Don’t Judge a Book by it’s Cover – Romantasy und die Vorurteile über das Genre
Ein weiblich geprägtes Genre, junge Leserinnen und junge Autorinnen – eine Kombination, die dazu einlädt, das Genre Romantasy abzuwerten. Doch passiert das auch wirklich?
Michelle Dresler & Tanja Pfister
Ein Raum voller Bücher, fein säuberlich in unzähligen deckenhohen Regalen angeordnet. Vollgestopft mit dicken, bunten Wälzern. Der Schein von Kerzen taucht den Raum in ein gemütliches Licht, während der Duft nach Tee das Zimmer erfüllt. In der Ecke steht ein bequemer Sessel, auf dem eine kuschelige Decke ausgebreitet ist.
Denkt man dabei an eine Bücherei oder einen Buchladen, liegt man falsch. Es ist ein Jugendzimmer, wie es wohl tausendfach in Deutschland vorkommt. Wo vor einigen Jahren die jugendlichen Mädchen noch Videospiele spielten, beim Sport waren oder sich mit ihren Freundinnen getroffen haben, ist jetzt das Lesen wieder zu einem angesagten Trend geworden. Gerade junge Frauen und Mädchen begeistern sich vermehrt auch auf Social Media für ihr neues Hobby. Der Einfluss der Plattformen auf die Entwicklung ist groß, was sich zum Teil auch an den Aufrufzahlen der Kurzvideos zum Thema Bücher erkennen lässt. Laut Angaben von TikTok hat das Hashtag #BookTok 2022 89 Milliarden Aufrufe verzeichnet. Besonders beliebt auf der Plattform sind Liebesromane oder Romane aus dem Romantasy-Genre.
Romantasy: Ein Genre im Aufbruch
Das Wort „Romantasy“ ist eine Wortkreuzung aus den beiden englischen Wörtern „Romance” und „Fantasy” und fasst die beiden wichtigsten Elemente von Romantasy-Geschichten zusammen. Eine Lektorin, die in einem großen deutschen Verlag arbeitet, aber hier nicht mit Namen genannt werden will, weil sie nicht offiziell für den Verlag sprechen darf, beschreibt das Genre wie folgt:
„Romantasy-Bücher sind Romane, die sich im Kern mit der romantischen Beziehung von Figuren auseinandersetzen. Die Geschichten sind in einer fantastischen Welt eingebettet.”
Lektorin eines deutschen Großverlages
Der Buchmarkt hat 2023 in Deutschland einen Umsatz von 9,7 Milliarden Euro erwirtschaftet. Der Börsenverein des deutschen Buchhandels berichtet, dass die Einnahmen im Vergleich zum vergangenen Jahr um 2,8 Prozent gestiegensind. Hier haben vor allem die Kategorien Belletristik, also die Unterhaltungsliteratur, mit einem Plus von 7,7 Prozent und die Kinder- und Jugendbücher mit einem Plus von 2,5 Prozent mehr Umsatz generiert.
Bücher aus dem Genre Romantasy fallen in Deutschland entweder unter die Kategorie Belletristik oder Jugendromane. Eine engere Aufschlüsselung des Genres, wie sie in den Vereinigten Staaten von Amerika oder dem Vereinigten Königreich der Fall ist, gibt es hierzulande noch nicht. In der Spiegel-Bestseller-Liste für 2023 befinden sich in der Rubrik „Hardcover Belletristik” drei Romantasy-Titel unter den ersten 20 Plätzen. Die ersten beiden Teile der erfolgreichen Flammengeküsst-Saga von Rebecca Yarros „Fourth Wing” und „Iron Flame” haben es auch in Deutschland unter die erfolgreichsten Bücher des Jahres geschafft.
Romantasy erfreut sich inzwischen auch in Deutschland großer Beliebtheit. Die erste sehr erfolgreiche Romantasy-Buchreihe, die populär wurde, war die Twilight-Saga von Stephanie Meyer. Diese erschien zwischen 2005 und 2008 und handelt von Vampiren, Werwölfen und der unsterblichen Liebe. Seitdem ist das Genre erfolgreicher und die fantastischen Welten sind zahlreicher geworden. Egal ob Dämonen, Drachen, Vampire, Elfen oder Magier – inzwischen gibt es jede Art von Wesen, in die sich die Protagonisten – und auch die Leser:innen verlieben können.
