Umwelt(ge)recht?
Aktivismus, Justiz oder Forschung – Engagement für den Umweltschutz findet vielerorts statt und wird von Menschen mit den unterschiedlichsten Hintergründen durchgeführt. Wie fühlt es sich an, im Kampf für den Umweltschutz an vorderster Front zu stehen? Ein Lagebericht.
Von Mona Hinrichs, Patricia Nägele und Lena Binder
Passau: Macht der Umweltplanungsbüros
Die Sonne lugt über die Baumwipfel am Horizont und taucht die taubefeuchteten Wiesen neben der Straße in goldgelbes Licht. 71 km/h. 73 km/h. 28 km/h. Bahram Gharadjedaghis lilablauer Kombi kommt an einem kleinen Forst, in der Nähe Passaus, zum Stehen. Kratzer zeichnen sich über die Kotflügel und Flecken von getrocknetem Matsch zieren den Lack am Heck. Für seinen Job muss er vor allem Feld- und Waldwege nutzen. Die Fahrertür öffnet sich. Der Biologe und Inhaber eines Umweltplanungsbüros, ein T-Shirt mit Yoda-Aufdruck, eine ausgeblichene Schirmmütze über das graue Haar gestülpt, stemmt sich aus dem Wagen.
Oben in den Bäumen zwitschert und flötet es. Bahram hat ein Klemmbrett dabei. Darauf befestigt er eine Karte des Gebiets und ein weißes Blatt. Er beginnt, krakelige Abkürzungen auf das blanke Papier zu kritzeln. „Das war ein Rotkehlchen“, sagt Bahram leise, um die Tiere nicht zu verschrecken. Eine neue Melodie ertönt aus einer der Tannen. „Ein Zilp Zalp“, erklärt Bahram fast flüsternd. „Der heißt, wie er singt.“ Pfeifend imitiert Bahram den Gesang.
Der Biologe stapft über umgestürzte Bäume, durch dichte Sträucher und lässt mit jedem Schritt umherliegende Äste knacken. An seiner Hose verhaken sich Brombeerranken. Unbeirrt reißt sich Bahram los, schreitet voran. Im Laufen erklärt er grinsend: „Ich trage hier absichtlich nicht die beste Kleidung“. Bahram macht vor einer schwarzen Gummimatte auf dem Boden halt. Die Matte ist etwa einen Meter lang und einen halben Meter breit. In Plastikfolie eingeschweißt, klebt darauf das Schwarz-Weiß-Bild eines Salamanders – dies sei zur Warnung da, erklärt der Umweltplaner. „Damit niemand einfach drauftritt.“ Schnell, und dennoch vorsichtig, hebt er die Matte an und schaut darunter: Unbewachsener, blättriger, ansonsten blanker Waldboden. Der Biologe zeigt auf eine Stelle zwischen den Blättern und Nadeln. Etwas, das aussieht wie Reiskörner, klebt an einem Blatt. „Das sind Ameiseneier“, klärt Bahram auf.
Die dunklen Matten würden sich schon bei leichter Sonneneinstrahlung aufheizen. „Salamander legen sich gern hier hin, um Energie zu tanken. Ameisen nutzen das aber auch gern als geschützten Ort für die Eiablage.“ Bahram wirkt enttäuscht, als er die Matte wieder über die Eier deckt. Er steht bei der letzten der Matten, die er im Forst verteilt hat. Salamander hat er heute noch keinen auf seine gekrakelte Liste setzen können. „Sonst habe ich hier mehr gesehen“, sagt er bedrückt.
Bahrams Mission in diesem Forst ist die Durchführung einer speziellen artenschutzrechtlichen Prüfung. Er arbeitet dazu mit der aktuellen Gesetzeslage, schaut, welche der geschützten Arten sich im Forst befinden. Diese Gesetzeslage versucht Jürgen Resch, der Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, schon seit mehr als 40 Jahren zu verändern. Etwa 4.000 Gerichtsverfahren hat er zum Thema Umwelt-, Klima- und Artenschutz bereits geführt.
Radolfzell am Bodensee: Die Macht der Deutschen Umwelthilfe
Vögel kreischen. Eine Krähe attackiert einen Greifvogel, vielleicht einen Bussard. In der Ferne über den Kronen eines bewaldeten Hanges kreist ein Rotmilan. Versteckt in einem kleinen Industriepark in Radolfzell am Bodensee liegt das Büro der Deutschen Umwelthilfe. Sehen kann man den See von dort aus nicht.
