Heilkräfte und Hass
Auf einem abgelegenen Hof in Oberösterreich treffen sich jeden Monat Menschen aus der Esoterikszene zu einem sogenannten „Channeling-Seminar“. Ein Medium soll dort Botschaften aus einer höheren Sphäre übermitteln. Doch diese Botschaften werfen Fragen auf. Denn Spiritualität und rechtes Gedankengut gehen hier Hand in Hand.
von Franzi Mödl und Hannah Tahedl

Anastasia-Land, Bild: anastasialand.at
Der Weg zum Hof führt über eine schmale Landstraße in Oberösterreich. Rechts erstrecken sich grüne Maisfelder, links wechseln sich Waldstücke mit abgeernteten, braungrauen Äckern ab. Zwischen den Feldern stehen vereinzelt ein paar Bauernhöfe. Am Horizont zeichnen sich die Berge vor dem wolkenverhangenen Himmel ab. Inmitten dieser Landidylle: ein weitläufiges, 6.000 Quadratmeter großes Grundstück mit zwei Häusern, Traktor, Baumhaus und langen Gemüsebeeten. Davor sind selbstbemalte Schilder an einem Baumstumpf befestigt. In schwarzer, verschnörkelter Schrift, stehen darauf die Worte: „Agrar-“, „Bildungs-“, und „Werkstatt“. Das unterste, halb von Blättern verdeckt, trägt die Aufschrift: Anastasialand. Eine Anspielung auf die völkisch-esoterische Anastasia-Bewegung.
Es ist ein verregneter Samstag im Juni. Auf dem Hof rollt am frühen Nachmittag ein Auto nach dem anderen über den Schotterweg, durch eine von Bäumen gesäumte Einfahrt. Den Kennzeichen nach kommen die Besucher:innen aus den umliegenden Dörfern, einige aus Salzburg, ein paar auch aus Süddeutschland. Etwa 20 Menschen steigen aus. Sie begrüßen sich wie alte Freunde, umarmen sich, tauschen Neuigkeiten aus. Einmal im Monat trifft sich die Gruppe hier. Die meisten sind über 50, keiner jünger als 30. Einige sehen mit ihren Latzhosen und Gummistiefeln so aus, als kämen sie direkt von den Bauernhöfen nebenan. Andere tragen entspannte Yogahosen und bunte Oberteile. Gemeinsam betreten sie das alte Holzhaus. Der Innenraum wirkt mit der Kreidetafel und den bunten Plakaten wie ein improvisiertes Klassenzimmer. Und das war er auch: Während der Corona-Pandemie fand hier inoffizieller Unterricht statt – nach Montessori-Prinzipien. Auf einem der Plakate steht in bunten Lettern: „Die vier wichtigsten homöopathischen Notfallmittel“. Bei Snacks und Kaffee plaudern die Ankömmlinge noch eine Weile, dann lassen sie sich auf den Stühlen nieder.
Alle Blicke richten sich gebannt nach vorne – zu der Frau, wegen der sie heute hier sind. Sabine Richter, 61 Jahre alt, trägt einen blauen Pullover. Ihre Beine sind in eine flauschige Decke gehüllt, in den Händen hält sie einen handgroßen, glänzenden Bergkristall. Stille im Raum. Was jetzt folgt, ist der Gruppe vertraut: Sabine Richter schließt die Augen und beginnt, ihren Oberkörper in sanften, kreisförmigen Bewegungen zu wiegen. So, sagt sie später, stelle sie die Verbindung zu einer höheren Bewusstseinsebene her, zu Wesen aus einer anderen Sphäre. Für die Anwesenden ist Richter jetzt nur noch das „Medium“, ein Kanal in eine andere Welt. Mit geschlossenen Augen beginnt sie zu sprechen – oder besser: zu übertragen. Ihre Stimme verändert sich, wird heller, fast kindlich. Ihr sonst markanter fränkischer Dialekt ist verschwunden: „Wir begrüßen euch vom goldenen, vom türkisfarbenen, vom weißen, vom gelben, vom rosafarbenen und rubinfarbenen Farbstrahl. Wir wünschen euch einen schönen Tag und bitten euch, eure Fragen an uns zu richten, damit wir euch dienen können.“
Damit beginnt das Channeling. Seit 2015 lädt Sabine Richter einmal im Monat zu diesen kostenlosen „Channeling-Nachmittagen“ auf dem Anastasialand ein. Jedes Treffen steht unter einem anderen Thema, zu dem die Teilnehmenden Fragen stellen können. Die Antworten, sagt Richter, empfange sie aus einer anderen Bewusstseinsebene. Die Fähigkeit, sich mit dieser Welt zu verbinden, begleitet sie seit ihrer Kindheit: „Ich konnte schon als Kind Dinge wahrnehmen, die andere nicht gesehen haben. Für mich war es normal, mich mit Wesen im Garten zu unterhalten.“
Rupert stellt die erste Frage. Der kräftig gebaute, grauhaarige Mann, sitzt breitbeinig in der ersten Reihe. Zwischen seinen Beinen lehnt eine Krücke. Er trägt eine schwarze Jeans und ein olivgrünes Oberteil. Seine rauen Gesichtszüge und kräftigen Hände verraten, dass er sein Leben lang draußen in den Feldern gearbeitet hat. Er ist Betreiber des Hofes und Anhänger der völkisch-esoterischen Öko-Sekte Anastasia.
