Aus der Provinz auf die große Bühne 

Zwischen Feld, Wald und Wiesen hegen die Talente der Nachwuchsleistungszentren in Straubing und Deggendorf den Traum von der Profisport-Karriere.

von Torge Windmüller und Theo Wöpking

Das einzige Landesleistungszentrum im Darts: Die Akademie in Straubing Quelle: Theo Wöpking

Daniel ist aufgeregt. Für ihn ist heute ein bedeutender Tag. Nach einer langen Autofahrt kommt er endlich an. Hier, inmitten von Maisfeldern, am Rande Straubings, befindet sich der Ort, an dem sein Traum wahr werden soll: Die Dartsakademie. Sein Ziel: Eines Tages Dartsprofi werden. „Wenn es gut läuft, dann will ich irgendwann in der Q-School spielen“, sagt der 15-Jährige selbstbewusst.

Was ist die Q-School?

Q-School

Bei der „Qualification School“ (Q-School) kann man sich eine sogenannte Tourcard erspielen, mit der man bei allen großen Turnieren im Dartsport teilnehmen kann

Ein großer Tag in der Akademie

An diesem lauen Samstag im Juli haben sich der 15-Jährige und seine sieben Teamkollegen aus ganz Südbayern in einem unscheinbaren Haus in Straubing versammelt. Eigentlich ist es nur der Anbau eines Wohnhauses. Ein grauer Betonklotz in einer verkehrsberuhigten Straße am Waldesrand, in dem man nicht unbedingt einen Trainingsraum erwarten würde. Als Parkplatz dient am heutigen Tag die großzügige Rasenfläche vor dem Haus. Nach und nach fahren immer mehr Eltern vor, bis um kurz vor zehn Uhr alle da sind. Zur Orientierung dient ein Schild: Landesleistungszentrum Darts prangt neben dem Eingang des Vereinsheims des Darts-Club Straubing, The Triple. Dort werden alle Kinder von den Trainern empfang Die Begrüßung verläuft freundschaftlich. Alle Spieler flachsen und lachen untereinander, was ein harmonisches Bild darstellt. In dieser kleinen niederbayerischen Stadt, die deutschlandweit eigentlich nur für Eishockey bekannt ist, hat der bayerische Dartverband (BDV) vor drei Jahren das erste und bis jetzt deutschlandweit einzige Landesleistungszentrum gegründet, das der DC Straubing betreut. „Zu der Akademie ist es durch eine Ausschreibung des bayerischen Dartverbandsgekommen. Wir haben uns beworben und letztendlich den Zuschlag bekommen”, erzählt Leiter Harald Buchwald stolz.

Von innen erinnert die Einrichtung eher an ein Sportgasthaus, in dem sich alle paar Wochen Hobbysportler in einem kleinen, dunklen Raum versammeln, um nach ein paar Kaltgetränken noch Pfeile zu werfen. Auf der einen Seite befindet sich eine Bar, auf der anderen Seite sind sechs Dartboards an der Wand angebracht. Gegenüber des Eingangs stehen fein aufgereiht auf einem an der Wand hängenden Regal Pokale, die der Verein seit seiner Gründung gewonnen hat. Drei- bis viermal im Jahr treffen sich hier junge Talente zwischen 13 und 17 Jahren, mit dem Ziel, irgendwann den Sprung in den Bundeskader zu schaffen.

Doch zunächst duellieren sich die Kinder am Dartboard. 

Nach jeder Aufnahme à drei Würfen tragen die Spieler die Punktzahl, die sie erzielt haben, in ein spezielles Computersystem ein. Dieses sogenannte Scolia-System analysiert das Wurfbild und die Leistungs-Historie der Spieler

Das Scolia-System. Quelle: Theo Wöpking

Auch Daniel ermittelt mithilfe dieses Systems seine Leistung. Die Spiele heute sind eng und seine Gegner verlangen ihm viel ab. Es kommt – wie so oft – auf die Doppel an.  

Was sind die Regeln beim Darts?

Dartsregeln

Beim Darts versucht man im Eins-gegen-Eins möglichst schnell 501 Punkte herunterzuspielen, bis man bei 0 angekommen ist. Zum Beenden eines Durchgangs muss ein Doppelfeld getroffen werden, das sich am Rande der Scheibe befindet.

Der erste Pfeil sitzt direkt. Daniel grinst und klatscht mit seinem Gegner ab. Im nächsten Satz stellt er sich wieder ein Doppel, doch dieses Mal verfehlt er sein Ziel. Daniel schüttelt leicht den Kopf. Beim Dartssport liegen Freud und Leid so nah beieinander wie bei kaum einer anderen Sportart. Ein Wurf am Doppelfeld vorbei kann den gesamten Spielverlauf auf den Kopf stellen, sofern der Gegner seinerseits dann das Doppel trifft. Das bedeutet einen enormen mentalen Druck für die Spieler in jeder Phase des Spiels. Doch Daniel hat in den letzten Jahren gelernt, damit umzugehen. Ich mache während des Spiels immer wieder Pausen. Dann merke ich auch, dass es danach viel einfacher geht.”