Betongegossene Stufen führen zur Eingangstür des großen beige-gelben Hauses. Die Tür ist nur angelehnt, eine richtige Klingel gibt es nicht. Im zweiten Stock: Zwischen geschäftig umherlaufenden Beinen tapst ein Hund von einem Büroraum zum Nächsten, an verschlissenen Holzmöbeln und Pflanzen in Tontöpfen vorbei. Wenige Meter neben der Tür, durch die der Hund gerade verschwunden ist, öffnet sich eine weitere. Ein älterer weißhaariger Mann in einer marineblauen Fleecejacke tritt grinsend heraus: Jürgen Resch.
„Ich bin mit Rotmilanen persönlich befreundet. Wir pfeifen uns immer so kleine Liedchen zu.“ – Jürgen Resch
Der Umweltschützer bleibt für einen kurzen Moment stumm, schluckt und lächelt dann schief. Heute morgen habe er eine Zahnbehandlung gehabt, erklärt er. Trotzdem nimmt er sich Zeit. Einer der bekanntesten Kläger Deutschlands spricht über seine Macht. Macht, die er für die Natur einsetzt.
Ihre Schönheit und Verletzlichkeit entdeckte Resch schon 1982, im Alter von 22 Jahren, als Zivildienstleister und freier Mitarbeiter der Schwäbischen Zeitung am Bodensee. Er stellte ein „rätselhaftes Vogelsterben“ fest und veröffentlichte seine Beobachtungen.
„Da hat eine Singdrossel sehr schön gesungen“, erinnert sich Resch. Die habe er für eine Besucher*innengruppe mit dem Fernrohr scharf gestellt. „Die saß ohne Angst direkt vor uns. Dann hat sie Krämpfe bekommen und ist zu Boden gefallen.“ Damals habe er sich auch um kranke und verletzte Vögel gekümmert. „Ich habe versucht, sie zu beruhigen, ihr etwas zu geben, aber sie ist dann qualvoll gestorben.“ Es liegt dabei etwas Rechtfertigendes in seiner Stimme.
Nach seiner Veröffentlichung seien weitere Mitteilungen aus dem Umfeld aufgetaucht. Vielerorts habe man Ähnliches beobachtet, wie Resch bei der Singdrossel. Resch habe dann dazu aufgerufen, ihm die Vögel zuzusenden. Daraufhin meldete sich ein Informant. Er stellte sich als ein Angestellter des Landwirtschaftsministeriums heraus. Dieser riet ihm: „Suchen Sie mal nach dem Wirkstoff Endrin“. Tatsächlich konnten Resch und weitere Verbündete diesen Wirkstoff nachweisen. Chemische Industrie und Landwirtschaft prognostizierten damals einen Zusammenbruch des Erwerbsausbaus durch ein Endrin-Verbot.
Daraufhin reiste Resch zu einer einer Sitzung der Biologischen Bundesanstalt in Braunschweig. Im Gepäck: ein schwarzer Müllsack voll toter, gefrorener Mäusebussarde und Turmfalken. Den Sachverständigen, ein Großteil Vertreter*innen der Industrie, legte er dann jedem*jeder zu Beginn einen der toten Greifvögel auf den Tisch. „Die haben protestiert, natürlich. ‘Unerhört!’ Aber keiner hat gewagt, den anzufassen“, erinnert sich Resch begeistert. „Wir hatten dann eine mehrstündige Anhörung über den Vogeltod am Bodensee.“ Schon kurze Zeit später beschloss der Bundestag das Verbot – durch Reschs Kampagne.
Mit Erfolg? Zwischen 1980 und 2012 starben in der Bodenseeregion acht Arten aus. Dennoch zeigen Schutzgebiete und weitere Projekte Wirkung: 17 Arten konnten sich erneut oder erstmalig am Bodensee ansiedeln, ein Beispiel ist der Wanderfalke (Quelle: Max-Planck-Institut).
Drei Jahrzehnte im Umweltschutz liegen hinter Resch. Dreißig Jahre voll spannender, aber auch emotionaler Begegnungen. Marlene hat er bis heute nicht vergessen. 2019 schrieb ihm die damals 11-Jährige einen Brief, indem sie ihn um Hilfe bat. Ihr Ziel: Die Bundesregierung aufgrund mangelnder Klimaschutzpolitik verklagen.
Ihr wollt mehr zu Marlenes Geschichte und Reschs Erlebnissen in 35 Jahren als Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe erfahren? Schaut in unser Video rein!
Als Anwalt auch Aktivist? Lawyers4Future!
