In den Revieren entsteht ein Konflikt: Junge Jäger hinterfragen Traditionen und setzen vermehrt auf Technik.
Doch was passiert, wenn alte Werte auf die neue Welt treffen?
Von Florian Seydel

Der Boden ist feucht vom Regen der letzten Tage, das Laub gibt leise unter seinen Stiefeln nach. Mit langsamen Schritten geht Raphael Olipitz den schmalen Pfad entlang, vorbei an dichten Büschen und schlanken Baumstämmen. Der Hochsitz zeichnet sich als dunkle Silhouette gegen den Himmel mit der untergehenden Abendsonne ab. Er bleibt kurz stehen, lauscht. Nichts als das leise Rauschen der Blätter in der kühlen Abendluft. Dann setzt er den Fuß auf die erste Sprosse, das Holz knarrt unter seinem Gewicht. Oben angekommen, setzt er sich auf einen kleinen Schemel, lehnt das Gewehr vorsichtig und gesichert an die Wand. Ein tiefer Atemzug. Dann ist alles ruhig, nur er, der Wald und seine Gedanken. Hin und wieder hört man einen Vogel zwitschern.
Jagd als Naturschutz
Raphael ist einer von insgesamt rund 460.000 Jägern in Deutschland und einer von ca. 2000 Jungjägern, der im Jahr 2024 seine Prüfung in Baden- Württemberg angetreten und bestanden hat. „Das Arbeiten mit und in der Natur hat mir schon immer Freude bereitet, ich arbeite auch beruflich im biologischen Umfeld und bin Hobbyimker, da war die Jagd für mich der natürliche nächste Schritt, um mich im Naturschutz weiter zu engagieren. Auch meine familiäre Verbundenheit durch meinen Schwiegervater und durch meine Frau haben mich zu der Entscheidung bewegt“, flüstert der Jungjäger, während er mit seinem Fernglas das vor ihm liegende, schon gegrubberte Feld beobachtet.
Mit diesen Motiven steht Raphael nicht alleine, angewandter Naturschutz, Alltagsausgleich und eine gesunde, nachhaltige Ernährung durch selbst geschossenes Wildbret sind die allgemeinen Hauptmotive für Nachwuchsjäger, das sogenannte „grüne Abitur“ in der heutigen Zeit zu absolvieren. Für ihn selber war die Vorbereitung auf die Jagdprüfung sehr hart, er hat einen immer beliebter werdenden, dreiwöchigen Kompaktkurs absolviert. Jeden Tag fand von 7-20 Uhr der Unterricht statt, die Wochenenden waren dem Lernen vorbehalten. Ältere Generationen schauen mit Skepsis auf diese neue Art der Jagdkurse, denn viele bezweifeln, dass man innerhalb von drei Wochen in der Lage ist, sich das wertvolle Wissen rund um die Jagd nachhaltig einzuprägen. Sie haben sich das Wissen damals noch in langwierigen Abendkursen angeeignet. In der heutigen Zeit und mit seinem Beruf, sei das allerdings, für ihn zumindest, undenkbar und unmöglich.
Technik als Hilfsmittel
Die Sonne verschwindet nach und nach hinter den Baumwipfeln und die Konturen des Waldes verschwimmen zunehmend in der Dämmerung. Das Feld vor ihm löst sich fast in der Dunkelheit auf, nur der Mond spendet noch Licht, um mögliches Schwarzwild zu erspähen. Raphael nimmt sein Gewehr und bringt sein Nachtsichtvorsatzgerät an, um sich an die äußeren Gegebenheiten anzupassen. Der Jungjäger erläutert beim Anbringen des Geräts: „Ich schätze die Tradition an der Jagd sehr, aber der technologische Fortschritt hilft bei der waidgerechten Durchführung der Jagd. Durch Nachtsichthilfen können wir das Wild effizienter und humaner erlegen oder bei der Nach- und Totsuche schneller und wirksamer handeln. Die Technologie ist allerdings immer nur so gut, wie der Mensch
hinter der Waffe.“
Während Raphael weiter regungslos auf dem Hochsitz verharrt, brennt einige Kilometer weiter noch eine Schreibtischlampe. Ein Stapel Akten liegt daneben und der Geruch von heißem Kaffee vermischt sich mit dem erdigen und ursprünglichen Geruch der verschiedenen Geweihe an der Wand. Kreisjägermeister Reinhold Gosejacob lehnt sich in seinem Stuhl zurück und seufzt. Es gibt noch viel am heutigen Abend zu tun, denn die Jagd sei natürlich ein Hobby, allerdings auch viel Verantwortung und Arbeit, sagt der Altjäger in der Pause zwischen zwei Aktenordnern. „Diese Arbeit übernehmen wir Altjäger“, erläutert der 76-Jährige. „Die Jüngeren müssen erst die nötige Erfahrung sammeln, außerdem sind sie meistens noch sehr beruflich und familiär gebunden, das schaut bei Älteren wie mir dann natürlich anders aus“, erklärt der bereits in Rente gegangene Rechtsanwalt mit einem Schmunzeln im Gesicht.
