Jung und mächtig

In jungen Jahren in einer Führungsposition zu sein ist ungewöhnlich. Bürgermeister einer Kleinstadt, Geschäftsführer eines Konzertveranstaltungsunternehmens, Leiter einer Tennisakademie – mit Mitte 20. Wie haben Kristan von Waldenfels, Ludwig Söll und Lukas Maric das geschafft? Und wie gehen sie mit der Macht um, die diese Positionen innehaben?

Kristan von Waldenfels

Ludwig Söll

Lukas Maric

Von Lennard Janßen und Andreas Schuder

Ein groß gewachsener junger Mann betritt das Rathaus in Lichtenberg. Mit freundlichem Gesichtsausdruck läuft er durch die Gänge und begrüßt die Mitarbeiter*innen. Angekommen in seinem Büro legt er sein schwarzes Jackett ab und setzt sich hinter seinen Schreibtisch. Sein Büro ist eher schlicht eingerichtet. Nur ein paar Bilder der Stadt Lichtenberg schmücken die Wand. Der 23-Jährige trägt eine Jeans und ein hellblaues Hemd. Auf dem Schild vor seinem Büro steht: Erster Bürgermeister – Kristan von Waldenfels. Gut 200 Kilometer entfernt sitzt Ludwig Söll gerade beim Mittagessen in Regensburg. Ebenfalls in seinem eigenen Büro in einem Veranstaltungsunternehmen. Neben seinem Schreibtisch, auf dem sich haufenweise Dokumente stapeln, steht ein Klavier. An der Wand hängen Bilder verschiedener Musiker*innen, viele davon aus der klassischen Musik. Mit 23 Jahren ist er passionierter Klassik-Fan und kann seine Leidenschaft mit dem Beruf verbinden. An seiner Tür steht: Geschäftsführer. Die beiden jungen Männer haben eins gemeinsam. Bereits im jungen Alter befinden sie sich in Führungspositionen. Wie kam es dazu?

Rathaus Lichtenberg. Von Waldenfels wirkt mit seinen 23 Jahren sehr reif und scheint seinem Alter deutlich voraus zu sein. Es ist nicht unbedingt die optische Erscheinung, sondern vielmehr sein selbstbewusstes Auftreten und seine überlegte professionelle Art, sich auszudrücken. Er sitzt aufrecht und mit breiten Schultern an seinem Schreibtisch. Hört man ihm zu, dann möchte man fast zynisch anmerken, er spricht wie ein typischer Politiker. Jedes Wort ist gut überlegt, kaum Versprecher und auch kein Spielraum für falsche Interpretationen. Man könnte fast meinen, dass von Waldenfels sein Leben lang nichts anderes gemacht hat, als Politiker zu sein. Im Jahr 2020 wurde er mit gerade mal 19 Jahren Bürgermeister der Stadt Lichtenberg im oberfränkischen Landkreis Hof mit rund 1000 Einwohnern. Bis vor wenigen Jahren war er der jüngste Bürgermeister Deutschlands. Bereits in der Schule hat er als Klassen- und Schülersprecher bemerkt, wie viel Spaß es ihm macht, im Team Projekte zu entwickeln und umzusetzen. Dass ihn sein Weg mal in die Politik führen wird, war seinem Umfeld schon recht früh klar: „Meine Freunde und Familie haben immer gesagt: So wie der Kristan spricht, geht der mit Sicherheit mal in die Politik. So klar war mir selbst das von Anfang an nicht. Ich wollte auch mit Zwölf mal Spion und Astronaut werden. Im Laufe meiner Schulzeit hat sich dann aber immer mehr das Berufsziel Politiker herauskristallisiert.“ Nach dem Abitur wurde er mit 18 Jahren verstärkt in der CSU aktiv und Ortsvorsitzender der Stadt Lichtenberg. Als dann die Frage kam, wie man sich für die Kommunalwahl aufstellen möchte, entschied sich von Waldenfels als Bürgermeister zu kandidieren.

