Liebling, ich habe das Atomkraftwerk geschrumpft!
Viele sehen Small Modular Reactors als den nächsten Schritt in der Evolution der Atomkraft. Wie steht es mit den Chancen dieser neuen Technologie?
Von Luca Perl, Nils Rechlin, Kilian Seiberl und Phil Albrecht

Titelbild KI-generiert mit midjourney
„Uns läuft die Zeit weg”
Das sagte Bundesratspräsident Rainer Haseloff am 22. September 2022, in einer Aktuellen Stunde des Bundestags. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine bedrohe europäische Energiestrukturen und leite eine “ganz kritische Phase ein”. Deutschland sei als Standort gefährdet.
Seine Vorhersage war korrekt. Bürger:innen erlebten in diesem Winter einen dramatischen Anstieg der Energiekosten. Aus gegebenen Gründen wurde die Inbetriebnahme der “Nordstream 2” gestoppt, eine Pipeline, die Gas direkt von Russland nach Deutschland geliefert hätte.

Eigene Darstellung (Strompreis basierend auf dem Verivox-Verbraucherpreisindex)
Ein politischer und medialer Diskurs um energetische Unabhängigkeit entbrannte mit reger Beteiligung aus allen Bevölkerungsschichten. Die Abhängigkeit von Russland als wichtiger Partner in der Energieversorgung hat gezeigt, dass es für Deutschland zu unsicher ist, den Großteil der benötigten Energie aus dem Ausland zu beziehen. Vielen ist klar: es braucht eine Alternative. Doch viele dieser in Deutschland verbreiteten Alternativen, wie Solar- und Windenergie, bergen große Risiken.
Sie schonen zwar die Umwelt, aber sind durch ihre Wetterabhängigkeit oft inkonsistent und aufgrund technischer Grenzen schwer zu speichern.
Die klassische Atomkraft galt lange als Schlüssel, um eine stabile Energieversorgung gewährleisten und eine unabhängige Stromversorgung garantieren zu können. Auch in der Diskussion zur angestrebten Energiewende wird die Kernkraft oft als Teil der Lösung dargestellt. Kathryn Huff, ehemalige Mitarbeiterin im US-amerikanischen “Office of Nuclear Energy” geht davon aus, dass es einer Verdoppelung bis hin zu einer Verdreifachung der weltweiten Kernkraft bedarf, um die angestrebten Klimaziele zu erreichen.
Doch auch um diese lang bewährte Form der Energieversorgung steht es in Deutschland schlecht. Im Gegensatz zu vielen anderen Industrieländern verweigern große Teile der deutschen Politik und Gesellschaft den Erhalt der klassischen Atomkraft. Die Ablehnung der Atomkraft in Deutschland scheint fast schon eine Tradition geworden – mit dem Ursprung in Wyhl, genauer der erfolgreichen Bauplatzbesetzung eines geplanten Atomkraftwerks am Kaiserstuhl im Jahr 1975.

Eigene Darstellung (Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung)
Doch anstatt das Kapitel Atomkraft vollständig zu schließen, gewinnt eine spezielle Form der Atomkraft aktuell an Relevanz: Small Modular Reactors, ein vielversprechendes Konzept, das kleinere, modular aufgebaute Reaktoren vorsieht, die laut der SMR-Industrie selbst, im Vergleich zu herkömmlichen Kernkraftwerken effizienter, sicherer und flexibler einsetzbar sein sollen. Sieht man die Vielzahl an Ländern, in denen bereits aktiv an diesem Konzept forschen, erscheint das Potential mehr als vielversprechend.
Diese Karte zeigt, welche Länder momentan an wie vielen SMR-Forschungsprojekten arbeiten.
Betrachtet man die Möglichkeiten dieser Form der Atomenergie, stellt sich eine wichtige Frage: Könnte sie in Form von Small Modular Reactors (SMRs) eine innovative Lösung sein – weniger als zentrale Energiequelle, sondern vielmehr als flexibles Instrument für spezifische Anwendungen? Das Konzept der Small Modular Reactors bietet für Deutschland ein enormes Potential. Insbesondere für industrielle Cluster oder Regionen mit hohem Energiebedarf könnten SMRs eine innovative Ergänzung in der energetischen Versorgung darstellen. Sowohl die öffentliche als auch die politische Wahrnehmung von Kernenergie ist in Deutschland überwiegend negativ, aber gelingt der Atomkraft mit SMRs hierzulande ein Comeback? Und sind Small Modular Reactors für Deutschland die große Chance in Zeiten weltpolitischer Spaltung? Um diese Fragen zu untersuchen, haben wir drei Experten befragt.