Ich mache während des Spiels immer wieder Pausen. Dann merke ich auch, dass es danach viel einfacher geht.”

Daniel

Bei der Ausbildung junger Talente geht es jedoch um mehr als nur Pfeile werfen. Die Trainer, die vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) ausgebildet wurden, setzen auch stark auf die Leistungsfähigkeit der jungen Spieler. Leistungssport hat auch immer etwas mit körperlicher Fitness zu tun. Es ist hilfreich, um bei längeren Spielen am Ende immer noch genauso gut werfen zu können wie am Anfang”, erklärt Athletiktrainer Axel Krauss, der normalerweise als Sportdirektor des Deutschen Dartsverbands (DDV) fungiert. Dies unterscheidet Straubing auch von den 659 übrigen Dartsclubs in Deutschland und widerspricht dem klischeehaften Bild des übergewichtigen Dartsprofis. Deswegen steht nach dem Einwerfen zunächst ein Drei-Kilometer-Lauf auf dem Plan. Daniel ist als einer der ersten fertig. Bei etwa 30 Grad Außentemperatur und der Mittagssonne sieht man ihm die Strapazen an. Doch das Lächeln in seinem verschwitzten Gesicht zeigt, dass ihm das Ausdauertraining Spaß gemacht hat. Zurück in der Akademie werfen die Spieler zunächst ein paar Pfeile, bevor es mit dem zweiten Teil des Fitnessprogramms weitergeht. Neben Dehnübungen stehen jetzt Liege- und Unterarmstütz auf dem Plan. Danach ist die Maßnahme auch schon wieder beendet. Die Verabschiedung verläuft mit vielen Umarmungen und Handshakes.

Auch Fitness spielt im Darts eine entscheidende Rolle Quelle: Torge Windmüller

„Man müsste mit den Kids natürlich mehr arbeiten, aber der Kalender der Jugendlichen ist ziemlich voll und wir haben natürlich auch unsere normalen Jobs“, sagt Axel Krauss. Dementsprechend können die Treffen in der Akademie, die seit 2022 offiziell als Landesleistungszentrum (LLZ) besteht, nur selten stattfinden. Finanziert wird die Ausbildung dabei größtenteils von den Fördergeldern des DOSB. Im Falle von Straubing bedeutet das, dass dort Trainer arbeiten, die eine DOSB C-Trainerlizenz besitzen. Das übergeordnete Ziel ist dabei die Förderung hoffnungsvoller Dartstalente, die in der Akademie ihren Traum von der Profikarriere leben. 

„Man müsste mit den Kids natürlich mehr arbeiten, aber der Kalender der Jugendlichen ist ziemlich voll und wir haben natürlich auch unsere normalen Jobs“

Axel Krauss

Für Daniel bietet die Akademie alle Voraussetzungen, die er für seine Entwicklung braucht. Sein Ziel für dieses Jahr steht fest: „Das wichtigste Turnier sind die German Masters. Da versuche ich ins Halbfinale zu kommen.“ Vielleicht schafft er eines Tages den Sprung zum Profi. Bisher ist das noch keinem Spieler der Akademie gelungen, weil es die Akademie noch nicht lange genug gibt. Die deutschen Darts-Spieler, die aktuell auf den größten Bühnen der Profitour stehen, waren auf ihrem Weg dorthin auf sich allein gestellt und mussten selbst entscheiden, welche Turniere für ihre Weiterentwicklung die richtigen sind.

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In Deggendorf rollt der Ball

Im Fußball-Nachwuchsleistungszentrum der Spielvereinigung Grün-Weiß Deggendorf hingegen hat man bereits Erfahrung in der Ausbildung von Profis. Als Paradebeispiel gilt Torwart Christian Früchtl aus Bischofsmais, der bereits Bundesliga-Erfahrung für Bayern München gesammelt hat und jetzt in Italien bei US Lecce spielt. Mit Franziska Kett hat es eine Spielerin aus Deggendorf sogar bis in den aktuellen EM-Kader der deutschen Frauen-Nationalmannschaft geschafft. Constantin Ecker ist einer der jungen Spieler, die einen ähnlichen Weg einschlagen wollen. Der junge Innenverteidiger spielt in der U17 und fährt jede Woche viermal die 20-minütige Zugstrecke aus Osterhofen nach Deggendorf zum Training. Er ist überzeugt davon, dort optimal trainiert zu werden. Das sieht auch der Bayerische Fußballverband so, der die Nachwuchsabteilung von Grün-Weiß im Jahr 2010 offiziell als Nachwuchsleistungszentrum ausgezeichnet hat. Diesen Status haben nur 16 Standorte in Bayern. Das moderne Campusgelände mit dem Donau-Wald-Stadion, einer Eishalle, Tennisplätzen und dem Fußballcampus von Grün- Weiß Deggendorf unterstreicht die Ansprüche eines Nachwuchsleistungszentrums.