Während Reschs heutige Leidenschaft für Klimaklagen 1982 mit seinen Sorgen um die Biodiversität und den Artenschutz am Bodensee entstand, manifestierte sich das Engagement des Umweltanwalts Philipp Schulte in der Mitbegründung von Lawyers4Future.
Schulte trägt Vollbart, etwas zerzauste Dreadlocks und kantige Brillengläser. Wild gestikulierend lehnt er sich in seinem Bürostuhl zurück, als er bemängelt: „Der Begriff der „Klimaklage“ ist zu einem geflügelten Wort geworden.“ Getragen wird dies von Persönlichkeiten wie Resch. Ohne sie können Umweltanwält*innen wie Schulte oftmals nicht vor Gericht ziehen.
Um ein genaueres Bild zu erhalten, welcher Mechanismus hinter diesem Begriff der Klimaklage steckt, schaut gerne unser Erklärvideo „How to Klimaklage“.
Mit ethischen Konflikten habe Schulte als Anwalt nicht zu kämpfen. Wie in allen Rechtsgebieten gebe es auch dort zwei Seiten, erklärt er. „Man kann auch die Investorenseite vertreten. Die Inhalte sind immer die gleichen“, so Schulte. „Auf der Industrieseite gibt es entsprechend mehr Geld und natürlich mehr Leute, die das machen, größere Kanzleien“, kritisiert der Rechtsanwalt. Seine Kanzlei für Umweltrecht zieht dabei allerdings eine klare Linie. „Wir machen keine Mandate, die wir ökologisch nicht vertreten können!“
„Wir Umweltanwälte machen das immer mit einem ökologischen Anspruch, immer auf Seiten der Umwelt.“ – Philipp Schulte
Dass es Verfahren zum Klimaschutz gab, die von engagierten Menschen erkämpft wurden, sei richtig und großartig, beschreibt es Schulte. „Ich argumentiere natürlich mit den Beschlüssen und bin auch froh, dass es die gibt, sie haben aber nicht dazu geführt, dass in Deutschland weniger CO2 ausgestoßen wird.“ Das Wichtigste sei jedoch, dass dies zu einer Veränderung in unserem Verhalten führt, so Schulte. „Ich sehe die Versäumnisse bei der Legislative!“
Passau: Macht in der Praxis
Auch Bahram steht vor diesem Problem. Für den Biologen stellen die Gesetze zum Arten- und Umweltschutz in anderer Form sein Werkzeug dar als für Resch oder Schulte. Er ist auf ein gutes Regelwerk angewiesen. „Das Naturschutzgesetz ist überarbeitet worden – verschlechtert worden sozusagen – um Windkraft zu beschleunigen. Viele Arten, die grundsätzlich sensibel, gefährdet und selten sind, sind aus der Liste gestrichen worden“, bemängelt Bahram. Den besonderen Schutz habe man auf sehr problematische Arten eingeschränkt.
Für die Praxis bedeutet dies, dass Bahram in seinen Gutachten weniger Argumente in Form von schützenswerten Arten, Biotopen und Landschaften vorbringen kann, die durch ein neues Bauvorhaben weiter gefährdet würden. Die Naturschutzbehörde wird im Anschluss eher geneigt sein, das Bauvorhaben anstandslos durchzuwinken. Wenngleich der Behörde auch zu wenig Personal zur Verfügung stünde, um andernfalls tatsächlich die Umsetzung von Ersatzflächen und -maßnahmen zu prüfen. „Einen Mangel an Fachpersonal gibt es im Moment in vielen Bereichen“, klagt Bahram. Das Problem sei, dass das System für den Naturschutz so nicht funktionstüchtig wäre.
Bahram verstummt und lauscht. Wieder notiert er sich etwas. „Am Anfang ist es für die meisten schwer, die einzelnen Vogelstimmen herauszuhören. Es ist wie ein großes Konzert. Erst nach und nach hört man da die einzelnen Instrumente.“
„Ich bin auch Aktivist, ich kann das trennen.“ – Philipp Schulte
Schulte bezieht sich auch auf das Beispiel der Windkraftanlagen, um die Diskrepanz zwischen dem Klima- und Artenschutz zu erklären. Schultes Kolleg*innen und er würden die Energiewende nicht erschweren wollen. Er sieht allerdings auch Probleme: „Es gibt Windkraftanlagen, die werden zum Beispiel unmittelbar neben Vogelschutzgebiete gestellt“, seufzt er. Die Vorsicht in Bezug auf Standorte für Windkraftanlagen sei problematisch. „Da gibt es die verrücktesten Vereine, auch mit AfD-Unterwanderung.“ Schulte hebt mit ernstem Blick die Brauen. „Da muss man aufpassen, dass man nicht auf einmal die Nazis am Besprechungstisch sitzen hat.“
Berlin: Reschs Anwalt
Im Großstadtdschungel Berlins kämpft mit Remo Klinger ein weiterer Rechtsanwalt für den Umweltschutz. In seiner Kanzlei: Deckenstuck, hohe Bücherregale, knarzenden Holzdielen und alte Gemälde in goldenen Rahmen. Der hochgewachsene Jurist in dunklem Jackett lässt sich auf einem kleinen, blauen Sofa nieder.
