Nur zwei Prozent der deutschen Künstler können von ihrer Kunst leben. Über junge Künstler, die in der Kunstszene nach Aufmerksamkeit suchen und einen Wettbewerb, der sie ihnen geben will.
Von Paul Burgmeier
Wer Kunst sehen will, der geht zur Sparkasse. Wenn es um die Hauptgeschäftsstelle der Sparkasse Passau geht, stimmt dieser Satz. Ausnahmsweise. In dem Gebäude sind Kunstwerke der Gewinner:Innen des Junge Kunst Wettbewerbs der Sparkasse zu sehen. Der Wettbewerb findet alle zwei Jahre statt. Gekürt werden jeweils drei Sieger, einer aus jeder der drei teilnehmenden Regionen Niederbayern, Oberösterreich und Tschechien. Die Preisträger stellen dann gemeinsam in der Passauer St. Anna Kapelle aus. Hubert Huber hatte die Idee für den Wettbewerb, dessen Ziel es ist, jungen Künstlern aus der Region eine Bühne zu geben. Hubert ist selbst Künstler und Vorsitzender des Berufsverbandes bildender Künstler Niederbayerns. Er ist eine feste Größe der Kunstszene.
„Sebastian ist ein genialer Maler“
Der 66-Jährige führt zur Ausstellung. Am Ende einer Treppe sieht man das erste Kunstwerk. Darauf zu sehen ist augenscheinlich eine Familie. Vater, Mutter, Tochter und Sohn – alle in schwarz-weiß – setzen sich in einer bizarr anmutenden Komposition vom türkisenen Hintergrund ab. Der Vater packt den Kopf des Sohnes, glücklich schaut keine Figur aus. „Fürchtet euch nicht!“ heißt das Gemälde von Sebastian Gessenharter. Er ist einer der drei Sieger des Wettbewerbs 2020. „Sebastian ist ein genialer Maler, einer der besten, die ich kenne“, sagt Hubert in seinem niederbayrischen Dialekt. „Er malt wie die Künstler der Renaissance, beschäftigt sich aber mit aktuellen Themen.“ Sebastian malt aus Leidenschaft, aber nicht nur in seinem Atelier. Plein Air Malerei heißt es, wenn er mit Staffelei, Keilrahmen, Pinsel und Farbe loszieht, um in der Natur zu Malen. „Da kommen Momente der Selbstvergessenheit, alle Sinne werden angesprochen“, schwärmt Sebastian. Eine romantische Vorstellung des Malens. Die dabei entstandenen Bilder nimmt der 34-Jährige als Anstoß für Kompositionen seiner Atelierarbeiten. Fotovorlagen benütze er nie. „Deswegen schleichen sich beim Malen Fehler ein.“ Darüber ist der 34-Jährige sogar glücklich. „Es grenzt die Werke von Fotokollagen ab“.
Die Sieger des Wettbewerbs wählt eine elfköpfige Jury unter der Leitung von Hubert. Darunter sind Vertreter:Innen aus allen drei teilnehmenden Ländern. „Wir entscheiden durch Abstimmungen“, erzählt Hubert. In nur zwei Stunden müssen sich die Juroren für drei der circa 50 Bewerber:Innen entscheiden. Jeder Bewerber sendet eine Biographie und zehn Fotos von seinen Werken ein. In der ersten halben Stunde machen sich die Juroren einen Überblick über die Arbeiten. „Dann wählen wir Runde für Runde die Bewerber:Innen raus, die nicht als Preisträger:In in Frage kommen“, so Hubert. „Am Ende kommt es auch darauf an, dass die Sieger in der Ausstellung gut zusammenpassen. Fair sind wir nie!“ Hubert meint damit die Jury. „Es gibt zu viele Kandidat:Innen, die den Preis verdient hätten.“
Kunst inmitten des Bankgeschäfts
Zurück in der Sparkasse betritt Hubert den eigentlichen Ausstellungsraum. Ein unerwarteter Kontrast wartet dort. An den Wänden hängen unzählige Gemälde, im Raum stehen Skulpturen aller Art. Holzfiguren, Metallskulpturen, sogar eine Figur aus Kehrbesen. Man will in aller Ruhe die Werke bewundern, die Zeit vergessen. Doch dann schlägt der Bankalltag zurück. Angestellte eilen von einem Büro ins nächste, besprechen sich, scherzen untereinander. Es dauert, bis sich ein Gleichgewicht zwischen der eiligen Atmosphäre der Arbeitenden und der ruhigen, kraftvollen Ausstrahlung der Kunstwerke eingestellt hat. Hubert erläutert die Kunstwerke. Zu den meisten Künstler:Innen hat Hubert bis heute Kontakt. Er ist zufrieden mit den ausgewählten Siegern. „Wir haben nie einen Fehler gemacht“, sagt er, während er stolz die Kunstwerke betrachtet.
Auf einem Tisch mitten im Raum steht ein Fernseher. Bald sollen darauf die Werke einer Videokünstlerin laufen. Die Digitalisierung hat die Kunstszene verändert. Für Hubert ist insbesondere die digitale Präsentation der Kunstwerke entscheidend. Die Pandemie hat den Prozess noch verstärkt. „Wenn man nicht im Internet zu finden ist, existiert man nicht“, so der 65-Jährige, der selber einen Instagram- und einen YouTube-Account, sowie einen Online-Shop hat. „Gekauft hat da zwar noch niemand was“, Hubert lacht, „aber er wird gesehen. Und das ist entscheidend, besonders für junge Künstler“.
Ist seine Kunst mit kapitalistischer Vermarktung vereinbar?
