmehr ist sie ein Signal, die Forschung zu vertiefen und die methodischen Grundlagen zu stärken. Für die vielen Veteranen und Patienten, die sich von der MDMA-Therapie eine neue Chance erhoffen, bleibt der Traum von einer Zulassung in greifbarer Nähe – getragen von wissenschaftlichem Fortschritt und einem gesellschaftlichen Wandel, der zunehmend die Stimmen der Betroffenen berücksichtigt.
HISTORISCHER KONTEXT
Um die heutige Diskussion über MDMA einordnen zu können, ist es hilfreich, die historischen Hintergründe zu verstehen. Die folgende Grafik bietet eine Übersicht über die Meilensteine, die den Weg zu seinem aktuellen Einsatz in der Psychotherapie geebnet haben.

DER UMGANG MIT THERAPEUTISCHEM MDMA WELTWEIT
EUROPA: EIN VORSICHTIGER ANSATZ
Obwohl Nordamerika und Australien führend in Forschung und Umsetzung sind, wächst auch in Europa das Interesse am Einsatz von MDMA in der Psychotherapie. Doch groß angelegte Studien finden sich nur selten. Der Zugang der EU und ihrer Mitgliedstaaten lässt sich als vorsichtig und zurückhaltend beschreiben. Im Vergleich zu den USA, wo die klinische Erforschung von MDMA-AT stark vorangetrieben wird, scheint man hierzulande lediglich auf die Ergebnisse der US-Studien zu warten. Von europäischen Regierungsapparaten wird nur wenig Geld und Zeit in dieses Forschungsfeld investiert. Das bedeutet jedoch nicht, dass das Thema in der Wissenschaft hierzulande unbeachtet bleibt – im Gegenteil, die wissenschaftliche Diskussion wächst, wobei der Fokus eher auf den rechtlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen der neuen Therapieform liegt, als auf der Wirkung der Substanz selbst.
RISIKEN EINER NEUEN ÄRA
Auch in europäischen Forschungskreisen wird die psychedelisch unterstützte Therapie (PAT), darunter auch MDMA, bereits als neuer paradigmatischen Ansatz in der psychischen Gesundheitsbehandlung angesehen. Die Kernfragen aktueller Forschung dazu in Europa lautet: Welche Rahmenbedingungen sind notwendig, um PAT in die jeweiligen Gesundheitssysteme der EU-Staaten zu integrieren. Es wird versucht anhand von Ländern wie der Schweiz und den Niederlanden, wo MDMA bereits Anwendung in der Traumatherapie- bzw. Forschung findet, die Herausforderungen dieser neuen Therapieform zu identifizieren.
Dabei kam heraus, dass neben strikten Standards und einer behördlichen Überwachung der Praktiken, insbesondere die Ausbildung der TherapeutInnen sichergestellt werden müsste. In einer aktuellen Online-Umfrage unter führenden klinischen Forschenden äußerten 79% der Befragten die Sorge, dass unzureichend ausgebildete Therapeuten die Therapie nicht effektiv oder sogar schädlich anwenden könnten. Patienten in besonders vulnerablen Zuständen könnten bei falscher Handhabung erhebliche psychische Schäden erleiden.
DER SCHLÜSSEL – EINE SPEZIALISIERTE AUSBILDUNG

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Bevor MDMA PatientInnen zugänglich gemacht werden kann, ist es somit entscheidend, den praktizierenden TherapeutInnen eine spezialisierte Ausbildung zur Verfügung zu stellen. Rick Doblin, Gründer von MAPS, hat in diesem Bereich bereits hohe Ziele gesetzt. Vor zwei Jahren verkündete er auf der Plattform X, seine Organisation plane, bis 2030 insgesamt 25.000 TherapeutInnen für die MDMA-AT auszubilden.
100,000 is a very large number of therapists, but considering the millions of people with PTSD and depression, it’s not unreasonable. @MAPS aims to train 25,000 therapists in MDMA-assisted therapy for PTSD by 2030.@LAWeekly @Berkeley_Psyche @MichaelPollan https://t.co/mef7CJu9u9
— Rick Doblin, Ph.D., of MAPS (@RickDoblin) August 5, 2022
Wissenschaftlicher Konsens ist: TherapeutInnen, die in diesem neuen Bereich arbeiten, müssen über Kenntnisse verfügen, die weit über das übliche klinische Wissen hinausgehen. Dazu gehören psychologische Integrationstechniken, Sicherheitsprotokolle und ethische Richtlinien.
In Deutschland hat sich die MIND Foundation genau dieser Aufgabe verschrieben. Die gemeinnützige Stiftung mit Sitz in Berlin möchte neben der Forschung auch die Bildung im Bereich der psychedelisch assistierten Therapie (PAT) vorantreiben. Zu diesem Zweck bietet die MIND Foundation eine Vielzahl von Bildungsprogrammen, die einerseits der Ausbildung von Psychotherapeuten, aber auch der Aufklärung der Öffentlichkeit dienen.