Die aktive Jugendarbeit führt dazu, dass sich die U17 der Deggendorfer in der Bayernliga mit den Nachwuchsteams der großen Vereine wie Bayern München oder dem FC Augsburg misst. Obwohl der Verein gegenüber den Profiklubs im Nachteil ist. Nach den Regeln des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) können nur die Nachwuchsmannschaften der Amateurvereine aus dieser Liga absteigen. Dieser Umstand ärgert auch den U17- Trainer der Deggendorfer, Lukas Grzesik. Doch für ihn sind die Gegebenheiten in Deggendorf trotzdem ein Pluspunkt, da seine Spieler hier in einem ruhigen und familiären Umfeld arbeiten können. „Die Jungs müssen mit Freude ins Training kommen und mit Vorfreude aufs nächste Training gehen. Wir dürfen nicht vergessen, dass Spaß und Freude das ist, was den Fußball ausmacht.”

Die Jungs müssen mit Freude ins Training kommen und mit Vorfreude aufs nächste Training gehen. Wir dürfen nicht vergessen, dass Spaß und Freude das ist, was den Fußball ausmacht.”

Lukas Grzesik

Diesen Spaß vermitteln die Deggendorfer auch bei ihren Aufwärmübungen wie dem Hopserlauf, der bei unkonventioneller Ausführung, wie zum Beispiel einem Stolperer, für viele Lacher unter den Jugendlichen sorgt. Anschließend arbeiten die Deggendorfer Nachwuchstalente auf einem frisch gemähten Rasen an ihrer Frühform. Auf Kleinfeldern trainieren Constantin und seine Mitspieler das Pressing gegen den Ball. Constantin fungiert dabei als Aufbauspieler, das bedeutet, dass er als Innenverteidiger den Angriff aus der Abwehr heraus einleitet. Sein Mitspieler, zu dem er gepasst hat, bedankt sich mit erhobenem Daumen für die Vorlage.

Diese Szene steht sinnbildlich für das positive Miteinander im Verein. Auf der Webseite findet sich ein Verhaltenskodex, in dem Respekt, Ehrlichkeit, Teamgedanke und die „Geilheit auf Erfolg“ betont wird. Diese Richtlinien gelten für alle Spieler:innen, sowohl für die Jugend als auch für die ersten Mannschaften der Männer und Frauen. In Deggendorf gibt es zwar keine Frauenjugendmannschaften, aber Mädchen, die besonders talentiert sind, integriert der Verein bis zur C-Jugend in die Herrenmannschaften. Auch aktuell trainiert mit Sophia Lehner eine ambitionierte Spielerin in der U15 von Grün-Weiß. Doch während die Frauen den Verein nach der C-Jugend verlassen müssen, um sich woanders weiterzuentwickeln, können die Herren auch in den höheren Jahrgängen im Verein bleiben. Die talentiertesten Spieler zieht es allerdings in den meisten Fällen nach der Ausbildung zu größeren Vereinen”, sagt Lukas Grzesik. Die Spielvereinigung lebt neben Fördergeldern vom bayerischen Fußballverband (BFV) auch von Ausbildungsentschädigungen, die sie im Falle der Transfers erhalten. In einigen Fällen werben Profivereine die jungen Spieler bereits in der U13 ab.

Das Trainerteam: Lukas Grzesik (links) und Uli Kett (rechts) Quelle: Theo Wöpking

Der hohe Druck, der durch das immer frühere Scouting im Jugendbereich entsteht, wirkt sich auf die jungen Spieler aus. In Deggendorf wollen sie diesen möglichst geringhalten. Das Thema Eigenverantwortung wird in diesem Zusammenhang bei Grün-Weiß großgeschrieben. „Die Spieler müssen auf dem Platz die Probleme selbst lösen, deshalb müssen sie gewisse Probleme außerhalb des Platzes auch selbst lösen. Das ist genügend Druck für die Spieler, deshalb müssen wir ihnen nichts Zusätzliches an die Hand geben“, sagt Trainer Lukas Grzesik.

„Die Spieler müssen auf dem Platz die Probleme selbst lösen, deshalb müssen sie gewisse Probleme außerhalb des Platzes auch selbst lösen. Das ist genügend Druck für die Spieler, deshalb müssen wir ihnen nichts Zusätzliches an die Hand geben“

Lukas Grzesik

Constantin spürt den Druck, aber er begegnet diesem mit einer gewissen Lockerheit. „Man merkt das schon, aber ich gebe immer mein Bestes und dann kommt immer das Beste dabei raus.“ Er möchte eines Tages in die Fußstapfen seines großen Idols, Virgil van Dijk, treten. Ob er es schafft, seinen Traum zu verwirklichen, bleibt abzuwarten.

Torge Windmüller & Theo Wöpking

„Wir haben beide eine Leidenschaft für Sport im Allgemeinen und wollten einen tieferen Einblick in die Nachwuchsförderung im Sport bekommen und dabei eine Sportart miteinbeziehen, über die in der Nachwuchsförderung noch relativ wenig bekannt ist.“