Dr. Christoph Pistner arbeitet für das Öko-Institut e.V. am Standort Darmstadt und leitet dort den Bereich Nukleartechnik und Anlagensicherheit. Seit mehreren Jahrzehnten beschäftigt er sich mit Fragen der Kerntechnik mit Fokus auf Reaktorsicherheit. Außerdem beschäftigt er sich mit alternativen und neuartigen Reaktorkonzepten und hat in diesem Kontext für das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung, kurz BASE, ein Gutachten zu den Entwicklungsstand im Bereich der SMRs angefertigt.
Prof. Dr. Carl Christian von Weizsäcker ist Volkswirt, Senior Reserach Fellow am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern und emeritierter Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität zu Köln. Christian von Weizsäcker lehrte in Heidelberg, Bonn und Bielefeld, aber auch am Massachusetts Institute of Technology. An der Universität zu Köln leitete er ein energiewirtschaftliches Institut und setzt sich wie auch schon sein Vorgänger Hans Karl Schneider für Kernenergie ein. Er ist bis heute der Ansicht, dass wir auch in Deutschland mit der Kernenergie arbeiten sollten.
Prof. Bruno Merk ist ein deutscher Kerntechnikingenieur und Hochschullehrer. Er zählt zu den führenden Experten auf dem Gebiet der Reaktorphysik und nuklearen Sicherheit. Seine Forschungsarbeit konzentriert sich insbesondere auf innovative Reaktoren und den besseren Umgang mit nuklearem Müll. In Deutschland wurde seine Forschung nicht mehr ausreichend finanziell unterstützt, woraufhin er nach Großbritannien auswanderte. Dort ist er als führender Forscher am “Research Chair in Computational Modelling for Nuclear Engineering” an der University of Liverpool tätig. Merk hebt sich von vielen seiner Fachkolleg:innen ab und sagt: „Ich will nicht im „Elfenbeinturm“ der Wissenschaft verweilen, sondern Erkenntnisse verbreiten und nutzen“. Die Kommunikation mit der Gesellschaft und der Politik ist ihm ein zentrales Anliegen, um die Bedeutung und Möglichkeiten seiner Forschungsarbeit verständlich und zugänglich zu machen.
Small Modular Reactors sind kleine Atomkraftwerke, die sich durch ihre niedrigere Leistungsgröße und Modularität auszeichnen. Ein SMR erbringt typischerweise eine Leistung von bis zu 300 Megawatt, was eine maximale Produktion von 7,2 Millionen Kilowattstunden pro Tag erlaubt. Um diese Kapazität in einen Kontext zu setzen: 300 Megawatt Leistung könnten die Versorgung von ca. 150 Fußballstadien decken oder das Leuchten von 5 Millionen Glühbirnen ermöglichen.
Der Autohersteller Rolls Royce betreibt in Großbritannien einen eigenen Small Modular Reactor. Dieser kommt hingegen auf eine Leistung von 470 MW.
Der Rolls-Royce SMR
Rolls-Royce SMR
Der britische Luxusmobilhersteller ist seit über 60 Jahren in der Entwicklung eines SMRs beteiligt. Durch den Einsatz bewährter Nukleartechnologie (in diesem Falle Druckwasserreaktoren) will man Small Modular Reactors zu einem zugänglichen, von komplizierter Infrastruktur losgelösten Produkt transformieren. Dabei werden ca. 1600 einzelne, zusammensetzbare Module (re-)produziert, die allesamt über das konventionelle Straßennetz transportiert werden können. Somit können sie lokal unabhängig zusammengesetzt werden. Ein Dorn im Auge dürften für Rolls Royce allerdings die staatlich auferlegten Lizenzen und Genehmigungen sein, deren Erteilungen oftmals länger dauern als die eigentliche Produktion der Module.