Jagd als Statussymbol
Zu seinem Aufgabengebiet gehört die Leitung der Prüfungskommission der Jagdprüfung, die Beratung des Landkreises in Jagdfragen, sowie der Vorsitz des Jagdbeirates, der die Interessen von Landwirtschaft, Jagd und Naturschutz vertritt. Mit Hinblick auf die kommenden Jagdprüfungen erklärt er, dass er selber auch kein Freund des Kompaktkurses sei, aber es in der heutigen Zeit nun mal so sei und sich die ältere Generation damit abfinden müsse, dass das Wissen anders vermitteln wird als zu seiner Zeit. In seinem Landkreis würden viele junge Leute einen Jagdschein machen, auch wenn ihn die Motive in einzelnen Fällen nicht überzeugen, denn „einige Jüngere betrachten die Jagd nur als Statussymbol, so wie früher Tennis oder Golf. Sie betreiben nur reine Trophäenjagd und ignorieren den Natur- und Wildschutz komplett.“
Gedankenversunken lässt Reinhold seinen Blick über seine Trophäen schweifen, zwischen ihnen hängt sein altes Jagdhorn. Sein Blick bleibt auf diesem hängen als er erzählt: „Das Jagdhornblasen ist für mich Tradition, die unumstößlich ist, ich nehme die Jungjäger, die ich kenne, auch immer dazu mit, dort werden sie sofort mit eingebunden und können sich einen Ruf aufbauen und sich bekannt machen.“ Eine weitere Möglichkeit, sich als Jungjäger mit einzubringen, sind die sogenannten Hegeringe, also die regionalen Zusammenschlüsse der Jägerschaften. Reinhold hält den Anschluss eines Jungjägers an seinen Hegering für essenziell, dort werden sie mit offenen Armen von den Altjägern empfangen, können von ihnen lernen und Kontakte knüpfen, um auf die verschiedenen Jagden im Verlauf des Jahres eingeladen zu werden. „Das größte Konfliktpotential zwischen Jung- und Altjägern besteht aus der schon immer existierenden Besserwisserei der Jungjäger und dem generell vorherrschenden starken Neid unter Jägern“, sagt der Kreisjägermeister mit einem resignierenden Ton in der Stimme. Er selber jage mit niemandem, egal ob Jung oder Alt, welcher dem anderen das Wild neidet, da komme es auch nicht auf die Erfahrung an.
Jagd braucht Engagement
Zwischen den Akten und dem Kaffee macht es plötzlich „Ping“, Reinhold Gosejacob greift zu seinem Telefon, dreht es um und blickt auf den hellen Bildschirm, welcher das dämmrige Licht in seinem Büro durchbricht. „Ac,h nur die Jagdwetterapp“, murmelt er. Auch er nutzt die neueste Technologie für sein Hobby, allerdings müsse man sie mit Vorsicht genießen. „Gerade bei der Nachtsichttechnik muss man mit Verstand arbeiten. Die übermäßige Nutzung schadet dem Wild!“. Die Mondphasen, so sagt er, müssen für jeden vernünftigen Jäger zur Sicht ausreichen. Das Wild muss auch zur Ruhe kommen können und darf nicht jede einzelne Nacht während der Jagdzeit bejagt werden.
Reinhold Gosejacob legt das Handy wieder weg, er schließt den letzten Ordner, die Papiere darin rascheln leise. Ein tiefes Seufzen entfährt ihm, als er sich zum letzten Mal an diesem Abend in seinen Schreibtischstuhl zurücklehnt. Er reibt sich über seine müden Augen, lässt sie dann über sein Büro schweifen und resümiert „Die Zeiten in der Jagd ändern sich, aber es ist auch eine Chance für die Jagd. Die Jungjäger bringen ein Wissen mit in dieses Gebiet, mit dem sich viele Ältere gar nicht mehr auseinandersetzen wollen. Dies hilft vor allem der Natur und das ist das Wichtigste.“ Er hoffe nur, dass das Engagement der zukünftigen Generationen mehr werde, damit sie ihr Wissen auch implementieren.
Während der Kreisjägermeister aus seinem Stuhl aufsteht, das warme Licht seiner Schreibtischlampe löscht und zufrieden in Richtung seines warmen Bettes geht, sitzt Raphael Olipitz noch auf seiner in Dunkelheit gehüllten Kanzel. Raphaels Büchse lehnt nach wie vor ungenutzt an der gleichen Position wie zu Beginn des Abends, es hat sich kein Stück blicken lassen. „Solche Abende gibt es nun mal“, murmelt er leise. „Das ist auch gar nicht schlimm, denn man muss nicht immer etwas erlegen.“ Mit einem tiefen Seufzer schaut er noch ein letztes Mal über das Feld und sinniert über die Jagd: „Die ältere Generation hat schon vieles richtig gemacht, sowohl im Hinblick auf den Umgang mit dem Wolf zum Beispiel, als auch bezüglich der Hege des Wildes und der Arbeitssicherheit für Jäger. Ich will gerne von ihnen lernen, aber möchte auch, dass sie mich ernst nehmen.“ Er wünsche sich mehr Toleranz gegenüber der Jagd in der Politik. Er habe den Eindruck, dass viele bürokratische Hürden die Jagd unnötig erschweren. Er verlässt zufrieden den Hochsitz, jede Sprosse der Leiter knarzt wie am Anfang. Der Wald wird ihn noch viele Jahre begleiten. Vorbei an denselben Büschen und Sträuchern wie vorhin bahnt er sich seinen Weg zum Auto. Es zieht ihn jetzt in sein warmes Zuhause, dort warten sicher schon sein Hund und seine Frau sehr ungeduldig auf ihn.
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