„Wir versuchen Klima- und Umweltschutz auch auf juristischem Wege geltend zu machen – das ist eine Fassette, ein Baustein- aber das wertet nicht die anderen ab“, erklärt Klinger. Er lehnt es vehement ab, als Aktivist bezeichnet zu werden.
Klinger arbeitet seit Jahren mit Jürgen Resch, dem Chef der Deutschen Umwelthilfe. Ihre Zusammenarbeit beschreibt der Rechtsanwalt als großartig. Es herrsche ein tiefes Vertrauen zwischen den beiden und die Abstimmungswege seien kurz, Entscheidungen zügig getroffen und so wären sie schnell handlungsfähig, schwärmt Klinger.
Unternehmen vor Gericht
Die Deutsche Umwelthilfe verklagt dm:
Die Deutsche Umwelthilfe hat den umsatzstärksten Drogeriekonzern Deutschlands verklagt. dm hatte für sich mit den Begriffen “klimaneutral” und “umweltneutral” geworben. Noch dürfen die Begriffe von dm weiter verwendet werden. Das Landesgericht Karlsruhe wird jedoch in Kürze zu beiden Begriffen ein Urteil verkünden. Resch ist bezüglich dieser Klage hoffnungsvoll gestimmt. Ein positives Beispiel braucht man, auch wenn Verzweifeln keine Option ist, wie Resch betont.
„Es steckt ein extrem wichtiger gesellschaftlicher Baustein im Umweltrecht. Umweltschutz und Klimaschutz ist ein Megathema unserer Zeit. Es spricht Dinge an, die mir wichtig sind.“ – Remo Klinger
Spannend am Umweltrecht sei für Klinger, dass es die dynamischste Materie sei. Vor allem durch das Klimaschutzrecht. Da würden alle paar Monate neue Rechtsentwicklungen kommen. Das, was ihn am Umweltrecht reize, sei gerade die Komplexität. „Die Lieblingsrolle ist schon die des David gegen Goliath!“, prahlt der Rechtsanwalt.
Doch auch nach vielen erfolgreichen Klagen und Verhandlungen sind Remo Klinger und Jürgen Resch sich einig: Mächtig fühlen sie sich nicht.
Klinger sieht die Schwierigkeit im Umweltrecht darin, dass dieser Rechtszweig bis in die untersten Verwaltungsebenen über 10.000 Vorschriften beherbergt und damit eine sehr gehobene Komplexität aufweist. Es sei schwer, das Recht griffig zu machen und die juristischen Sachen in den Alltag zu übersetzen.
Herausforderung Umweltrecht
Die Umweltjuristin Christiane Gerstetter hat darauf einen anderen Blick. Eine Schwierigkeit liege darin, dass bei der Anwendung des Umweltrechts auch technische, naturwissenschaftliche Kausalzusammenhänge eine große Rolle spielen. Es sei wichtig, diese zu begreifen und aufzubereiten.