Durch das zweite Attribut “Modular” verstehen sich SMRs als vielseitig einsetzbar. Außerdem erklärt Pistner, sei die Idee hinter SMRs, dass “diese Reaktorentypischerweise insgesamt als Reaktor, als ein Reaktor-Modul hergestellt werden oder zumindest die wichtigen Großkomponenten in einer modularen Bauweise hergestellt werden sollen.“
Also geht es bei dem Begriff “Small Modular Reactor” vor allem um die Größe und Modularität des Reaktors, nicht zwangsläufig um die zugrundeliegende Technologie. Die meisten SMRs sind wassergekühlte Reaktoren. Es besteht jedoch auch die Möglichkeit zum Einsatz anderer Kühlmittel. Je nach Definition werden Reaktoren, die nicht-leichtwasserbasierte Technologien nutzen, bspw. Kühlmittel wie flüssiges Natrium oder Blei, Advanced Modular Reactors genannt.
Diese Recherche konzentriert sich vornehmlich auf SMRs, die auf wassergekühlten Reaktoren basieren und laut Pistner als eine “verkleinerte Version von heutigen Reaktoren” bezeichnet werden können.
Die verschiedenen Arten von SMRs unterscheiden sich natürlich auch durch ihr Design. Pistner erklärt, fast jedes SMR verfüge jedoch über den folgenden grundlegenden Aufbau. Dieser gleicht in vielen Punkten dem Aufbau eines klassischen Leistungsreaktors, also eines Reaktors zur Erzeugung von elektrischer Energie in einem Kernkraftwerk:
Der Reaktorkern im Inneren des Kraftwerks enthält den Brennstoff. Durch die spezielle Geometrie des Reaktorkerns wird eine kritische Kettenreaktion ausgelöst, also eine sich selbst erhaltende Kettenreaktion, durch die Energie im Reaktor erzeugt wird. Um das Überhitzen oder gar das Schmelzen des Brennstoffs zu verhindern, reguliert ein erster Kühlkreislauf die Temperatur des Brennstoffs. Das Kühlmittel, oft Wasser, nimmt im Gegenzug die freigesetzte Energie in Form von Wärme auf und überträgt diese typischerweise an einen sekundären oder sogar tertiären Kreislauf, um beispielsweise die auftretende Strahlung zu verringern. In diesem zweiten oder dritten Kreislauf wird dann Dampf erzeugt, der wiederum eine Turbine antreibt. Wie auch bei anderen Arten der Energiegewinnung, beispielsweise Wind- oder Wasserkraft, produziert die Turbine dadurch Strom.

Grundlegender Aufbau eines Druckwasserreaktors (Copyright: Wikimedia Commons)
Eine Frage, die spätestens seit der Nuklearkatastrophe von Fukushima 2011 heiß diskutiert wird, ist die der Sicherheit. Damals verursachte ein verheerendes Seebeben einen Tsunami, der das Atomkraftwerk Fukushima Daiichi an der Ostküste Japans beschädigte. Es kam zu Ausfällen der (Not-)Stromversorgung und infolgedessen zu Kernschmelzen und Wasserstoffexplosionen. Die Freisetzung von radioaktiven Stoffen hatte schwerwiegende Folgen für Mensch und Umwelt: 470.000 Menschen mussten beispielsweise aufgrund der Zerstörung ihrer Häuser oder der Kontamination des Grundwassers evakuiert werden.

Gedenkstein für die Opfer der Nuklearkatastrophe in Fukushima, initiiert durch die Anti-Atom-Inititative in Göttingen (Copyright: Wikimedia Commons)
Mittlerweile sei die Sicherheit von Atomkraftwerken höher als beim Autofahren oder Fliegen, meint Bruno Merk. “Das Unglück in Fukushima passierte aufgrund von veralteter Technik. Moderne Reaktoren halten selbst stärkeren Erdbeben stand“, so der Kerntechnikingenieur. Pistner hebt hingegen andere Sicherheitsvorteile hervor.
