Eine Tierschützerin kämpft für Nutrias. Die auch als Biberratte bekannten Nager breiten sich Freizeitpark Rheinaue in Bonn immer weiter aus.
Von Theo Welke
„Nutris, Nutris kommt mal raus.“. Es ist ein sonniger kalter Tag im Freizeitpark Rheinaue in Bonn. Barbara Hohpe sitzt zusammengekauert am Rande eines kleinen Sees. Vor ihr in der lehmigen Böschung sieht man drei Löcher, ähnlich wie die Eingänge von Kaninchenbauten. Es passiert nichts, aber sie ruft und lockt weiter. Plötzlich kommt ein kleines braunes Nutriajungtier mit leuchtend orangen Nagezähnen Nase voraus aus dem Bau. Das meerschweinchengroße Tier lässt sich mit zugekniffenen Augen streicheln. Hohpe drückt behutsam auf die Nase des Nagetiers. Laut ihr ist es „eine Art von Begrüßung unter den Tieren, bei der sie die Nasen aneinander drücken“. Sie lächelt und wirkt für einen Moment vollkommen glücklich und entspannt.
Hohpes Gegner: Die Stadt Bonn
Aber schon nach wenigen Minuten steht sie auf, streicht sich die schwarzen Haare aus dem Gesicht und klettert die Böschung hoch zu ihrem Fahrrad. Sie kennt hier alle Tiere „beim Namen“, aber sie hält die Besuche kurz. „Die Stadt beobachtet mich ja. Denen will ich nicht zeigen, wo noch Nutrias sind.“ Denn hier mitten im Erholungsgebiet voller Wiesen, Hügel und kleinen Seen, durchzogen von schmalen gewundenen Wegen, befindet sie sich nach eigenen Angaben auf Kriegsgebiet. Ihr Gegner: Die Stadt Bonn. Denn die betrachtet Hohpes haarigen Schützling als Schädling.
„Die Nutrias richten große Schäden an, gefährden die heimische Tier und Pflanzenwelt“ (Stadt Bonn)
Die Stadt sieht die Biberratte als Gefahr für die Flora und Fauna des Parks. Die Tiere würden Bäume annagen, Muscheln und Pflanzen fressen und durch ihre Bauten die Uferbefestigung untergraben. Durch die milden Winter, das vermehrte Füttern durch die Besucher und den Mangel an natürlichen Feinden habe sich die invasive Tierart sehr stark vermehrt. In einer Pressemitteilung erklärt die Stadt, die Bejagung der Nutrias sei die „einzige effektive Methode, die zum Erfolg führt und damit weitere Schäden verhindert“. Am siebten September letzten Jahres beauftragt die untere Naturschutzbehörde Jäger, die Nutriapopulation einzudämmen. Es werden Lebendfallen aufgestellt, um die Tiere abzutransportieren und an geeigneter Stelle zu töten.
Barbara Hohpe ist alarmiert. Die Tierfreundin macht mobil und gründet eine Bürgerinitiative. Sie und ihre Mitstreiter halten Tag und Nacht im Freizeitpark Wache. Sie dokumentieren jede Aktion der Jäger, stellen Fotos ins Netz und Videos, in denen sie die Jäger als „Nutriamörder“ und „Wilderer“ betiteln. Mit bunter Straßenkreide schreiben sie Parolen auf die gewundenen Asphaltwege. „Ab hier nur mit schussfester Weste“ oder „Hört auf mit der Tötung“.
„Ab hier wird scharf geschossen“ (In Kreideschrift auf dem Weg)
Am frühen Morgen des zehnten November eskaliert die Situation. Es ist kurz nach sechs und Barbara Hohpe ist gerade mit einer Taschenlampe bewaffnet auf einem ihrer „Kontrollgänge“. Plötzlich fällt unmittelbar neben ihr ein Schuss. Die 67-jährige steht unter Schock. Sie ruft die Polizei. Die bestätigt ihr, dass in direkter Nähe ein Jäger ein ausgewachsenes Nutria erschossen hat. Die Beamten kontrollieren seine Genehmigung und ziehen dann aber wieder ab. Zwischen der Tierschützerin und dem Jäger gibt es einen kurzen Wortwechsel. Laut Barbara Hohpe sollte der Jäger sie oder zumindest ihre Taschenlampe „klar gesehen“ haben. Eine Entschuldigung bekommt sie nicht.
Sie macht den Vorfall auf Facebook öffentlich. Die Stadt bezieht Stellung und bezeichnet den Vorfall als notwendige Ausnahme. Grundsätzlich sollten Schüsse in der Rheinaue vermieden werden. Doch in diesem Fall sei die Tötung des Nutrias vor Ort nötig gewesen, da es sich „um ein besonders großes und aggressives Tier gehandelt“ habe. Dadurch sei ein Transport nicht möglich gewesen. Für Hohpe bleibt das „grausamer Mord“. Kurz darauf stellt die Stadt die Jagd vorerst ein. Begründung: „Fallen wurden sabotiert und Mitarbeiter bedroht.“ Man wolle das gesamte Vorgehen überprüfen. Halte aber am grundsätzlichen Ziel, „die Population zu halbieren“ fest.