Kristan von Waldenfels beim Fassanstich. (Foto: privat)

„Das ist erstmal auf sehr großes Unverständnis gestoßen. Einen solch jungen Kandidaten gab es vorher einfach noch nicht“

Diese Idee stieß anfangs zunächst auf Skepsis, auch aufgrund seines jungen Alters. In einer Vorstandssitzung im Frühjahr 2019 sprach er seine Kandidatur das erste Mal an: „Das ist erstmal auf sehr großes Unverständnis gestoßen. Einen solch jungen Kandidaten gab es vorher einfach noch nicht“, erzählt der 23-Jährige gewohnt selbstbewusst mit kräftiger Stimme, wirkt dabei aber dennoch etwas nachdenklich. Viele konnten sich zu Beginn nicht vorstellen, dass ein 18-Jähriger ihre Gemeinde leitet. Auch wenn dieser Gegenwind von Waldenfels zu Beginn doch zugesetzt hat, wie er selber sagt, war Aufgeben keine Option. Gerade vom Landrat und von seinem heutigen stellvertretenden Bürgermeister bekam er Rückendeckung: „Irgendwann hat keiner mehr auf mein Alter geachtet, sondern darauf, was ich eigentlich kann. Das hat mich natürlich sehr gefreut und war ganz wichtig für die nächsten Schritte zur Bürgermeisterwahl.“

Neben seinem Beruf als Bürgermeister studiert von Waldenfels Volkswirtschaft und Philosophie an der Universität Bayreuth. Aktuell schreibt er seine Bachelorarbeit. Eine Doppelbelastung, die für den 23-Jährigen durchaus eine Herausforderung darstellt: „Mittlerweile bin ich am Ende des Studiums und kann mir meine Zeit flexibel einteilen. Auch die Online-Lehre während der Corona-Pandemie hat die Situation für mich vereinfacht. Als Bürgermeister hat man zwar flexible Arbeitszeiten, aber es gibt quasi keine Feiertage oder Wochenenden. Klar ist das herausfordernd, doch ich bin mit voller Leidenschaft Bürgermeister und habe großen Spaß an meinem Beruf.“ Sein Tagesplan ist eng getaktet. Nach seiner Ankunft morgens im Büro stehen meist Außentermine oder bürokratische Arbeit auf dem Programm. Oft verlässt er abends als Letzter das Rathaus, weil sich noch Papierberge auf seinem Schreibtisch angestaut haben.

Es birgt durchaus auch ein Risiko bereits in so jungen Jahren eine solch große Verantwortung zu tragen, wie Dr. Bernd Deininger, Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, erzählt: „Es besteht die Gefahr, dass der junge Mensch das Gefühl hat, schon alles erreicht zu haben und deshalb Ziele für ihn weniger greifbar werden. Zudem kann es schneller zu einem Überforderungssyndrom, Burn-out und einer Depression kommen, da die Verantwortung oft wegen mangelnder Lebenserfahrung manchmal zu groß ist.“

Kristan von Waldenfels im Gespräch mit einer Bürgerin. (Foto: privat)

Von Waldenfels Ziel als Bürgermeister ist es, die Stadt Lichtenberg für junge Familien attraktiver zu machen und auch den Fokus stärker auf den Tourismus zu legen. Als Oberhaupt der Gemeinde ist es sein Job, die Bürger*innen zusammenzuführen. Auch für die grundlegenden Dinge wie Wasserversorgung oder Straßenbeleuchtung ist der 23-Jährige verantwortlich. Gerade als junger Amtsinhaber sind Führungsqualitäten und Selbstbewusstsein das A und O: „Als Bürgermeister ist es unter anderem meine Aufgabe, Arbeitsgruppen zu leiten und Termine zu koordinieren. Ich muss als Bürgermeister voran gehen und bei meinen Mitarbeitenden als Vorgesetzter eine positive Stimmung verbreiten. Nur so ist ein angenehmes Zusammenarbeiten möglich.“ Gerade zu Beginn habe ihm das Personal im Rathaus bei der Einführung sehr geholfen. Aber auch Kolleg*innen aus der Politik, die schon etwas mehr Erfahrung hatten, sorgten für eine schnelle Eingewöhnung. Er sieht in seinem jungen Alter den großen Vorteil, dass er insbesondere am Anfang viele Fragen stellen konnte: „Als junger Mensch traut man sich das mehr als als älterer Mensch. Viele denken, man kommt laienhaft rüber, wenn man viele Fragen stellt. Das ist aber nicht so, sondern die anderen Menschen erkennen vielmehr, dass du interessiert bist und wirklich wissen willst, wie es geht. Ganz nach dem Motto: ‚Wer nicht fragt bleibt dumm.‘“

