Zwischen Machtlosigkeit und Mutterglück
Antonia und Henry sind überglücklich: Sie sind endlich Eltern geworden. Die Adoption scheint zu gelingen. Doch die leibliche Mutter des Babys, entscheidet sich um. Sie möchte ihr Kind zurück. Für Antonia und Henry der größte Tiefschlag ihres Lebens.
Wickeltisch, Windeleimer und vielleicht wäre eine neue Wandfarbe ganz schön. Plüschtiere, Strampler, Schnuller und ein Mobile, das über dem Bettchen hängt. Dieses ständige Gutenachtlied ist zwar nervig, aber was tut man nicht alles für sein Baby?
Das sind die ganz normalen Gedanken werdender Eltern. Eine aufregende Zeit. In den Büchern wird es auch ,,Nestbautrieb” genannt, den Frauen in der Schwangerschaft entwickeln. Sie haben das Bedürfnis, dem Baby im Bauch ein Heim zu errichten und ihr Kopf ist voller Pläne.
In Antonias Umfeld gibt es viele schwangere Frauen, die ihr von solchen Gestaltungsplänen erzählen. Sie möchte das auch. Der Weg dahin ist der vielleicht schwierigste, den sie gehen wird. Sie erzählt mir ihre Geschichte.
Verliebt, Verlobt, Verheiratet, Familienglück
Es ist 2013 und Antonia arbeitet im Krankenhaus. Feierabend. Statt nach Hause zu fahren, geht sie heute noch mit ein paar Kollegen in die Stadt. Mit einem davon versteht sie sich besonders gut. Die beiden lernen sich kennen und treffen sich immer häufiger. Kurze Zeit später sind Henry und sie ein Paar. Die Leidenschaft zum Sport verbindet die Beiden: Henry geht oft ins Fitnessstudio, Antonia ist seit ihrer Kindheit im Hockeyverein. Zusammen gehen sie gerne ins Fußballstadion und jubeln für ihre Lieblingsmannschaft, dem FC Kaiserslautern. Im Laufe der Jahre merken sie, dass sie füreinander bestimmt sind. Beide mögen es, Zukunftspläne zu schmieden: eine Familie gründen, Kinder, Haustiere, Familienurlaub. Im Jahr 2016 macht Henry ihr einen Heiratsantrag und die Hochzeit folgt kurz darauf. ,,Schon bevor wir geheiratet haben, haben wir uns Kinder gewünscht. Aber alles in der Reihenfolge: zuerst heiraten, dann Kinder kriegen.”
,,Ich fühlte mich nicht als Frau“
So sollte es sein. Nach der Hochzeit vergehen Monate, in denen Antonia versucht, schwanger zu werden. Wieder und wieder zeigt sie Henry den negativen Test. Das Thema Kinderwunsch ist in der jungen Ehe jeden Tag präsent und wird allmählich zum Alltagsstress. Monat für Monat erlebt das Paar einen neuen Tiefschlag, wenn die Periode kommt. ,,Irgendwann hat sich alles nurnoch darum gedreht und unsere Ehe belastet”, erzählt sie. Diese Tiefpunkte hält sie nicht mehr aus, deswegen entscheidet sie sich, zum Frauenarzt zu gehen. Dort werden verschiedene Untersuchungen durchgeführt.
Für Antonia bestätigt sich der Verdacht, den sie seit Wochen versucht zu unterdrücken. Der Arzt vermutet, dass ihre Eileiter nicht durchgängig sein könnten. Außerdem liegt ihre Gebärmutter nicht richtig und mit ihren Hormonen könnte auch etwas nicht stimmen. ,,Die Diagnose war ein Schock. Ich fühlte mich als Nichtsnutz, nicht als Frau. Nach dem Motto: Ich kann noch nicht mal Kinder kriegen.”
Für weitere Tests müsste Antonia operiert werden. Jeder Eingriff in den Körper kann Folgen haben, denkt sie sich. Außerdem ist gerade Lockdown, die Welt befindet sich in der Corona- Pandemie. Darum möchte Antonia das Krankenhaus so gut es geht meiden. Es beginnt eine schwere Zeit für das junge Ehepaar: Beratungstermine in der Kinderwunschklinik, viele Arztbesuche und im Hintergrund sitzt noch immer der Schock über die Unfruchtbarkeit. Henry bleibt positiv und begleitet seine Frau überall hin. ,,Er ist schon immer ein Optimist gewesen. Für mich war das was anderes. Es ging so weit, dass ich ihm gesagt habe er soll sich eine andere Frau suchen. Eine, mit der er Kinder haben kann”. Gleichzeitig weiß Antonia, dass er das nie machen würde. Aber der Gedanke lässt sie nicht los.