Gerstetter ist eine resolute Frau mittleren Alters. Ihre dunkelbraunen, leicht angegrauten Haare hat sie sich hinter dem Kopf zusammengebunden. Ihr Lächeln ist verhalten. „Juristisch gesehen macht es häufig keinen Unterschied, ob du ein kleines oder ein großes, machtvolles Unternehmen verklagst“, stellt sie klar. Dennoch sei es bei ihrer Arbeit von Bedeutung, abschätzen zu können, wie mächtig die Gegenseite sei und wie hoch die Chancen sind, bei bestimmten Unternehmen etwas bewirken zu können. Gerstetter ist Juristin bei ClientEarth, einer globalen Umweltrechtsorganisation. Ins Umweltrecht wäre sie dabei mehr oder weniger zufällig geraten, doch vor allem das Interesse an globaler Gerechtigkeit habe sie immer angetrieben. Auf die Frage, ob sie sich durch eben diese Arbeit als Aktivistin sieht, schüttelt sie bestimmt den Kopf. „Bei ClientEarth würden wir diesen Begriff Aktivismus nicht benutzen, […] wir sehen uns als juristische Experten, aber wir wollen natürlich die Welt zum Besseren verändern. Das ist etwas, das uns mit Aktivisten eint.“
Passau: Macht des Geldes
Bahram sieht dies ähnlich. „Es gibt immer wieder Menschen, die ein Bauprojekt durchsetzen wollen und uns fragen, ob wir ihr Gutachten nicht anpassen können.“ Der Biologe lehne solche Vorhaben kategorisch ab. „Ich verdiene mir meine Brötchen mit meinem Beruf“, erklärt er. So viel Einfluss habe er nicht auf das, was die Bauherr*innen letztendlich tun. Es liegt in seiner Macht, klar aufzuzeigen, welche Arten durch ein Projekt weiter gefährdet werden. „Das mache ich dann auch“, stellt Bahram klar. „Ich habe einige Auswahl an Projekten, die es zu betreuen gibt.“ So viele Umweltplanungsbüros gebe es nicht. „Wenn ich die Projekte bedenklich finde, dann nehme ich diese gar nicht erst an“, versichert der Biologe. Dass Bauvorhaben wieder gekippt würden, liege jedoch selten direkt an Umweltplanungsbüros oder der Naturschutzbehörde. Hier würden sich eigentlich immer Lösungen, zumindest im Sinne von Ersatzmaßnahmen, finden. Die Frage sei meist, ob diese bezahlbar wären. Mit dieser Möglichkeit könne man aber spielen, grinst Bahram.
Der Umweltplaner tritt am Waldrand aus dem Forst heraus. Er quetscht sich an einem Maschendrahtzaun vorbei auf ein verwildertes, an den Forst angrenzendes Grundstück. Bahram deutet auf ein Gartenhäuschen, das am Ende des Grundstücks steht. Die Farbe blättert von der Holzverschalung der verwahrlost aussehenden Hütte. Der Biologe wandert durch das hohe Gras. An der Laube angekommen, schiebt er seine Hand zwischen Dachpappe und Holz des Daches. Er späht in den Spalt. Das wiederholt er an verschiedenen losen Brettern und Abdeckungen der Hütte. „Keine Fledermäuse zu sehen“, schließt er und erklärt: „Das Grundstück hier untersuchen wir immer mit. Auch von den Tieren wird das mitgenutzt.“ Um die spezielle artenschutzrechtliche Prüfung im Forst vollständig abzuschließen, untersucht der Biologe auch die unmittelbare Umgebung. Findet er hier geschützte Arten, bieten ihm diese eine weitere Argumentationsbasis in seinem Gutachten. Aber: nichts.
Gerstetters ethische Beweggründe führten sie zu der internationalen Nichtregierungsorganisation für Umweltrecht. Dort hat die Juristin nicht nur deren Mission, sondern auch das Arbeitsklima, sowie die internationale Perspektive überzeugt. „Es tut gut, ein bisschen aus der deutschen Suppe rauszukommen“, erklärt sie. Zu sehen, wie andere Länder die Thematik angehen, sei sehr bereichernd.
„Natürlich würde ich mir wünschen, dass andere Länder unser Konzept der Landesumweltanwaltschaften übernehmen würden.“ – Gishild Schaufler
In Österreich beispielsweise sieht die Organisation vom Umweltrecht ganz anders aus. Dort gibt es nicht nur NGOs und Privatpersonen, welche im Sinne der Umwelt klagen können, sondern auch staatlich berufene Institutionen, welche die Umwelt vor Gericht vertreten: Die Landesumweltanwaltschaften. Diese handeln nicht aus Eigeninteresse, sondern wurden staatlich eingerichtet, um das öffentliche Interesse der Natur juristisch zu vertreten. Gishild Schaufler ist mit drei weiteren wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen für die Landesumweltanwaltschaft Salzburg tätig. Aus ihrer melodischen Stimme hört man den österreichischen Dialekt heraus, während sie als schwarze Kachel jemanden um Hilfe ruft, um die Kamera für das Zoom-Meeting einschalten zu lassen. Abgesehen davon wirkt sie jung für ihr Alter. Jetzt zeigt sich ihr breites Grinsen auf dem Bildschirm.