Auch wenn in SMRs meist die gleichen Brennstoffe zum Einsatz kommen, wie in klassischen Kernkraftwerken, “haben diese Reaktoren den Vorteil, dass insgesamt das radioaktive Inventar geringer ist, dass also auch bei Unfällen weniger radioaktives Inventar freigesetzt werden kann”, so Pistner. Doch die Annahme, dass dieser durch die geringere Größe entstehende Faktor ein Vorteil ist, könnte laut dem Physiker ein Trugschluss sein. Er meint, dass die schwächere Leistung der SMRs die dementsprechend höhere Anzahl an Kleinreaktoren, die für das Aufbringen derselben Energieleistung wie der eines herkömmlichen Kernkraftwerks nötig wäre, den Vorteil bis zu einem gewissen Grad kompensieren könnte. Doch das bleibt noch unklar, solange SMRs nicht massenhaft eingesetzt werden oder andere Einflussfaktoren mögliche Sicherheitskonzepte stören.
“Wir haben den Bereich der Sicherheit. Da könnten die Systeme tatsächlich Vorteile bieten. Sie müssen dann aber auch konsequent so ausgelegt werden, ob das dann tatsächlich passiert oder aufgrund von Kostenüberlegungen oder anderen Überlegungen doch nicht passiert, muss man auch erst nochmal sehen”, so Christian Pistner. Ein weiterer dieser störenden Einflussfaktoren könnte das Konzept der SMRs an sich sein, genauer die Idee der Modularität. Eine allgemeine Bewilligung von SMR-Typen ohne einzelne standortbezogene Prüfungen durchzuführen, wie es bei herkömmlichen Kernkraftwerken der Fall ist, könnte vermeidbare Gefahren missachten. Standortunabhängige Zulassungen wären dementsprechend sehr riskant.
Nach der Abschaltung des letzten deutschen Atomkraftwerks im April 2023 sieht sich Deutschland mit rund 27.000 Kubikmeter hochradioaktiver Abfälle konfrontiert. Die ausgebrannten Brennelemente und Reststoffe aus der Wiederaufarbeitung stammender Abfälle enthalten 99 Prozent der gesamten Radioaktivität aller Abfälle Deutschlands. Diese Überreste sind eine immense Gefahr für Mensch und Umwelt und erfordern deshalb eine langfristige Lösung über mehrere Hunderttausend Jahre. Derzeit werden die Abfälle in Castorbehältern gelagert – eine temporäre Lösung, die zukünftig durch ein Endlager ersetzt werden soll. Im Endlager sollen sogenannte Wirtsgesteine, die Abfälle sicher einschließen. Durch das Standortauswahlgesetz (§1 Abs. 3 StandAG) wurden drei Gesteinsarten festgelegt: Steinsalz, Tongestein und Kristallingestein. Tongestein bindet Radionuklide und bildet dadurch eine natürliche Barriere, um Risse abzudichten. Dazu weist er eine nahezu vollständige Undurchlässigkeit für Wasser auf. Das Problem ist jedoch seine Wärmeempfindlichkeit und die damit eingehende Voraussetzung einer großen Lagerfläche. Steinsalz hingegen kann mit einer hohen Wärmeleitfähigkeit und plastischen Eigenschaften überzeugen. Ein mögliches Risiko ist die Wasserlöslichkeit bei feuchten Umgebungen. Kristallgesteine, wie Granit, ist extrem stabil und langlebig. Klüfte könnten jedoch ein Problem darstellen, da sie wasserführend sind und technische Barrieren zum Ausgleich notwendig wären.
Somit bieten alle drei Gesteinsarten spezifische Vor- und Nachteile, die bei der Auswahl des Standorts berücksichtigt werden müssen. Bereits seit vielen Jahrzehnten wird nach einer Lösung gesucht. In den 1970er-Jahren wurde mit der Erkundung des Salzstocks Gorleben begonnen. Massive Proteste und ein Untersuchungsausschuss haben die Option 2013 verhindert.