Von Waldenfels möchte mit jungen und kreativen Ideen die Stadt Lichtenberg weiterbringen. Er sieht es als positiven Effekt, dass in Lichtenberg einem jungen Bürgermeister die Möglichkeit gegeben wird, seine Ideen umzusetzen. Doch er weiß auch, dass das nur im Team funktioniert. Für ihn, aber auch für seine Kollegen, sei es dabei nicht wichtig, wie alt man sei, woher man komme oder welches Geschlecht man habe. Dieser Teamgedanke ist für junge Führungskräfte essenziell sagt Dr. Deininger: „Wenn ein junger Mensch fähig und in der Lage ist, im Team zu arbeiten und seine eigenen narzisstischen Vorstellungen zu hinterfragen, ist das ein großer Gewinn.“

„Gerade am Anfang wurden mir viele Türen vor der Nase zugeschlagen und die Leute waren skeptisch.“

Insgesamt arbeiten sieben Mitarbeiter*innen unter von Waldenfels Führung. Alle, wenig überraschend, älter als er, nicht selten sogar doppelt so alt. Dieser Altersunterschied ist mitunter herausfordernd. Für den jungen Bürgermeister ist jedoch nicht das Alter entscheidend, sondern die Energie, mit der Vorhaben umgesetzt werden. Er sieht sich als Glied einer Kette, die in Lichtenberg etwas bewegen möchte, auch wenn sein Alter ab und zu doch kritisch begutachtet wird: „Klar kann es sein, dass manche Bürger*innen mir nicht zutrauen in meinem Alter die Gemeinde zu leiten. Gerade am Anfang wurden mir viele Türen vor der Nase zugeschlagen und die Leute waren skeptisch. Aber gerade dann kann man positiv überraschen.“ In von Waldenfels Team unterstützen sich Alt und Jung gegenseitig: „Natürlich brauche ich auch mal Hilfe von älteren Leuten mit mehr Erfahrung wie zum Beispiel von meinem stellvertretenen Bürgermeister. Andersrum ist es ja genauso. Die Zusammenarbeit lebt von einem regen Austausch.“ Mittlerweile begegnet auch der Großteil der Menschen in der Gemeinde von Waldenfels sehr positiv, auch wenn man sich als Bürgermeister immer mit Kritik auseinandersetzen muss, zum Beispiel wenn die politischen und zukunftsorientierten Ziele für die Gemeinde nicht übereinstimmen. Aber auch bei Stromausfällen oder Schlaglöchern auf der Straße, wenden sich die Menschen an ihren Bürgermeister. Für von Waldenfels ist das Teil seines Berufs. Solange die Kritik konstruktiv sei, setze er sich damit auch aktiv auseinander.

Kristan von Waldenfels bei einer Trauung. (Foto: privat)

Das Wort „Macht“ findet der junge Bürgermeister in Bezug auf seinen Beruf nicht wirklich passend: „Ich würde jetzt nicht behaupten, dass ich mächtig bin. Es ist vielmehr eine große Verantwortung, weitreichende Entscheidungen für die Gemeinde zu treffen. Ich bin mir dabei bewusst, dass diese Entscheidungen erhebliche Konsequenzen für die Entwicklung und das Wohl der Gemeinde haben können.“ Doch diese Entscheidungen trifft von Waldenfels nicht alleine. Es ist rechtlich festgelegt, welche Entscheidungskompetenzen ein Bürgermeister hat und was der Stadtrat oder höhere staatliche Ebenen entscheiden. Als Bürgermeister ist er Vorsitzender des Stadtrats, Chef der Verwaltung und verantwortet die Umsetzung der Beschlüsse des Gemeinderats. Seinen größten Einfluss sieht von Waldenfels in der Herangehensweise und mit welchen Themen er sich wie intensiv auseinandersetzt. Bei dieser Entscheidung hinsichtlich der Prioritätensetzung ist der junge Bürgermeister relativ frei: „Der Einfluss eines Bürgermeisters ist erheblich. Die Art und Weise, wie man sich einsetzt, ist entscheidend, ob man in der Gemeinde etwas Positives erreichen kann oder nicht.“