Salzburg: Anderes Land, anderer Umweltschutz
„Ich wollte eigentlich schon immer im Umweltschutz tätig sein“, erklärt Schaufler. Daher habe sie sich für ein Studium der Rechtswissenschaft entschieden. Dies sei für die Durchsetzung notwendig. Da der Umweltschutz damals noch nicht groß im Recht angekommen sei, hat sie sich danach noch für ein Studium in Umwelt- und Bioressourcenmanagement entschlossen und hat anschließend in Biologie promoviert. „Das ist alles schon in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts geschehen“, lacht sie.
Schaufler ist eine starke Verfechterin des österreichischen Systems. Der öffentliche und gesetzliche Auftrag ihrer Institution sei unabhängig von Spenden und Medienwirksamkeit und sollte in mehr Ländern so gehandhabt werden, erklärt sie und betont mehrfach die Wichtigkeit ihrer Arbeit und des Systems. „Es ist eine Fehlkonstruktion im Recht. Jeder darf die Natur brauchen, gebrauchen, verbrauchen und es kostet nichts. Deshalb ist sie für viele so wenig wert“, beanstandet Schaufler.
Mehr zu den Länderunterschieden erfahrt ihr im Podcast.
Die Herausforderung der Landesumweltanwaltschaften
800 Verfahren prüft die Salzburger Landesumweltanwaltschaft grob, bei 400 bringen sie sich näher ein und circa 15 von ihnen enden schließlich als Beschwerde vor Gericht. „Fast in 95% der Fälle endet es mit dem Entschluss der Behörde“, betont sie eindrücklich. Damit will sie die Vorwürfe entkräften, die Landesumweltanwaltschaften würden alles blockieren. „Eine große Herausforderung ist auch die mediale Berichterstattung. Oft wird das Artensterben lächerlich gemacht und bloß auf den Schutz eines Schmetterlings oder eines Käfers reduziert.“ Eine weitere Herausforderung sei, dass die Rechte der Landesumweltanwaltschaften eingeschränkt werden sollen, da NGOs schließlich auch genügend Rechte haben, um wirksam zu klagen. Sie könnten die Landesumweltanwaltschaften aus den Verfahren drängen. Schaufler hält es für falsch, einen so wichtigen Auftrag auszulagern. Sind doch die Landesumweltanwaltschaften für Langfristigkeit und die Expertise gedacht. Problematisch sei auch, dass nicht alle gefährdeten Arten auch geschützt werden können. Genau, wie Bahram sein Dilemma beschreibt, betont auch Schaufler: Sie könne nur entsprechend des Gesetzes handeln.
Bahram müht sich über Kletterpflanzen und durch verwachsenes Unterholz. Seine übliche Route durch den Forst ist nicht mehr begehbar. Dennoch bewegt er sich geschickt durch das dornige Buschwerk, bahnt sich einen neuen Weg und verschwindet zwischen den Sträuchern. In jungen Tannen entdeckt er ein Nest. Da es nicht mehr bewohnt ist, sei es schwieriger zu bestimmen, was dort genistet hat, beschreibt Bahram. Er verrät, dass es für das Bauprojekt ein Problem darstellen würde, wenn sich herausstellen sollte, dass es sich um Haselmäuse handelt. Die Benennung sei dabei irreführend. Bei Haselmäusen handele es sich nämlich nicht um Mäuse, sondern um Bilche. Diese wären beispielsweise eng mit dem Siebenschläfer verwandt und streng geschützt. Wichtig sei aber vor allem, welche Auswirkungen ein mangelnder Schutz solcher gefährdeter Arten auf das gesamte Ökosystem hätte. Dies betont sowohl Bahram als auch Gishild Schaufler. Bei der Verdrängung der Haselmaus geht es also nicht nur um das Schicksal eines Bilches. Es geht um die Biodiversität und die Relationen zwischen den vielen verschiedenen Arten, deren Existenz unmittelbar voneinander und von der Ausgestaltung ihres Lebensraums abhängig ist.
Lebensraum Bayerischer Wald: Die Macht der Forschung
Reddi schnüffelt an einer neongelben Schale, die auf dem Waldboden steht. Schon wandert die große feuchte Nase des Hundes zur nächsten Schale. Diese ist blau angemalt. Daneben steht noch eine weiße Schale voll schimmerndem Wasser. Zwischen Buchenblättern schwimmen große schwarze Käfer und weitere kleine geflügelte Insekten. Sie sind tot. Bevor Reddis Zunge das Wasser berührt, ruft ihn seine Besitzerin Orsi. Eine junge, kurzhaarige Frau.