Sebastian, der sich als „sehr analogen Typ“ beschreibt, hat kein Interesse an einer digitalen Präsentation seiner Werke. Seine Zukunft als Künstler ist ungewiss. Bei einer Ausstelleng in einer Kirche beschäftigte er sich erstmals konkret mit dem Christentum. Das habe ihn berührt und verändert. „Ich bin mir unsicher, ob die kapitalistische Vermarktung meiner Kunst mit meiner neuen, philosophischen Sicht aufs Leben vereinbar ist“, so Sebastian. Er will nach einer Phase der Selbstreflexion entscheiden, wie der Weg des Künstlers Sebastian weitergeht.
Im Kontrast dazu legt der Stuttgarter Künstler Jan Hagmann viel Wert auf seinen Netzauftritt. „Um meine Bilder in Szene zu setzen, mache ich zusätzlich zu guten Fotos kleine Videos und Interviews, in denen ich meine Kunst erkläre“, erzählt Jan. Das lohne sich, da man über soziale Medien eine größere Reichweite erzielt.
Jan nennt sich seit Herbst letzten Jahres Künstler. „Da habe ich meine ersten Werke verkauft und meine volle Energie in die Kunst gesteckt.“ Jan malt, sowohl physisch als auch digital. Kunst studiert hat er nicht. Gerade für Künstler:Innen sei es am wichtigsten, tagein tagaus an den künstlerischen Fertigkeiten zu arbeiten. „Wenn das Bild gefällt, wird niemand Fragen, ob der Künstler studiert hat“, erklärt Jan. Dafür, dass das Bild am Ende gefällt, investiert Jan viel Zeit. In seinem Atelier malt er oft stundenlang.
Am Anfang seiner Werke steht ein Erlebnis oder ein Gedanke. Mit dieser Grundidee beginnt Jan zu Malen. Zu Beginn laufen oft schnellere Songs. Im Takt des Beats setzt der 24-Jährige die ersten Pinselstriche. Jan ist ein schneller Maler. „Es entsteht eine Hassliebe mit dem Bild“, erzählt er. „Ich bin dann total im Tunnel, vergesse alles um mich herum. Ich spüre keinen Hunger, keine Kälte.“ Leute, die vorbeikommen, schickt Jan weg. „Ich bin grad im Flow“, sagt er nur. Wenn Jan malt, entsteht eine große Sauerei. Alles in seinem Umkreis – inklusive ihm – wird bunt. Nach mehreren Stunden, wenn das Bild größtenteils fertig ist, lässt Jans Konzentration nach. „Dann stürzt alles über mich ein, ich spüre Kälte und Hunger, aber auch Dankbarkeit.“ Am nächsten Tag kommt er dann zurück, um die Details herauszuarbeiten. Jetzt läuft langsamere Musik, Jan setzt die Pinselstriche deutlich bewusster.
Künstler werden selten einfach so „entdeckt“
Auch wenn das Bild fertig ist, hört die Arbeit der Künstler:Innen noch nicht auf. Sie müssen ihre Bilder vermarkten. „Ein Künstler ist ein Ein-Mann-Unternehmen“, erklärt Hubert. Idee, Umsetzung, Präsentation und Verkauf muss ein Künstler unter einen Hut bekommen. Renommierte Künstler haben Netzwerke, in denen sie immer wieder verkaufen können. Junge Künstler müssen sich das erst aufbauen.
Um Aufmerksamkeit zu bekommen, sollten sich junge Künstler auf vielen Wettbewerben bewerben und ihre Kunst professionell im Netz präsentieren, sagt der 65-Jährige. So erlange man Bekanntheit in der Kunstszene. „Man muss proaktiv seine Möglichkeiten suchen“, erklärt Jan. „Es wird niemand auf dich zukommen und fragen, ob du bei ihm ausstellen willst.“ Seine erste Soloausstellung hat er selbst organisiert. „Ich habe die Ausstellungsräume gemietet und meine Werke auf drei Stockwerken präsentiert“, erzählt er stolz. Das war Jans bisher aufwendigstes und erfolgreichstes Projekt.
„Wer seine Kunstwerke nicht selbst Vermarkten kann, der sollte sich einen Galeristen suchen“, meint Hubert. Galeristen haben ein großes Kaufpublikum und steigern so die Verkaufschancen der Werke. Dafür nehmen sie einen Teil des Verkaufspreises. In den meisten Fällen suchen sich aber Galeristen die Künstler aus, Künstler haben da nicht die Wahl.
Ist Jan schon „jemand?“
Horst Stauber betreibt mit „Horst Stauber Glas und unabhängige Ausstellungen“ die älteste Galerie Passaus. „Ursprünglich wollte ich neben meinen Gläsern Freunde aus Wien und aus Italien ausstellen lassen“, erzählt Stauber. „Die Fühler waren dennoch in der Gegend ausgestreckt.“ „Mehr als ein Konzept“ müsse hinter den Kunstwerken der Künstler stehen, die bei Stauber ausstellen. „Ein Künstler muss neue Sichtweisen, neue Ideen und neue Einflüsse mitbringen.“ Laut Stauber hat die künstlerische Erziehung einen großen Einfluss auf die Kreativität. Er arbeitet immer nur mit einem Künstler zusammen. „Große Galerien gibt es bei uns nicht“, sagt Hubert. Die Ausstellungsmöglichkeiten sind begrenzt. „Dennoch stehen die Erfolgschancen junger Künstler in Passau besser. In Berlin musst du schon Jemand sein, um ausstellen zu können.“ Ist Jan schon Jemand? Er deutet zumindest an, dass man seine Werke bald in der Hauptstadt bewundern kann.
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