„Einem Wildtier zu helfen, ist besser, als eine Katze oder einen Hund zu halten“ (Hohpe)
Die Tierschützerin radelt wie jeden Morgen in die Rheinaue. Von ihrer Wohnung im Stadtteil Beuel sind das fünf Kilometer. Um ihre linke Schulter hängt ein blauer Kameragurt, an dessen Ende eine Nikon-Kamera. Die kommt bei den täglichen Spaziergängen oft zum Einsatz. Täglich teilt sie ihre Nutria-Beobachtungen mit ihrer Facebook-Community. Und schon verschwindet sie hinter Büschen und Gestrüpp. Auf der Suche nach einem Nutria, dem sie den
Namen „Matrok“ gegeben hat . „Den kenne ich schon ewig, der ist aber immer viel unterwegs. Mal gucken, ob wir den heute treffen.“
Oben auf dem Spazierweg hört man plötzlich hecheln und murmeln. Ein hellbrauner Hund schnüffelt aufgeregt zwischen den Bäumen. Schnell richtet sich Barbara Hohpe auf. „Nehmen Sie bitte den Hund an die Leine. Hier herrscht Leinenpflicht“, ermahnt sie den Halter. Völlig überrascht von der plötzlich auftauchenden Gestalt, greift der Mann nach seinem Hund und zieht ihn vom Ufer des Sees zurück auf den schmalen Asphaltweg des Parks. Entschieden rückt Hohpe ihre Brille zurecht und murmelt: „Diese verwöhnten Viecher. Jagen hier die Wildtiere und verschrecken alle.“ Bis zu zehn tote Tiere sammle sie pro Woche ein. „So viel zum Thema ‚die Nutrias haben keine Feinde’“, schnaubt sie und schiebt energisch ihr Fahrrad weiter.
„Die Bejagung erfolgt durch qualifizierte und sehr erfahrene Jäger“ (Stadt Bonn)
Apropos Feinde: Seit Anfang März hat die Stadt die Jagd wieder aufgenommen. Isabel Klotz vom Presseamt der Stadt Bonn erklärt, grundsätzlich sei der Einsatz von Jagdwaffen im Naherholungsgebiet nicht gestattet, aber nun sei eine eingeschränkte Jagderlaubnis erteilt. Dies mache das Fangen und Transportieren der Tiere überflüssig. „Um unnötigen Stress für die Tiere zu vermeiden, hat sich die Stadt Bonn entschieden, mit Wiederaufnahme der Jagd die Tiere vor Ort zu erlegen.“
Barbara Hohpe ist verzweifelt. Sie und ihre Mitstreiter hatten sehr auf ein Einsehen der Stadt gehofft. Ende des Jahres starteten die Tierschützer die Petition „Sterilisation statt Tötung“. Auf der Plattform OpenPetition unterstützen derzeit bereits über 3900 Menschen ihren Vorschlag. Und auch der Tierschutzbund
Bonn spricht sich für Sterilisation und gegen Tötung aus. Die Stadt sieht in dem Vorschlag keine Lösung. Auf Anfrage heißt es dazu: „Ein Rückgang der Population durch Sterilisation ist nach Einschätzung der Experten*innen frühestens nach drei Jahren zu erwarten. Werden die Tiere wieder freigelassen, würden sie weiterhin gravierende Schäden am Ökosystem verursachen.“
„Nutria beißen nicht“ (Hohpe)
Es ist Nachmittag. Der Rheinauenpark füllt sich langsam. Im Hintergrund kreischen Kinder auf dem Minigolfplatz. Spaziergänger unterhalten sich. Ein weißer LKW liefert Getränkekisten in den Keller des Parkrestaurants. Barbara Hohpe hält an einer kleinen Seengruppe, die mit Brücken verbunden ist. Unten am schlammigen Seeufer hat sie einen Berg aus Möhren, Brot und Salat entdeckt. Sie lehnt das Rad an das Geländer der kleinen Brücke. In Sichtweite leuchtet ein weißes, rundes Schild mit rotem Rand. Ein roter Balken zieht sich über Symbole von Fisch, Vogel und Nutria. Darunter die Textzeile „Bitte halten Sie sich an
das Fütterungsverbot“. „Haben Sie neu aufgestellt“, sagt die Tierschützerin und deutet auf das Schild, während sie eilig das Futter wegräumt. „Bringen aber nix.“ Mit diesen Worten ist sie schon wieder oben. Beide Hände voller Grünzeug schiebt sie sich die Brille mit dem Ellenbogen hoch.
Anfang März hat die Stadt ein Fütterungsverbot verhängt. Eine Maßnahme, die Barbara Hohpe unterstützt. Von der Wirkung überzeugt ist sie aber nicht. „Hält sich eh keiner dran.“ Ein größeres Nutria schwimmt vom See hin zum Ufer. Hohpe eilt runter zur Wasserkante, streckt ihre nun wieder leere Hand aus. Von der Brücke schaut eine Mutter mit zwei Kindern herunter. Die Kinder fragen, ob sie auch zum Tier dürfen oder ob es vielleicht beißt. Ihre Mutter antwortet „Bleibt mal schön bei mir oben. Das ist ein Nutria.“ Ohne zu zögern wendet sich Barbara Hohpe an das Kind und versichert: „Die beißen nicht. Das sind ganz liebe,
neugierige Tiere.“ Sie zieht den Gurt ihrer Kamera fest über die Schulter und schwingt sich wieder auf das Rad. Morgen früh um sechs wird sie wieder hier sein. „Der Krieg geht weiter“, da ist sie ganz sicher.
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