Bislang blickt von Waldenfels auf eine erfolgreiche Zeit als Bürgermeister zurück. Unter anderem steigt die Anzahl der Einwohner stetig. Das liegt auch an der neu eingerichteten Stadthomepage mit eingegliederter Immobilienbörse. In den letzten zwei Jahren konnten alle noch verfügbaren Baugrundstücke veräußert werden. Aktuell arbeitet die Stadt an der Ausweisung eines neuen Baugebiets. Neben dem Erhalt alter Traditionen, wie dem Wiesenfest, werden auch immer mehr Investoren auf die Stadt Lichtenberg aufmerksam und sehen dort Potential für neue Projekte. Gerade wenn er abends durch den Ort läuft und sieht, was er und seine Kolleg*innen in seiner Amtszeit als Bürgermeister alles Positives erreicht haben, verspüre er ein „unglaublich erfüllendes Gefühl“.

Auch wenn der Beruf des Bürgermeisters sehr zeitintensiv ist, möchte von Waldenfels Bürgermeister bleiben. Bei den bayerischen Landtagswahlen im Oktober hofft er außerdem das Hofer Land zukünftig im bayerischen Landtag vertreten zu können. Auch hier betont der 23-Jährige wieder einmal, dass er das nur mit der Unterstützung anderer schaffen kann.

„Ich glaube, man muss sich einfach etwas trauen, auch wenn es erstmal ungewöhnlich erscheint.“

Eine wichtige Voraussetzung ist das auch für den weiteren Karriereweg, wie Prof. Dr. Janine Netzel, Professorin für Wirtschaftspsychologie weiß: „Wenn junge ambitionierte Führungskräfte mit innovativen Ideen wissen, dass sie nur was erreichen können, wenn sie von den richtigen Menschen umgeben sind, ist das die Grundlage ihres Erfolgs. Wenn dieses Bewusstsein der gemeinsamen Entwicklung, die auch Fehler und Niederlagen beinhaltet, vorhanden ist, dann ist das ein Meilenstein für den weiteren Karriereweg.“

Nach guten drei Jahren im Amt ist das junge Alter ihres Bürgermeisters für die meisten Menschen in Lichtenberg kein Thema mehr. Für von Waldenfels ist es nicht vom Alter abhängig, ob man eine Führungsposition übernehmen kann: „Ich glaube, man muss sich einfach etwas trauen, auch wenn es erstmal ungewöhnlich erscheint. Solange man genug Unterstützung hat und den Beruf leidenschaftlich ausübt, kann man auch Rückschläge überwinden. Am wichtigsten ist, dass man positiv auf die Menschen zugeht. Durch eine positive und freundliche Kommunikation kann man auch im jungen Alter bereits wichtige und führende Rollen übernehmen.“

Macht ist aber nicht nur im Büro hinter von Dokumenten überquellenden Schreibtischen zu finden – sondern auch im Sport. Genauer gesagt auf dem Tennisplatz, wo Lukas Maric schon in jungen Jahren seinen Traum erfüllt hat.

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Während von Waldenfels und Maric sich bewusst für ihren Karriereweg entschieden haben, sich auf ihre neuen Rollen entsprechend vorbereiten konnten und ein Traum für sie wahr wurde, sah sich Ludwig Söll von jetzt auf gleich seiner neuen Herausforderung gegenübergestellt. Noch vor wenigen Jahren hatte er ganz andere Pläne, als mit Anfang 20 das Unternehmen seines Vaters zu übernehmen.

Odeon Concerte, Regensburg. Mit 23 Jahren steht Söll an der Spitze eines Veranstaltungsunternehmens. Während die meisten Gleichaltrigen laut dem Deutschen Musikinformationszentrum modernere Musikgenres wie Rock, Pop und Hip-Hop bevorzugen, ist er Fan der klassischen Musik. Diese Leidenschaft kann der Regensburger auch in seinem Beruf ausüben. Söll ist Geschäftsführer und Prokurist bei Odeon Concerte in Regensburg und plant zusammen mit seinen Mitarbeiter*innen klassische Konzerte in Regensburg, Mannheim und Essen. Der 23-Jährige betont die starken Unterschiede innerhalb der Veranstaltungsbranche: „Ein klassisches Konzert unterscheidet sich stark von einem Rockkonzert oder Popkonzert. Es sitzen Leute zwei Stunden lang in einem Konzert und sind mucksmäuschenstill, da zieht man sich sehr schön an und kommt mit dem Anzug. Das ist leider etwas, was in der heutigen Jugend nicht mehr so aktuell und zeitgemäß ist.“