Sie ist Postdoktorandin und arbeitet im Bayerischen Wald. Eigentlich heißt sie Orsolya. Orsolya Decker. Sie kommt aus Budapest. Dort machte sie einen Bachelor in Biological Sciences. Nachdem sie in Amsterdam ihren Master Ecology and Evolution abgeschlossen hatte, promovierte sie an der La Trobe Universität im australischen Melbourne. In ihrer Doktorarbeit untersuchte sie die Rolle von Grabsäugetieren für Bodenprozesse. Inzwischen ist sie in ihrer Forschung jedoch vor allem an Schnecken interessiert. Dazu ermittelte sie zunächst in Australien, wie Schnecken an Brände als Auswirkung des Klimawandels angepasst sind. Schließlich ging es von Down Under in den tiefen Bayerischen Wald. Hier führt die Biologin diese Forschung nun fort.
Orsi arbeitet dafür bei einem Beta-Projekt mit, um den Einfluss unterschiedlicher Umgebungen im Wald zu untersuchen, die die Biodiversität unterstützen können.
Begeistert beginnt Orsi zu erklären: In den Schalen, die ihr Hund Reddi erneut mit mäßigem Interesse beschnüffelt, befindet sich eine wässrige, salzige Lösung. Die bunten Farben würden zusätzlich helfen, um Insekten anzulocken. Später würden die gefangenen Arten dann im Labor bestimmt. Dies sei Teil der Forschungsarbeit im Nationalpark Bayerischer Wald. Auch, wenn ihr die Projekte, bei denen Tiere sterben, eigentlich nicht so behagen würden.
Momentan sind für das Beta-Projekt Schalen an verschiedenen Stellen im Wald verteilt. Einige auf einer künstlich geschaffenen Lichtung, andere an dichteren Stellen im Wald. Durch regelmäßige Prüfung und Auswertung könne dann später berechnet werden, wie die Artenvielfalt im Nationalpark am besten gefördert werden kann, beschreibt die Naturwissenschaftlerin.
Ihr interessiert euch für Orsis Forschung? Schaut euch unser Video an!
Orsi ist interessiert an den deutschen Gesetzen zum Klima- und Artenschutz. Sie stellt Fragen, wie die Situation in Deutschland einzuschätzen ist. Da die Biologin die letzten Jahre in Australien verbracht hat, kennt sie die deutsche Gesetzeslage noch nicht gut. Es scheint allerdings viele Übereinstimmungen zu den Problemen der Umwelt- und Klimaschutzgesetze in Deutschland zu geben. Vor allem bezüglich der Schutzgebiete sei Deutschland jedoch weiter, sagt Orsi. Australien stehe da noch sehr am Anfang. Die meisten Politiker*innen wüssten vermutlich gar nicht so genau, wie andere Länder diesen Schutz gesetzlich verankern. Hier sei die Kommunikation einfach nicht genug institutionalisiert.
Macht des Aktivismus
Auch Orsi hat schon in Australien die Macht der Bilder in den Sozialen Medien genutzt, um auf dortige Missstände in den Gesetzen zum Umweltschutz aufmerksam zu machen. So hat sie ihren Haus- und Kuscheltieren kleine Protestschildchen gebaut. An ein Plüsch-Wombat gelehnt, ein Schild mit: „Want to save nature? Don´t betton(g) it with this Government!“ Neben einem bläulichen schlappohrigen Hund: „I´m blue because our environment laws have gone to the dogs!“ Ein anderes, dingoförmiges Kuscheltier vor einem Schild mit der Aufschrift: „Thanks for nothing environmental laws! Better luck for the remaining species #beforeitsgone!“ Ein Spielzeug-Dino vor dem Schild, auf dem geschrieben steht: „Stop burning our bones! Or soon it will be yours next providing energy!“
Mit einem Kollegen habe sie vor bald einem Jahrzehnt gewettet, dass wir in der westlichen Welt in den nächsten Jahren komplett auf elektrische Motoren und erneuerbare Energien umsteigen. Sie hätte nicht gedacht, dass sie diese Wette verliert, sagt Orsi. Bis heute habe sich in der Nutzung fossiler Rohstoffe kaum etwas verändert. Die Nachrichten und Erkenntnisse zum Klimawandel und dem damit verbundenen Artensterben machen sie traurig, erklärt Orsi. Genau wie auch Bahram, ist Orsi vor allem von der großen Dunkelziffer an Arten, die pro Tag aussterben, ohne, dass diese je entdeckt wurden, enttäuscht. Die Ergebnisse der Forschung seien da, sagt sie.