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Immer wieder hustet er laut in den Raum, räuspert sich, atmet schwer. Dann beginnt er zu sprechen: „Unser Thema heute wäre die Kulturen in der 5D. Wir haben momentan, seit Jahren, eine Durchmischung unserer Völker. Und jedes Volk, jede Rasse, wenn man es so nennen darf, hat ihre eigene Kulturart. Wo es jetzt in der 4D nicht funktioniert, wie soll es in der 5D funktionieren?“
Das Wort „Rasse“ fällt – keiner reagiert. Der Begriff scheint hier niemanden zu stören.
Was mit 4D und 5D gemeint ist, erklärt Sabine Richters Antwort: Die Menschheit stehe vor einem Wandel. Einige würden in ein höheres Bewusstsein übertreten – von der vierten in die fünfte Dimension. Die Gesellschaft spaltet sich, sagt sie, in „Erwachte“ und „Schlafende“, in jene, die „mitgehen“ in die nächste Dimension – und jene, die zurückbleiben.
Nach und nach trauen sich immer mehr Teilnehmende, ihre Fragen an Sabine Richter zu stellen. Im weiteren Verlauf des Channelings fallen nun Begriffe wie „Frequenzebene“, „Reinkarnation“, „sechsdimensionales Bewusstsein“ – und dazwischen: Immer wieder rechte Narrative.
Ein Teilnehmer fragt, warum bestimmte „Völker“, nicht gut miteinander auskommen. Das „Medium“ holt tief Luft und beginnt einen ausführlichen Monolog: Die Erde ist aufgeteilt in verschiedene Farbräume. Menschen, die aus einem „feurig-roten Farbraum“ kommen, sind laut, impulsiv, körperlich. Sie essen scharfes Essen und haben ein „aktives Liebesleben“. In diesen Gebieten gilt: „Angriff ist die beste Verteidigung“, denn, so spricht Richter weiter: „Dieses Volk konnte stets nur auf diese für sie typische Weise, im Sturm, andere Völker erreichen.“ Treffen die „feurigen Menschen“ auf andere Energieräume, geprägt von Ruhe, Beschaulichkeit, Integration und Verständnis, würden unüberbrückbare Gegensätze entstehen. „Diese beiden kulturellen Situationen werden niemals zueinander finden.“, mahnt Sabine Richters Stimme durch den Raum. Der Monolog endet mit den Worten: „Es wäre gut, ein Konzept zu entwickeln, sie in ihren Feuerräumen wieder abzusetzen.“ Kurz darauf der Aufruf: „Geht dorthin, wo Störer sind, und klärt das. Denn das ist euer Recht in euren Umräumen, wenn ihr dort nicht vernichtet werden wollt.“
Aus früheren Channelings, die Richter auf ihrer Website veröffentlicht, geht hervor: Der genannte „feurig-rote Farbraum“ und die „feurigen Menschen“, stehen für eine Kultur, die sie als „arabisches Volk“ und den Islam bezeichnet.
Nach dem vierstündigen Channeling sitzen die Teilnehmenden in kleinen Gruppen beisammen und tauschen sich aus: über Pendel und Aminosäuren, Homöopathie und Auren, aber auch über Politik. Eine zierliche Frau um die fünfzig mit kurzen Haaren sagt, der Staat wolle „ehrliche Menschen wie sie nicht“. Ein Mann, mit Bierflasche in der Hand, erzählt, er habe durch das Channeling verstanden, warum er „laute Afrikanerinnen im Bus nicht leiden kann“. Darauf angesprochen, weist Sabine Richter jede Verantwortung zurück. Was die Anwesenden aus den Botschaften machen, liege nicht bei ihr: „Ich habe überhaupt keine Absicht, Einstellungen zu verändern und ich habe auch keine Einstellung im Channeling.“ Sabine Richter urteile nicht. Jede Person könne ihre eigene Wahrheit haben – selbst dann, wenn sie rechtes, autoritäres oder rassistisches Gedankengut enthält. „Vielleicht sagt ein Reichsbürger irgendwas, was im persönlichen Erleben gar nicht mal unwahr, ja, nicht unweise ist“, sagt Richter. Dass immer wieder zwei ehemalige Reichsbürger ihr Seminar besuchen, erwähnt sie beiläufig. Es scheint sie nicht zu stören.
