Ein warmer Raum, erfüllt mit Lachen, dampfendem Kaffee und berührenden Geschichten. Die Wärmestube ist mehr als ein Zufluchtsort – sie ist ein Ort der Menschlichkeit, an dem jeder Wärme und Hoffnung findet. Zwischen Frühstück und Bingorunden entstehen Momente, die zeigen: Es sind die kleinen Gesten, die zählen.

Von Kim Schüssel

Jeder Schritt, jeder Blick ist auf das gleiche Ziel gerichtet – ein großer, lichtdurchfluteter Raum mit vielen Pflanzen, ausgefüllt mit Tischen und Stühlen, auf denen jeweils ein Salz- und ein Pfeffer-Streuer steht. Die Wände, gestrichen in einem warmen Rot, geben ein Gefühl der Geborgenheit. Der Eingangsbereich ist sehr schlicht. Ein Holzstuhl und ein Aschenbecher. Vor der Eingangstür wartet eine Schlange, bis die Uhr 9 schlägt. Ein leises Klicken, ein Knarren – die Tür öffnet sich. Kalte Luft strömt hinein, bevor die Wärme der Wärmestube sie verdrängt. Die Menschen treten ein, einer nach dem anderen und die Tür schließt sich mit einem leisen Klicken, als wäre es das Zeichen, dass der Schutz des Raumes jetzt für alle beginnt. Drinnen empfängt Katrin Wassermann, die Leiterin der Wärmestube, die Gäste mit ihrem Team und einem herzlichen Lächeln, das die Kälte vergessen lässt. Die Menschen verteilen sich im ganzen Raum, setzen sich an die Tische.

Wärme, Essen und Geborgenheit

Diese Menschen leben in Armut und suchen in der Wärmestube, warmes Essen und Gesellschaft. Besonders im Winter brauchen sie einen geschützten Ort. „Wir leben auf der anderen Seite des Sonnenscheins“, sagt eine Frau leise, während sie draußen vor der Wärmestube in der Sonne sitzt – ein Satz, der die Realität vieler Gäste auf den Punkt bringt. Die Wärmestube bietet warme Mahlzeiten und Getränke für Menschen, die sie sich sonst nicht leisten können. Soziale Kontakte sind ebenso wichtig, da viele Besucher unter Einsamkeit leiden. Hier finden sie Gesellschaft und Gespräche. Nebenan versorgt eine Kleidersammlung Hilfsbedürftige mit Kleidung.

Die Ersten holen sich ihr Frühstück. An der Theke begrüßt Dagmar, eine ehrenamtliche Mitarbeiterin, sie mit einem herzlichen Lächeln. Für 1€ gibt es süßes oder herzhaftes Frühstück mit Tee oder Kaffee, Nachschlag kostet 50 Cent. Mit Leichtigkeit bringt Dagmar die Teller an die Tische, schenkt Tee nach und nimmt  Bestellungen entgegen. Ihre warme, natürliche Art lässt vermuten, sie kenne jeden schon lange – dabei arbeitet sie erst seit 1,5 Jahren hier. Das gesamte Team schafft, scheinbar mühelos, eine Atmosphäre der Geborgenheit und Ruhe. Als Dagmar die Teller an die Tische bringt nehmen die Gäste sie dankbar entgegen. Der Duft von Brot mischt sich mit Kaffee und Teearomen, während die Gäste an den Tischen sitzen, Tassen in den Händen, die Blicke auf die morgendlichen Zeitung gerichtet. Ein sanftes Rascheln der Blätter, während Finger über die Seiten gleiten.

„Sie haben mich aufgenommen“

In der warmen Atmosphäre der Wärmestube sitzt ein Mann, der ein Päckchen Butter behutsam mit einem nachdenklichen Blick auf die Heizung legt, als wolle er es vor der Kälte schützen. Umgeben von Geborgenheit sitzt Johnny, ein Gast der Wärmestube, dessen Geschichte tief berührt. Nach einem Selbstmordversuch verlor er sein Gedächtnis. Stück für Stück hat er es wiedererlangt – doch das, was er nie vergessen hat, war die Wärme und das Mitgefühl der Wärmestube. „Als ich das erste Mal in die Wärmestube gekommen bin, habe ich Gänsehaut bekommen. Die Art und Weise, wie man mich hier aufgenommen hat, war wundervoll und hat mich zu Tränen gerührt“, erzählt er mit einem sanften Lächeln, das sowohl Erleichterung als auch Dankbarkeit ausstrahlt. „Ich kam ohne Name, ohne Gedächtnis hier her und sie haben mich aufgenommen. Auch die anderen Gäste respektieren sich. Diese Freundlichkeit sollte jeder Mensch beherrschen.“

Johnny ist nicht der Einzige, der in der Wärmestube eine zweite Chance findet. Für viele ist sie ein wichtiger Teil des Lebens – ein Ort für Mahlzeiten, Sicherheit und Hoffnung. Wie jeder Mensch hat auch Johnny einen Traum: „Ich würde gerne in die Karibik reisen und dort Silvester feiern. Einfach am Strand sitzen mit einem Glas Weißwein und den Sonnenuntergang betrachten.“

Auch die MitarbeiterInnen erleben bewegende Momente. Klaus, der Koch, sieht jedoch Herausforderungen, besonders bei der Jugend: „Das erste große Problem ist das Handy. Man könnte es mal beiseite legen und sich für die Allgemeinheit interessieren, Fake News ignorieren und das reale Leben leben. Einfach mal mit anpacken, auch wenn’s dreckig ist, man kann die Hände wieder waschen.“ Eine Umfrage des Malteser Hilfsdienstes ergab, dass 21% der Befragten sich bereits ehrenamtlich engagieren, während 56% kein Ehrenamt ausüben, sich aber vorstellen können, eines zu übernehmen.