Demonstration gegen ein Atommüllendlager in Gorleben (Copyright: Bündnis 90/Die Grünen)
Danach wurde das Standortauswahlgesetz aus 2013 als ein wissenschaftsbasiertes, transparentes Verfahren etabliert und 2017 überarbeitet. Für die Suche nach möglichen Standorten ist die im Jahr 2016 gegründete Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) verantwortlich. Seit 2017 analysiert die BGE geologische Daten und identifiziert potenzielle Standorte. Derzeit befindet sich die Endlagersuche in der zweiten Phase. Planmäßig war der Standort bis 2031 zu finden, doch laut der Rahmenterminplanung der BGE aus Dezember 2022 wird ein Endlager frühestens in den 2040er-Jahren zur Verfügung stehen. Ursprünglich begann der Prozess mit der sogenannten „weißen Landkarte“. Dabei wurden keine Gebiete im Vorhinein ausgeschlossen. Im Zwischenbericht 2020 identifizierte die BGE 90 mögliche Gebiete auf insgesamt 54% der Landesfläche. Die Standorte sind eingegrenzt und gefolgt von unterirdischen Erkundungen. Um zukünftig mögliche Standorte durchzusetzen, ist die Beteiligung der Öffentlichkeit und die Herstellung von Vertrauen essenziell. Seit den Konflikten in Gorleben wird die Suche als transparentes Verfahren aufgebaut. Das Nationale Begleitgremium (NBG) soll den Dialog zwischen Bevölkerung, Wissenschaft und Politik fördern. Dazu dienen Formate wie Fachkonferenzen oder das Forum für Endlagersuche, welche die aktive Mitgestaltung für Bürger:innen und Expert:innen ermöglichen. Diese geologischen und verfahrenstechnischen Aspekte müssen auch bei der Debatte über die Einführung von SMRs berücksichtigt werden. Pistner betont jedoch, dass sich die Herausforderungen der Endlagerung durch SMRs nicht wesentlich von denen klassischer Kernkraftwerke unterscheiden:
„Man wird denselben Brennstoff verwenden, ähnliche Anreicherungen verwenden, man wird dieselben Abfallströme bekommen“
Dies verdeutlicht, dass die Lösung für die hochradioaktiven Abfälle nicht nur die Vergangenheit, sondern auch potenzielle neue Technologien berücksichtigen muss.
SMRs, kleine und flexibel einsetzbare Kleinreaktoren – können Sie ökonomisch glänzen? Auf den ersten Blick erscheinen SMRs als die große Hoffnung der Kernkraft, vor allem wenn dieser Blick auf die aktuellen Bauunternehmungen zu herkömmlichen Atomkraftwerken fällt. „Die Bauzeiten sind extrem lang und die Kosten extrem hoch, sodass aus ökonomischen Gründen ein Neubau von großen Kernkraftwerken in westlichen Ländern im Moment einfach extrem fraglich ist”, reflektiert Pistner. So beispielsweise beim Kraftwerk Hinkley Point C in Großbritannien. Eigentlich sollte das vom französischen Energiekonzern geplante Kernkraftwerk neun Jahre nach Baubeginn, also bereits 2025 ans Netz gehen. Doch nicht nur die zeitliche Planung der Konstruktion scheint etwas zu optimistisch. Schließlich gehen Schätzungen von einer Netzanbindung des ersten Druckwasserreaktors von Hinkley Point C frühestens im Jahr 2029 aus. Die veranschlagten Baukosten wurden anfangs auf “nur” 18 Milliarden Pfund datiert und haben sich mittlerweile auf fast 25 Milliarden Pfund verdoppelt – geht man von Preisen aus dem Jahr 2015 aus. Inflationsbereinigt belaufen sich die Milliarden Pfund Kosten schon auf 46 Milliarden Pfund. In der Debatte um die Ökonomie der SMRs kommt man zwangsläufig mit dem Konzept “Economies of Scale”, zu deutsch “Skalenvorteile” in Kontakt. „Ob SMRs ökonomisch konkurrenzfähig sind, hängt von ihrer Produktion und Nutzung in großer Stückzahl ab”, veranschaulicht von Weizsäcker. Angewandt auf die Thematik der SMRs besagt das Konzept also, dass sich die Fixkosten wie beispielsweise die Finanzierung der Forschung und die Entwicklung von Reaktordesigns pro produzierter Einheit, also pro errichtetem SMR, durch quantitative Skaleneffekte reduzieren. Bisher zeigen diese potentiellen Kostenersparnisse noch keine Wirkung erklärt Pistner:
„Die bisherigen Bauprojekte waren extrem teuer, also auch viel teurer, bezogen auf die Kilowattstunde, als heutige große Anlagen”
Die Ökonomen, mit denen Pistner bisher gearbeitet hat, schätzen, dass man erst mit dem Strompreisniveau von großen Kraftwerken konkurrieren könne, wenn man mehrere hundert oder tausende Anlagen produziere. Doch in der Wissenschaft herrscht Zuversicht: “Die Hoffnung ist, dass durch eine serielle Produktion und durch Vereinfachungen im Anlagendesign dieser Anlagen günstiger werden. Aber ob das so sein wird, weiß heute noch niemand“, meint Pistner und bezeichnet konkrete Versprechen zu Kostenvorteilen von SMRs als „Kaffeesatzleserei“. Die Economies of Scale gelten hingegen auch als Argument für die klassischen Kernreaktoren und gegen SMRs, jedoch durch Größe und nicht durch Quantität. Durch die enorme Größe und Einzigartigkeit eines dieser herkömmlichen Reaktoren, ist ein deutlich energieeffizienter Produktionsablauf möglich. Die Idee der Kostengünstigkeit von SMRs setzt außerdem voraus, dass alle SMRs auf wenigen Grundkonzepten beruhen und so seriell gefertigt werden können. Dadurch könnten Lock-In Effekte auftreten. Das bedeutet, dass die vergleichsweise unspezifische, standardisierte und standortgebundene Entwicklung einzelner SMRs eine Errichtung von SMRs an bestimmten Standorten nicht ermöglicht. Von Weizsäcker bezieht noch eine weitere Dimension, die strategische räumliche Verteilung von SMRs, um die Stromnetzbelastung zu minimieren. „Das Netz muss den Bedarfen angepasst werden. SMRs können jedoch lokal eingesetzt werden, sodass die Netzbelastung minimiert wird. […] Wenn SMRs direkt neben großen Verbrauchern wie Rechenzentren platziert werden, können sie die Netzbelastung minimieren und Stromkosten senken.“ Beispiele hierfür sind das erwähnte SMR des Autoherstellers Rolls Royce, aber auch der von Google geplante Kleinreaktor.
Durch die Entwicklung und den massenhaften Einsatz von KI-Anwendungen steigt der Energiehunger deutlich. Um diesen zu stillen, setzt das Tech-Unternehmen auf Energieversorgung der Rechenzentren durch ein eigenes SMR. Im Trend von künstlicher Intelligenz, immer größere Teile des Lebens zu beeinflussen, sieht von Weizsäcker viel Potential durch Energie aus SMRs und eine große Chance für die SMR Branche. Die Entwicklung von künstlicher Intelligenz sei eine Chance „an der wir ja auch teilhaben wollen als Produzenten. Diese generiert einen hohen Strombedarf, weil das eben hohe Rechenleistungen voraussetzt“, beschreibt er. “Und da halte ich es auch für eigentlich sehr wichtig und sinnvoll, dass man in Deutschland auch SMRs einsetzt”.
Im Jahr 1970 trat der Nukleare Nichtverbreitungsvertrag in Kraft, zu dessen Teilnehmern sich seit 1975 auch Deutschland zählt. Das Ziel des Vertrages ist die weitreichende Eindämmung der Verbreitung von Atomwaffen. Er verpflichtet Nicht-Nuklearwaffenstaaten dazu, auf die Entwicklung und den Besitz von Nuklearwaffen zu verzichten und ihre kerntechnischen Anlagen unter internationale Kontrolle zu stellen. Außerdem fordert der Vertrag von den fünf Teilnehmerstaaten, die in Besitz solcher Waffen sind, diese nicht an andere Staaten weiterzugeben und Bemühungen zur atomaren Abrüstung anzustellen. Auch wenn dieser Vertrag die zivile Nutzung von Kernenergie erlaubt und hierbei zu internationaler Zusammenarbeit aufruft, ist es im Allgemeinen Gesundheits- und Sicherheitsinteresse, das Proliferationsrisiko weitestgehend zu minimieren.