Diese vermeintliche Offenheit – auch gegenüber Reichsbürgern – ist in esoterischen Milieus keine Ausnahme. Widerspruch bleibt meist aus, selbst bei verschwörungsideologischen oder demokratiefeindlichen Aussagen. Genau das kritisieren Expert:innen wie Matthias Pöhlmann. Der Sektenbeauftragte und Extremismusexperte warnt in seinen Veröffentlichungen zu rechter Esoterik seit Jahren vor den politischen Grauzonen der Esoterikszene: „Esoterik ist ein trojanisches Pferd für extremes Denken.“ Das Problem sei nicht nur der Inhalt, sondern auch die Haltung: „Gleichgültigkeit ist das Problem. Dass man sich eben nicht abgrenzt, sondern sagt: Do your own thing.“
Laut Pöhlmann ist die rechtsesoterische Szene vielschichtig. Sie vermischt spirituelle Ideen mit völkischem Denken, Verschwörungsmythen und Misstrauen gegenüber Staat und Wissenschaft.

Bild: Matthias Pöhlmann
In Telegram-Kanälen tauschen sich Impfgegner:innen über energetische Heilmethoden gegen angebliche Impf-Schäden aus – und sprechen gleichzeitig von einer „dunklen Elite“, die das Weltgeschehen kontrolliere. Anhänger:innen der US-amerikanischen Verschwörungsbewegung QAnon deuten Tarotkarten als Bestätigung ihrer Umsturzfantasien. Und in Kreisen der Reichsbürger ist von Erdchakren, kosmischen Gesetzen und göttlicher Ordnung die Rede, die angeblich durch das Grundgesetz gestört werde.
Was diese Strömungen eint, ist ein „absoluter Erkenntnisanspruch“, so Pöhlmann. Esoterik beanspruche ein Wissen, das nur „Eingeweihten“ zugänglich sei – und stelle sich damit über die Wissenschaft.
„Der Kit, der die unterschiedlichen Szenen, von Impfgegnern über Anthroposophen bis zu Reichsbürgern, zusammenhält, ist das Misstrauen. Gegen Medien, Politik, Wissenschaft.“
Matthias Pöhlmann
Esoterik ist längst kein Randphänomen mehr. Pöhlmann spricht von einer „Esoterisierung der Gesellschaft“ als Symptom einer krisenerschütterten Gegenwart. In Zeiten von Krieg, Klimawandel und wirtschaftlicher Unsicherheit bieten einfache Welterklärungen und spirituelle Heilsversprechen vermeintlichen Halt. Dennoch betont er: „Es ist wichtig zu differenzieren – nicht jeder, der sich mit Esoterik beschäftigt, ist automatisch rechtsextrem.” Menschen aus der Szene positionieren sich aktiv gegen rechte Vereinnahmung, so auch die Runenhex, eine germanische Schamanin, die vor dem Missbrauch spiritueller Symbole durch Rechtsextreme warnt.
Am Ende des Nachmittags hat es aufgehört zu regnen. Einige sind schon zum Abendessen aufgebrochen. Sabine Richter spaziert mit ihrem Hund und vier Frauen über das Grundstück. Sie gehen vorbei am Holzhaus, in dem das Seminar stattfand, an einer Scheune und einem kleinen Fachwerkhaus, das gerade von einem jungen Paar renoviert wird – hinaus zu den weitläufigen Gemüsebeeten. Die Frauen reden über das, was sie jeden Monat hierherführt. Das Gefühl, nicht dazuzugehören.
„Wir wurden ja alle schon mal als Spinnerinnen bezeichnet“, sagt eine der Frauen mit grauem, krausem Haar und lacht. Die anderen lachen mit. Der Trubel der Städte sei ihnen zu viel, Sabine Richter erzählt von ihrer Zeit in Nürnberg: „Ich bin mal ein Jahr lang kaum mehr zur Tür raus, weil ich’s überhaupt nicht mehr ausgehalten hab, draußen zu sein.“
Hier, zwischen Wiesen, Beeten und Feldern, ist all das weit weg. Keine skeptischen Fragen, keine verwirrten Blicke. Kein Widerspruch. In der Abgeschiedenheit, unter Gleichgesinnten, fühlen sie sich gesehen. Die Frauen verabschieden sich, steigen in ihre Autos. In ein paar Wochen werden sie sich hier wiedersehen – auf dem Anastasialand in Oberösterreich.

Franzi Mödl & Hannah Tahedl
Während unserer Recherche sind wir tief in die Esoterik-Szene eingetaucht. So tief, dass Franzis Zukunft bei einem Runenwurf mit Hühnerknochen vorausgesagt wurde – sie wird anscheinend mal Chefin. Innerhalb einer Woche haben wir die Runenhex und den Anastasia-Hof besucht. Zwei Gegensätze, die uns noch lange im Gedächtnis bleiben werden.