„Eine Banane reicht mir“

Um 10 Uhr endet das Frühstück und das Team bereitet das Mittagessen vor. Einige Gäste bleiben, andere gehen. Die Tische werden gereinigt, der Boden gekehrt. Kurz vor 12 Uhr warten neue Gäste an der Theke, um 1,50€ für das Mittagessen – Schupfnudeln mit Sauerkraut und Nachtisch – zu bezahlen. Dann erhalten sie ein Glas mit Serviette und Besteck, um die Zahlung zu kennzeichnen. Gäste benötigen eine Karte, die zeigt, dass sie auf die Hilfe der Wärmestube angewiesen ist. Um diese Karte zu erhalten, muss jeder einen Antrag stellen.

Dagmar bringt die Teller zu den Tischen mit Glas. Leise Gespräche und Besteckklirren füllen den Raum. Die Gäste genießen das Essen, einige nehmen genüsslich die goldbraunen Schupfnudeln in den Mund, andere teilen Geschichten miteinander und lachen. Nach dem Mittagessen räumen die Gäste ihr Geschirr weg. Vor der Tür baut Klaus die Mitnahmestelle auf und verteilt Lebensmittel: Bananen, Äpfel, Chili con Carne, Brötchen. Jeder, der bezahlt hat, darf sich etwas aussuchen. Klaus füllt großzügig die Taschen der Wartenden. „Wie viele Bananen möchten Sie? Eine, zwei, drei oder fünf?“, fragt er eine Frau. Sie lächelt und antwortet bescheiden: „Eine Banane reicht mir.“ In der Wärmestube wird nichts weggeworfen; übrig gebliebenes Essen gibt es am nächsten Tag zur Mitnahme.

Flip-Flops, Müsli und Nutella als Hauptgewinn

Eine Gruppe Gäste setzt sich an den Tisch, während Dagmar und Alex, eine festangestellte Mitarbeiterin der Wärmestube, Kaffee und Kuchen vorbereiten. Der Duft von frisch gebrühtem Kaffee und der geschnittene Kuchen schaffen eine Atmosphäre wie bei den Großeltern – vertraut und unkompliziert. Der Raum füllt sich, die Gäste studieren ihre Bingokarten und plaudern. Die Bingo-Trommel klappert, alle blicken gespannt nach vorne.

„B1“, ruft Katrin. Ein Murmeln, dann hebt Johnny die Hand. „Bingo!“, ruft er lächelnd, mehr stolz als erwartungsvoll. Die GewinnerInnen wählen einen Preis aus der Spendenkiste. Im Dezember spendete eine Organisation 2,3 Tonnen an die Wärmestube. Die Stadt Kempten übernimmt die Personal- und Betriebskosten, weitere Hilfe kommt von Unternehmen wie „Looking Good“ sowie einem Partyservice, der monatlich kostenlos kocht. In der Spendenbox liegen Flip-Flops, Müsli, Nutella, eine kleine Flasche Sekt. Johnny nimmt das Glas Nutella und stellt es ohne zu zögern der Frau neben ihm hin. Sie schaut überrascht, dann lächelt sie breit.

Die nächste Gewinnerin ist Helen, eine ältere Damen mit weißen, lockigen Haaren, die die Stimmung oft mit ihren Sprüchen aufhellt. „Wenn ich Glück habe, habe ich Glück und wenn nicht, werde ich damit auch noch fertig“, sagt sie, als Alex ihr eine neue Bingokarte gibt, da sie mit ihrer noch nicht viel Glück hatte. Doch plötzlich ruft sie: „Bingo!“ Ihre Augen leuchten auf, sie jubelt und wählt Müsli als Gewinn. Ihr Lachen ist ansteckend und die anderen stimmen mit ein.

Der letzte Gast verlässt die Wärmestube, die Türen schließen sich. Doch die Erinnerung an diesen Tag voller Geborgenheit, Liebe und Dankbarkeit bleibt. Für viele war es mehr als eine Mahlzeit oder ein Spiel – es war ein Moment des Miteinanders, ein Zeichen, dass sie nicht allein sind. Diese Momente sind nicht  selbstverständlich. Während einige im Überfluss leben, kämpfen andere um das Nötigste. Wann haben wir das letzte Mal bewusst geteilt? Ein wenig Zeit, Aufmerksamkeit, Freundlichkeit? Jeder kann Wärme weitergeben – sei es durch ein offenes Herz, ein helfendes Handeln oder einfach nur ein echtes Lächeln für jemanden, der es gerade braucht. Lasst uns nicht vergessen: Menschlichkeit zeigt sich nicht in großen Gesten, sondern in den kleinen Taten des Alltags.