Proliferation
Proliferation
Unter Proliferation versteht man die Weiterverbreitung von atomaren, chemischen oder biologischen Massenvernichtungswaffen. Damit ist sowohl die Weitergabe der zur Herstellung verwendeten Produktionsmittel als auch des benötigten Know-Hows gemeint. Staaten wie Nordkorea, Syrien, Pakistan und der Iran streben nach einem Ausbau ihres Atomwaffenarsenals, um sich in atomaren Konfliktsituationen beweisen zu können. Insbesondere Nordkorea und Pakistan profitieren vom Export dieser Technologien – sie sind sozusagen aktive Treiber der Proliferation. Jene Treiber werden vom Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz als Risikostaaten eingestuft. Deutschland ist als Vorreiter in der Entwicklung dieser Spitzentechnologien besonders vulnerabel für Beschaffungsversuche durch Risikostaaten. Eine strenge Gesetzgebung und intensive Exportkontrollen sollen dem entgegenwirken.Doch inwieweit tangiert dieses Interesse die Zukunft der Small Modular Reactors? Pistner verdeutlicht, sowohl Kernkraftwerke per se als auch SMRs seien auf die gleichen Anreicherungstechnologien angewiesen. Mehr SMRs bedeuten also mehr Einrichtungen zur Urananreicherung und potenziell mehr Transporte und Lagerstätten von angereichertem Uran oder ähnlichen nuklearen Stoffen. Zum Uran, einem oftmals negativ konnotierten Stoff, eröffnet Merk eine interessante Perspektive: es sei so reichlich vorhanden, dass es für den menschlichen Zeithorizont kaum greifbar sei. “Alleine die Uran-Reserven in Großbritannien reichen für mindestens 7000 Jahre.”, erklärt er. Der Bau von Kernkraftwerken, egal welcher Größe, bringt eine andere Art der Sicherheit. In der aktuell wirtschaftspolitisch angespannten Zeit haben wir gelernt, wie schnell uns ein energetisches Abhängigkeitsverhältnis mit Russland auf die Füße fallen kann. Sicherlich ist Atomkraft hier nicht die einzige Lösung. Einige Länder entscheiden sich für eine Gewichtung von Sicherheitsaspekten, die die Wirtschaft über Sicherheit und Gesundheit stellt und sieht Kernkraftwerk so als Teil der Lösung. Das erkennt auch von Weizsäcker: “Die geopolitische Lage führt eigentlich dazu, dass die Kernenergie Aufschwung bekommt. Viele Länder, auch die baltischen Staaten und Polen, setzen auf Kernenergie, um sich von russischem Gas unabhängig zu machen“.
Das österreichische ”Ministerium Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie” veröffentlichte im Jahr 2022 eine Studie, in der die sechs potentesten SMR-Konzepte bezüglich ihrer Umsetzung und Zukunftsfähigkeit geprüft wurden. Die Studie zeigt auf, dass es bei diesen Konzepten noch viele ungeklärte Probleme in beispielsweise den Bereichen Konstruktion und Sicherheit gibt. Deshalb stuft das Ministerium eine weitgehende Realisierung von SMR-Konzepten als unwahrscheinlich ein und spricht sich klar dagegen aus: “Argumente gegen die Kernenergie gelten für SMRs gleichermaßen wie für große Anlagen. Die Entwicklung von SMRs ist auch deshalb abzulehnen, weil sie im Kampf gegen den Klimawandel deutlich zu spät käme. „Es braucht jedenfalls dieselben Sicherheitsanforderungen für SMRs wie für große Kernkraftwerke” (Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie.) Auch Pistner steht der Zukunftsfähigkeit von SMRs noch kritisch gegenüber: “[…] sodass ich einfach sagen würde, im Vergleich zur heutigen Kerntechnik überzeugen mich diese Systeme noch nicht”. Etwas pragmatischer sieht es Merk. Atomstrom würde Ressourcen schonen, während gleichzeitig in erneuerbare Energien investiert werden könne, so seine Argumentation. Also eine Art Rückendeckung, die solange notwendig sei, bis es eine voll versorgende Alternative gibt. Sein Fazit ist von drängender Natur: “Wenn wir nur sparen und verzichten, ohne in nachhaltige Lösungen zu investieren, gefährden wir langfristig unsere Lebensgrundlagen und Chancen auf eine bessere Zukunft.” Der 86-jährige von Weizsäcker scheint der Entwicklung der SMRs wiederum positiver zugewandt zu sein und ist auch zuversichtlich, dass das so statisch scheinende Problem der Endlagerung noch gelöst wird. „Eine Möglichkeit besteht eventuell darin, dass man sie [den Atommüll] in den Weltraum schießt. Und wenn Sie sehen, welche Fortschritte die Weltraumtechnik macht, dann ist das, glaube ich, keine Illusion“, erklärt er. Und damit hat er auf eine gewisse Weise recht: Die Zukunft der SMRs steht in den Sternen.
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