,,Wir haben viel geredet, das war sehr wichtig. Irgendwann haben wir uns gefragt: Was ist, wenn es nie klappt? Welchen Weg können wir gehen? Wie gehen wir damit um?” Antonia verbringt die Abende vor dem Laptop und sucht nach einem Plan B. Sie recherchiert viel im Internet, sammelt Informationen von künstlicher Befruchtung bis Leihmutterschaft. Eine Möglichkeit spricht sie besonders an: Adoption. Antonia bestellt sich ein Buch zu diesem Thema und gibt es Henry mit den Worten: ,,Du kannst dir das mal anschauen, danach reden wir darüber.” Zwei Wochen später machen sie sich auf dem Weg zu einem Beratungsgespräch im Jugendamt.
Kind bedeutet Kuscheltier
Henry hat das Buch gelesen, das Antonia ihm gegeben hat. Auf dem Weg zum Jugendamt war er aber noch skeptisch. Die Frau der Adoptionsvermittlungsstelle klärt sie über das Adoptionsverfahren auf. Antonia beschreibt es als ein unverbindliches und zwangloses Gespräch. Die Frau erzählt ihnen, dass das Adoptionsverfahren aus vielen Etappen besteht: Seminare, Einzelgespräche und Hausbesuche. Sie erklärt, wie es in solchen Seminaren abläuft und welche Voraussetzungen die Eltern haben müssen. ,,Nach dem Gespräch sind wir aus dem Gebäude gegangen, haben uns angeschaut und gesagt: Das machen wir!” Kurz darauf folgt der zweite Termin im Jugendamt. Das lange Adoptionsverfahren beginnt.
Antonia und Henry verbringen die Abende damit, einen Lebensbericht zu schreiben und sich auf Gruppenseminare vorzubereiten. Dort bekommen sie jedes Mal Hausaufgaben auf. Einmal sollen sie zeigen, was ,,Kind” für einen persönlich bedeutet. Antonia bastelt zuhause stundenlang an einem Plakat, das sie plant mitzubringen. ,,Ich habe im Gruppenseminar dann mein Plakat präsentiert, sehr ausführlich. Als Henry dran war, musste ich lachen: er hat zur Präsentation einfach nur ein Kuscheltier dabei gehabt. Das war auch okay, jeder kann mitnehmen, was für einen Kind bedeutet.”
Während des Adoptionsprozesses ist sich das Paar nicht immer einig. ,,Man muss eine Art Kindprofil erstellen. Sagen, was man will, was nicht. Wir haben beide schwere körperliche Behinderungen ausgeschlossen, weil wir darauf nicht vorbereitet sind. Henry hat zuerst Kinder aus Vergewaltigung ausgeschlossen, ich nicht. Wir mussten über viele Punkte reden. Das wichtigste ist, dass man in allen Gesprächen ehrlich zueinander ist”. Nach vielen Gesprächen, Hausbesuchen und Seminaren sind Antonia und Henry endlich auf der Warteliste.
Auf der Warteliste- was jetzt?
Am Ende des erfolgreichen Bewerbungsverfahrens im Adoptionsprozess werden die Paare auf eine Warteliste gesetzt. Hierbei geht es nicht um eine Nummer. Man versucht, Kinder den passenden Eltern zuzuordnen. Das bedeutet, dass manche Paare vielleicht nur wenige Wochen auf ein Kind warten. Andere hingegen Monate oder Jahre.
Sind passende Eltern gefunden, ist das Kind entweder bereits auf der Welt, oder nicht. Grundsätzlich sollen die Adoptiveltern nicht bei der Geburt dabei sein. Bringt eine Frau ein Kind zur Welt, dass sie zur Adoption freigeben möchte, wird es nach der Geburt in eine Kinderklinik verlegt. Dort dürfen die Adoptiveltern das Baby in Empfang nehmen. Üblicherweise muss das Neugeborene in der Klinik bleiben. Die Adoptivmutter darf gegebenenfalls die Nacht ebenfalls im Krankenhaus in der Nähe des Babys verbringen.
Neun Monate bis zum Anruf
Wie lange wird es wohl dauern, bis sich das Jugendamt meldet, fragen sich die beiden. Die Antwort: neun Monate. ,,Der Moment, in dem das Jugendamt angerufen hat, war einfach nur verrückt. Unbeschreiblich”, erzählt Antonia. Sie lernen die schwangere Frau kennen, erzählen sich gegenseitig voneinander und machen ein Foto zusammen. Außerdem erfahren sie den Namen des Jungen, der bald ihr Sohn sein sollte. Ein paar Wochen später klingelt wieder das Telefon. Die Geburt beginnt, das Paar soll sofort in die Kinderklinik kommen. Auf dem Weg dorthin kommt es anders: Die leibliche Mutter des Kindes entscheidet sich, das Baby noch zwei Tage bei sich in Krankenhaus zu behalten.
,,Es war alles ein bisschen komisch, aber es sah trotzdem so aus, als würde sie das Kind abgeben wollen. Natürlich hatten wir da noch Hoffnung”, erklärt Antonia. Zwei Tage später ist es tatsächlich so weit. Antonia verbringt die Nacht im Krankenhaus. Am nächsten Tag bringt Henry seine Frau und seinen Sohn nach Hause. Wenn Kinder das erste Mal zuhause sind, beschreiben Eltern das häufig als den Moment, der ihr Leben verändert. Antonia und Henry geht es auch so. Sie bringen ihren Sohn in das liebevoll eingerichtete Kinderzimmer und versuchen sich an die neue Situation zu gewöhnen. Endlich Eltern zu sein war Antonias Traum. Fünf Tage später, Henrys Handy klingelt. ,,Ich vergesse diesen Gesichtsausdruck nie. Sein Blick hat alles verraten. Er musste gar nichts mehr sagen.”