So eine Aussage mögen manche mit dem Bild eines älteren im Ledersessel philosophierenden Herren im feinen Zwirn verbinden. Doch diese, zugegebenermaßen etwas ausgeschmückten, Klischees erfüllt Söll keineswegs. Gekleidet im weißen Hemd, Jeans und Sneakern, sitzt der junge Geschäftsführer hinter seinem Schreibtisch. Das etwas längere, braun-gewellte Haar und ein Dreitagebart im Zusammenspiel mit dem Outfit führt weniger zu einem klassischen, sondern mehr zu einem modernen Erscheinungsbild.

Ludwig Söll in seinem Büro. (Foto: Lennard Janßen)

Der Weg Sölls zum Geschäftsführer war mehr als plötzlich. Als sein Vater Reinhard, der das Unternehmen vor 40 Jahren gegründet hatte, 2020 aufgrund einer schweren Krankheit seinen Posten als Geschäftsführer abtreten musste, übernahm der Sohn, der zuvor nur sporadisch als Aushilfe in der Firma tätig war. Eine Woche hatte er als Einarbeitungszeit, dann ging es direkt los. Erschwerend kam noch der Beginn der Coronapandemie hinzu, die die komplette Branche kurzzeitig lahmlegte. „Ich wurde ins eiskalte Wasser geschmissen“, sagt Söll und grinst. Der Zeitpunkt war auch für den 23-Jährigen persönlich nicht gerade optimal: „Ich wollte auf jeden Fall nicht während des Studiums anfangen, sondern vielleicht vorher noch ins Ausland gehen. Das kann ich jetzt leider nicht, aber dafür habe ich andere Möglichkeiten – es ist ein Geben und Nehmen.“

Nebenbei studiert der Jungunternehmer noch BWL in seiner Heimatstadt Regensburg. Hier allerdings habe ihn Corona, ähnlich wie es von Waldenfels erging, ein Stück weit gerettet. Da alle Klausuren und Veranstaltungen online waren, war er flexibel. Während des Semesters beschäftigte Söll sich meistens mit dem Beruf, in der Klausurenphase glich er das wieder mit zwei bis drei Stunden Lernen am Tag aus. „Natürlich bin ich kein Überflieger geworden, aber das war auch gar nicht mein Anspruch. Ich wollte einfach irgendetwas in der Tasche haben“, sagt der 23-Jährige.

„Ich habe es gar nicht so realisiert und einfach gearbeitet.“

Für Sölls Freunde war sein plötzlicher Aufstieg überraschend. Laut dem jungen Regensburger haben sie ihn zwar unterstützt und ihren Respekt ausgesprochen, allerdings können sie seine Situation gar nicht richtig einschätzen, da sie selbst noch nicht im Arbeitsleben stehen. Trotz der großen Verantwortung habe sich das Verhältnis zu seinen Freunden aber nicht verändert. „Nur weil ich mit einer Verantwortung arbeite, heißt das jetzt natürlich nicht, dass ich in meiner Freizeit auf dem Golfplatz Alkohol trinke. Ich bin trotzdem am Wochenende noch bei meinen Freunden und schaue zum Beispiel Star Wars mit ihnen“, erklärt Söll.

Doch ganz ohne Hilfe muss der junge Chef im Geschäftsalltag nicht auskommen. Unterstützung bekommt er vor allem von seinem Vater. Da dieser allerdings aufgrund seiner körperlichen Verfassung kaum mehr im Büro anzutreffen ist, erhält Söll seine Unterstützung in Form von täglichen Telefonaten. „Dieser Beruf besteht zu 50 Prozent aus Kontakten, ohne meinen Vater hätte ich das niemals machen können.“ Den täglichen Austausch mit seinem Vater sieht er stets als Unterstützung und nicht als Druck oder Kontrolle. Auch wenn sein Vater eine große Hilfe für den jungen Unternehmer ist, ist Söll der, der die Entscheidungen trifft. Dass der einzige Sohn das Unternehmen irgendwann übernimmt, war abzusehen.