Ein zentrales Angebot für TherapeutInnen ist das Augmented Psychotherapy Training, kurz APT-Programm. Augmentierte Psychotherapie nutzt gezielt veränderte Bewusstseinszustände, um therapeutische Prozesse zu intensivieren. In der psychedelisch-augmentierten Psychotherapie kommen dabei nicht nur Substanzen wie MDMA zum Einsatz, sondern auch Methoden wie Atemtechniken oder Stroboskoplichter. Das APT-Programm der MIND Foundation soll ÄrztInnen und PsychotherapeutInnen unterstützen, ihre Expertise in der psychedelischen Therapie zu erweitern – ein zukunftsweisender Schritt in der modernen Psychotherapie.
Hans Rutrecht, Psychologe und Hochschuldozent, gestaltet die Ausbildung von TherapeutInnen bei der MIND Foundation aktiv mit. Als Mitentwickler und Seminarleiter des APT-Programms verbindet er innovative Ansätze mit fundierter therapeutischer Praxis.
„Wir haben ein 15-monatiges Programm konzipiert, das drei Intensivwochen sowie Online-Klassen in den Zwischenphasen umfasst“, erläutert Rutrecht. Die Intensivwochen, die in Berlin stattfinden, bieten den Teilnehmenden nicht nur fundiertes theoretisches Wissen, sondern ermöglichen auch persönliche Erfahrungen mit den psychedelischen Zuständen, die sie später in ihrer therapeutischen Arbeit begleiten sollen. Rutrecht hält diese Selbsterfahrung für hilfreich und sinnvoll.
„ÄrztInnen und TherapeutInnen lernen, wie sie psychedelische Zustände und die damit verbundenen Erfahrungen gezielt in der Therapie nutzen können“, erklärt Rutrecht. Ziel der Weiterbildung sei es, den Teilnehmenden ein tiefes Verständnis dafür zu vermitteln, wie die während solcher Erfahrungen auftauchenden Themen – die oft eng mit der einzelnen Person verknüpft sind – im therapeutischen Kontext weiterverarbeitet werden können. Durch diesen praxisnahen Ansatz sollen die Teilnehmenden nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch erfassen, wie sie das Potenzial psychedelischer Erfahrungen wirkungsvoll in ihrer Arbeit mit PatientInnen nutzen können.
Training bei MIND: Wie wird man MDMA-TherapeutIn?
Neben der Nachsorge spielt auch eine fundierte Vorbereitung eine entscheidende Rolle bei MDMA-basierten Therapien. Nicht jede Person ist für diese Behandlungsform geeignet. Therapeutinnen und Therapeuten müssen nicht nur die allgemeine psychische Stabilität und Therapiefähigkeit ihrer Patientinnen und Patienten sorgfältig prüfen, sondern auch deren Lebensumstände genau betrachten. Nur durch eine umfassende Beurteilung kann festgestellt werden, ob die Voraussetzungen für eine psychedelisch assistierte Therapie gegeben sind und wie diese auszusehen haben.
Wer ist geeignet? Die entscheidenden Kriterien im Überblick:
Wie sieht eine PAT aus? Hans Rutrecht gibt einen tieferen Einblick:
INNOVATION UND SICHERHEIT IM GLEICHGEWICHT
Die Aussicht auf eine neue Ära der Psychotherapie mit MDMA lässt viele aufhorchen. Die Forschungsgemeinschaft erinnert jedoch daran, dass jede neue Methode ihre eigenen Herausforderungen mit sich bringt. Politik und Wissenschaft sind nun gefordert, schnell die richtige Balance zwischen Innovation und Sicherheit zu finden, denn der Durchbruch scheint nicht mehr weit entfernt.
Doch Hans Rutrecht mahnt: Psychedelika sind kein Allheilmittel. „Am Ende bleibt Psychotherapie immer Arbeit – mit oder ohne Substanzen,“ betont er. Vor diesem Hintergrund sei es essenziell, die Erwartungen von PatientInnen frühzeitig zu managen. Nur so könne verhindert werden, dass falsche Hoffnungen auf eine vermeintliche „Wunderpille“ entstehen.
Für die breite Öffentlichkeit mag MDMA-AT immer noch wie ein riskantes Experiment erscheinen, doch die wissenschaftliche Gemeinschaft ist überzeugt: Mit den richtigen Maßnahmen könnte es zu einem Hoffnungsträger für viele Menschen werden, die bisher keine wirksame Therapie für ihre psychischen Erkrankungen finden konnten.
Weitere Projekte, die zum Umdenken anregen findet ihr hier: PARADIGMA – Wissen am Wendepunkt
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