Fünf Tage Eltern sein
Die leibliche Mutter des Kindes hat sich umentschieden. Für das Paar bricht eine Welt zusammen. Die Welt, in der sie endlich eine Familie haben. ,,Es war Verzweiflung. Es fühlte sich an, als sei mein Kind gestorben.”
Die Mitarbeiterinnen des Jugendamts kommen kurz darauf zu ihnen nach Hause, um das Baby mitzunehmen.
Zwei Tage verbringt Antonia in ihrem Bett und Henry im Fitnessstudio. Ihre Eltern sind angereist, packen die Kinderkleidung weg und bauen alles im Kinderzimmer ab. Das kann Antonia nicht mehr sehen. Sie beschließen gemeinsam, einen Psychiater aufzusuchen und anschließend ein paar Tage wegzufahren.
,,Der Schlüssel lag darin, viel zu reden“
Eine Woche Urlaub, nach der Antonia und Henry entscheiden möchten, ob sie weiterhin auf dem Weg der Adoption bleiben, oder nicht. ,,Der Schlüssel, das Ganze zu verarbeiten, lag darin, viel zu reden. Schauen, ob man noch auf dem selben Nenner ist.”
Sie beschließen, die Zeit im Urlaub ganz für sich zu nutzen. Danach will sich Antonia trotz Bedenken im Uterus operieren lassen und nochmal von vorne anfangen, falls es mit der Adoption nicht klappt. ,,Selbst nach der ganzen traumatischen Zeit, habe ich die Hoffnung auf ein Kind nicht aufgeben wollen.”
Sie sitzen im Auto nach Hause. Das Handy dient als Navi. Als es klingelt, geht Antonia ran. Das Jugendamt möchte die beiden zum Gespräch bitten. Vor lauter Aufregung vergisst sie zu fragen, wofür das Gespräch sein soll. ,,Es hätte ja sein können, dass sie nochmal wegen der geplatzten Adoption sprechen wollen. Ich hab mich nicht getraut zu denken, dass es ein Kindervorschlag sein könnte.”
Adoption in Zahlen
Die Statistik zeigt, dass die Anzahl der Adoptionen in Deutschland in den letzten Jahren vorwiegend konstant geblieben ist, nachdem sie zwischen 1993 und 2009 deutlich zurückgegangen ist. Im Jahr 2021 wurden in Deutschland insgesamt 3.843 Kinder und Jugendliche adoptiert.
Plötzlich geht alles ganz schnell
Amelie ist geboren. Sie ist jetzt 8 Wochen alt. Das bedeutet, dass die Einwilligung der leiblichen Eltern bereits vorliegt. Antonia und Henry erfahren im Jugendamt von Amelie. ,,Plötzlich ging alles ganz schnell. Sie ist kurz nach unserer geplatzten Adoption geboren.” Sie lernen außerdem den Vater des Kindes kennen, der ihnen erzählt, warum er sich nicht um das Baby kümmern kann. ,,Wir haben uns natürlich unglaublich gefreut, aber wir waren vorsichtiger und haben die Emotionen nicht zugelassen.” Antonia und Henry dürfen zur Bereitschaftspflegemutter fahren, bei der Amelie seit der Geburt wohnt. ,,Wir hatten sofort Elterngefühle. Wir haben darüber gesprochen, was Amelie mag und was nicht. Wie sie so drauf ist. Am nächsten Tag durften wir unsere Tochter mit nach Hause nehmen.”
Fast zwei Jahre alt ist Amelie jetzt. Vor kurzem hatte die Familie einen Termin im Gericht. Seitdem trägt Amelie auch Antonias und Henrys Nachnamen.
Antonia machte auf dem Weg des Kinderwunschs eine traumatische Erfahrung. Das leibliche Eltern ihr Kind zurückhaben wollen, sobald es schon in der Adoptivfamilie ist, kommt in Deutschland selten vor. Ein paar Tage nach der gescheiterten Adoption postet Antonia auf Facebook:
,,Die Liebe zwischen zwei Menschen lebt von den schönen Augenblicken. Aber sie wächst durch die schwierigen Zeiten, die beide gemeinsam bewältigen.”
Ich:
,,Welchen Rat willst du Paaren geben, die sich für Adoption interessieren?”
Antonia:
,,Man sollte trotz der ganzen Aufregung und Hoffnung versuchen entspannt zu bleiben und sein Leben weiterzuleben. Es bringt nichts, sich nur auf das Thema zu fokussieren. Natürlich ist das leichter gesagt als getan. Es ist nicht nur wichtig ehrlich zueinander zu sein, sondern auch zu sich selbst.”
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