Vielleicht nahm er es auch deshalb gelassen, dass er fast aus dem Nichts die Verantwortung eines ganzen Unternehmens schultern musste. „Ich habe es gar nicht so realisiert und einfach gearbeitet. Es war Corona, alles stand komplett auf dem Kopf und der normale Arbeitsalltag war überhaupt nicht gegeben.“

Ludwig Söll (r.) im Interview mit Andreas Schuder. (Foto: Lennard Janßen)

Von einem Tag auf den anderen eine große Verantwortung zu übernehmen kann allerdings auch schädlich für die Entwicklung junger Menschen sein, wie Prof. Dr. Janine Netzel, betont: „Wenn man nicht die richtigen Werte vertritt und nicht die richtigen Leute oder Berater um sich herum hat, die auch mal Feedback geben, das weh tut, kann das dazu führen, dass man seine Machtposition schlecht ausübt und im schlimmsten Fall missbraucht.“ Diese Beraterfunktion hat vor allem Sölls Vater ausgeführt.

Sölls erste große Herausforderung war das unübersichtliche Angebot an Förderungen und Überbrückungshilfen vom Staat. Er sah hier jedoch seine große Chance: „Ich habe mich da reingefuchst und war sozusagen der Einzige, der dieses Wissen hatte. Das gab mir das Selbstvertrauen, weiterzumachen.“ Dass er gleich zu Beginn seiner Amtszeit hohe Geldsummen durch Förderungen generieren konnte, habe sein Selbstbewusstsein enorm gestärkt und somit mögliche aufkommende Zweifel seinerseits beseitigt.

Einen normalen Alltag gibt es für den 23-Jährigen nicht. Jeden Tag warten neue Aufgaben auf den jungen Geschäftsführer – von Verträgen über das Anfragen von Künstlern bis hin zur Fehlerbehebung des Ticketing-Systems. Von allem etwas. „Es ist sozusagen ein ‚Problembehebungsberuf‘“, sagt Söll und grinst. Bei der Problemlösung kann es sogar hilfreich sein, dass er noch relativ jung ist, wie Dr. Deininger vermutet: „Der Vorteil von jungen Menschen liegt aus meiner Sicht darin, dass sie eher bereit sind, neue Wege zu gehen, alte Denkstrukturen aufzugeben und risikobereiter sind.“

„Sogar die Praktikanten sind älter.“

Momentan habe Söll alle Hände voll zu tun, was vor allem an den aktuell stattfindenden Schlossfestspielen in Regensburg liegt. Für diese Festtage, die er selbst als „Zugpferd“ des Unternehmens bezeichnet, planen er und sein Team einige Konzerte. Auf seinem Schreibtisch stapeln sich bereits die Dokumente, dennoch achte er auf eine gute Work-Life-Balance. Im Büro, in welchem mit ihm insgesamt acht Personen arbeiten, herrsche ein harmonisches Miteinander. Söll selbst sieht sich daher weniger als Führungskraft: „Es ist ein eingespieltes Team, jeder weiß, was er zu tun hat, darum muss ich nicht groß führen, ich muss eher repräsentieren.“

Alle Mitarbeiter*innen im Büro sind älter als Söll. „Sogar die Praktikanten sind älter“, sagt der junge Geschäftsführer und lacht. Über mangelnden Respekt oder ähnliches kann er sich dennoch nicht beschweren. Söll glaubt, dass dies zum Teil auch an der Branche selbst liegt. „In der Klassik ist der Umgang unglaublich förmlich und respektvoll“, schwärmt der 23-Jährige. An Kritik jeglicher Art könne er sich nicht erinnern. Der Altersunterschied zu seinen Kolleg*innen ist also kein Problem. Im Gegenteil: Die Zusammenarbeit im Büro zwischen verschiedenen Generationen kann auch eine Chance sein, wie Prof. Dr. Netzel betont: „Beim ‚Intergenerationalem Führen‘ geht es darum, dass die Führungskraft eine gemeinsame Vision aufspannt, in der die Beiträge aller Mitarbeitenden wichtig sind und dass es auf jedes Erfahrungslevel ankommt.“ Manchmal brauche es diejenigen mit mehr Erfahrung und manchmal diejenigen, die mit frischem Wind an Sachen herangehen, um weiterzukommen.