Beachtung finden, würden sie aber nicht. Da ist sie sich auch mit Rechtsanwalt Philipp Schulte einig: Die Legislative sei am Zug!
Reddi hüpft auf die Rückbank von Orsis Wagen. „A climate dictatorship – I just want“, lacht Orsi, „It’s not a popular opinion.“ Ein kurzer Abschied, dann steigt sie in ihren Geländewagen. Am Ende des holprigen Wanderwegs verschwindet Orsis Wagen zügig hinter den Bäumen.
Passau: Macht der Naturschutzbehörde!
57 km/h, 60 km/h, 24 km/h. Bahram hält mit quietschenden Reifen auf einem kleinen Parkplatz neben der Bundesstraße 12. Er schultert seinen Rucksack. Mit prüfendem Blick schaut er die Felswand zur Veste empor und erzählt: „Der Radtunnel ist auch eins meiner Projekte, das schon oft in der Presse war.“ Dieser soll unter den Felsen, auf denen die Passauer Burg thront, hindurch gebaut werden.
Bahram betont mehrfach die Relevanz der Presse. Nicht nur für seine Projekte, auch im Allgemeinen bekräftigt er, welche Macht Medienschaffende hätten, wenn es um Umweltschutz gehe. Von den Entscheidungen, wem eine Bühne geboten werde, sei vieles abhängig. Bahram lacht. „Auch im Journalismus fehlt gutes Personal. Ich muss meine Kontakte früh in die richtigen Bahnen lenken, damit ich mit ihnen arbeiten kann.“
Der Radtunnel sei ein sehr umstrittenes Projekt. Bahram erklärt, dass es nur einer Person aus der Passauer Naturschutzbehörde zu verdanken sei, dass der Tunnel nicht direkt durch ein strenges Schutzgebiet, auch FFH-Gebiet genannt, gebaut wird. Bahram ist besorgt. „Diese Frau hat dafür gekämpft. Ich weiß nicht, wie es hier für den Umweltschutz weitergeht, wenn sie in Rente geht.“
Die Naturschutzbehörde Passau bittet auf die Anfrage um ein Statement zu diesem Thema lediglich um Verständnis, dass es den Mitarbeitenden der Verwaltungsebenen nicht zustünde, eine Stellungnahme abzugeben.
Bahrams lilablauer Wagen parkt wenige Meter vom zukünftigen Rad-Tunnelausgang entfernt in der inzwischen gleißenden Sonne. Eine Zauneidechse wärmt sich auf dem aufgeheizten Asphalt neben dem rechten Vorderreifen. Der Biologe öffnet den Kofferraum und wirft seinen Rucksack auf Taschen und Ordner, die auf dem Filz verstreut liegen und sorgt weiter für ein kunterbuntes Bild seines Kombis. Bahram lässt den Kofferraum zufallen. Bei dem Geräusch huscht die Eidechse zurück zum grasbewachsenen Gestein hinter dem Auto. Auch ein Vogel flattert oben am Hang aus den Sträuchern heraus. Bahram wirft einen wehmütig wirkenden Blick hoch zu den Felsen und macht sich weiter an die Arbeit.
Wie lässt sich die Biodiversität schützen?
So lässt sich die Biodiversität schützen:
Konsum: Je weniger Fleisch, Fisch und Milchprodukte, desto besser! Und: Alles aufessen oder an die Tafel geben – hinter jedem Nahrungsmittel stecken Ressourcen. Bahram empfiehlt: „Wenn man einen Garten hat, oder auch einen Balkon: Eine Wildblumen-Aussaat und ein Insektenhotel bedeuten viel für die Artenvielfalt. Jeder kann dazubeitragen.“ Auch die Perspektive von Martens, Protagonist unseres Podcasts, bezieht sich auf jede*n Einzelne*n. „Jeder sollte gut leben und seinem ethischen und moralischen Kompass folgen„, erklärt der Jura-Prof. Für ihn bedeutet dies, dass er nicht in den Urlaub fliegt, sondern mit seinem kleinen Sohn im Bayerischen Wald wandern geht, beschreibt er stolz. Rechtsanwalt Philipp Schulte betont: „Es ist gut, wenn Aktivist*innen sich zusammentun. Je mehr sich hinter einer Klage einen und zusammenhalten, desto günstiger wird die Klage auch für die einzelnen Beteiligten.“ Daher: Auch durch das Unterstützen von Umwelt-NGOs kann man die Biodiversität stützen.
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