Odeon Concerte in Regensburg. (Foto: Lennard Janßen)

Der Posten als Geschäftsführer ist mit viel Macht verbunden – und gleichzeitig mit Verantwortung. Vor allem wenn es um Open-Air-Konzerte geht, kann vieles schief gehen. „Wenn bei so einem Konzert ein Unwetter kommt, der Blitz einschlägt und Menschen verletzt und wir das nicht rechtzeitig absagen, dann hafte ich. Deswegen zittere ich auch immer bei solchen Konzerten, ich kann das gar nicht richtig genießen“, erklärt der junge Unternehmer. Bisher war das Zittern allerdings unbegründet.

Auch wenn Söll der Vorgesetzte von teilweise deutlich älteren Menschen ist, fühle er sich, ebenso wie von Waldenfels, nicht mächtig. „Es kommt ja auf die Arbeitsweise und Leistung an. Man arbeitet zusammen und kommt in den Workflow, man denkt nicht mehr daran“, sagt der Regensburger. Wie wichtig ein harmonisches Miteinander im Büro zwischen einer jungen Führungskraft und seinen Mitarbeitenden ist, weiß auch Dr. Deininger. Er sieht es als wichtige Eigenschaft, „Mitarbeitende wertzuschätzen und mit ihnen auf Augenhöhe umzugehen.“ Auch bei der Übernahme des Unternehmens machte er sich hier keinen großen Kopf, da habe man ganz andere Probleme gehabt: „Wir waren im Coronafilm, wir wussten nicht, ob es überhaupt noch möglich sein würde, Konzerte zu veranstalten“, erinnert sich Söll. Dennoch sah sich der Jungunternehmer keinesfalls überfordert. Aufgrund der Ausnahmesituation hätte man in diesem Moment sowieso nicht viel machen können.

„Nicht zu viel nachdenken, einfach machen.“

Auf die Frage, wie man als junger Mensch in einer mächtigen Führungsposition bestehen kann, liefert Söll mehrere Ansätze. Das Wichtigste sei es, selbstständig zu denken und nicht in Arbeitsweisen zu verfallen. Dabei könne eine zu starke Durchsetzungskraft manchmal sogar schaden und die Harmonie im Büro stören. Sein Tipp für andere angehende junge Führungskräfte: „Nicht zu viel nachdenken, einfach machen. Man kann sich auch alles kaputtdenken.“ Übermäßig Druck, das Erbe seines Vaters weiterzuführen, habe der junge Geschäftsführer nie verspürt. „Natürlich gibt es Phasen, in denen der Stress größer ist, aber ich kann eigentlich unter Druck ganz gut arbeiten. In unserer Leistungsgesellschaft gehört das dazu“, sagt Söll.

Ludwig Söll in seinem Büro. (Foto: Lennard Janßen)

Söll hat gelernt, mit der Macht umzugehen und seinen Beruf zu lieben. „Man lernt, sich auf die eigenen Hinterbeine zu stellen und dass man Eigeninitiative zeigen muss, wenn man es haben möchte“, sagt der Klassik-Fan, der vor allem die Selbstständigkeit in seinem Beruf schätzt. Für die Zukunft möchte man bei Odeon Concerte neue Projekte, Konzerte und Formate testen, sowie als Unternehmen wachsen, jedoch nur zu gegebener Zeit. „Wenn sich die Chancen ergeben, möchten wir wachsen, aber ich will auf keinen Fall irgendeinen aggressiven Wachstumskurs einschlagen“, sagt der Regensburger.

Wenn man die Karrieren von Söll und von Waldenfels vergleicht, kann man viele Parallelen erkennen. Wenn man ihre Geschichten jedoch genauer unter die Lupe nimmt, kommen doch einige Unterschiede auf, beispielsweise in Bezug auf ihre ersten Tage in der Führungsposition, ihren Weg zu diesen Positionen und ihrer Entwicklung. Mehr dazu gibt’s im Podcast zu hören.