Die Lektorin, die Expertin für einen großen deutschen Verlag ist, berichtet zudem, dass ihr Arbeitgeber Romantasy stark fördert. Der Verlag sieht das große Interesse an dem Genre und möchte dieses auch bedienen, denn es generiert viel Umsatz. Wie viel genau ist immer vom Buch abhängig, aber im Schnitt kann laut Expertin bei Bestsellern eine Auflagenhöhe von 20.000 bis 50.000 Exemplaren entstehen. „Ist ein Buch besonders beliebt, kann auch eine Auflage von bis zu 50.000 Exemplaren im ersten Monat einverkauft werden,“ führt sie weiter aus.
Auch in Buchhandlungen sind die Bücher als „Romantasy“ sortiert. Meist füllen sie sogar ein eigenes Regal neben den Jugendbüchern.
Doch mit der Beliebtheit dieser Bücher, die Fantasy- und Liebesromane miteinander vereinen, gehen auch einige Vorurteile einher. Gerade Rezensent:innen des Tagesspiegels kritisieren die Bücher stark.
„Romantasy ist in den 2020ern, was der Heimatkrimi in den 2010ern war: Hirnpest in Buchform.„
Literaturkritiker Denis Scheck
Kritiker:innen nehmen oft an, dass die Bücher leicht zu schreiben seien und bezeichnen dieses als Popcorn – oder Schundliteratur, in der es nur um Sex geht. Dazu seien die Bücher austauschbar. Der Gedanke, der dahintersteht, scheint recht simpel: Liebesgeschichten sind Frauenkram und unseriös.
Vorurteile entstehen laut der Lektorin eines großen deutschen Verlages bei Menschen, die nichts mit den Büchern zu tun haben und älter sind, als die Leser:innen des Romantasy-Genre. Sie sind meist über 40 und lesen eher literarisch. Im Genre Romantasy ist laut Expertin ein anderer Schreibstil üblich als in literarischen Werken. Diesen eigentlich nur anderen Stil verwechseln Kritiker:innen mit einem „schlechten” Stil. Langsam bessere sich jedoch diese Wahrnehmung. „Bloß weil die Bücher leichter zu lesen sind, bedeutet das nicht zwingend, dass sie auch schlechter geschrieben sind”, meint die Lektorin.
Anna Fleck: Eine Romantasy-Autorin, die gegen den Trend geht
Der Bildschirm flackert, als Anna Fleck darauf erscheint. Hinter ihr ein großes Bücherregal, die einzelnen Titel kaum erkennbar. Die 50-jährige Autorin liest gerne Klassiker. Geschichten von Astrid Lindgren und Charles Dickens sind dabei ganz weit oben auf der Liste ihrer Lieblingsbücher. Sie schreibt im Genre Romantasy und hat bereits zwei Buchreihen veröffentlicht.
Schon ihr ganzes Leben lang schreibt sie die Geschichten, die in ihrem Kopf existieren, auf. Dann kam der Erfolg ganz schnell. Sie bewirbt sich 2016 bei einer Literaturagentur mit einem Manuskript und unterschreibt ihren ersten Vertrag. Bereits 2020 wird ihr erstes Buch veröffentlicht: Der erste Teil ihrer Bestseller-Trilogie „Meeresglühen”, in der ihre Hauptfigur nach Atlantis reist.
Mittlerweile hat Anna Fleck ihre erste Reihe beendet und arbeitet an ihrer Zweiten. Einer Weitererzählung namens „Froststerne“ des berühmten Märchens „Die Schneekönigin“ von Hans-Christian-Andersen. So war es ihr möglich, bereits zwei Jahre hauptberuflich als Autorin zu arbeiten. Weitere Projekte sind schon in Planung.
Anna Fleck ist sehr selbstbewusst. Kritik von Social Media perle an ihr ab, denn was auf sie zukommt, sei meist nur eine Leser:innenmeinung. Aktiv zu versuchen sich als Autorin zu behaupten, war für sie dennoch nicht leicht. Autorin zu werden ist schwer und davon zu leben noch unerreichbarer. „Es war ein Traum. Ich habe mir niemals Illusionen darüber gemacht, wie astronomisch klein die Chancen sind, das zu schaffen.“ Sie habe Angst gehabt, führt sie fort. Wenn ihr Traum mit der Realität kollidiere und sich am Ende herausstelle, dass das Buch niemanden interessiere, bliebe ihr nicht mal mehr der Traum. Doch Fleck wird mit ihren Büchern erfolgreich. „Die meisten Leute kennen ja immer nur entweder es klappt gar nicht oder es ist so Harry Potter Dimension. Dazwischen spielt sich sehr viel ab“, meint Fleck.
Die Vorurteile gegenüber dem Genre, in dem sie selbst schreibt, kann sie gut nachvollziehen. Für sie ist Romantasy absolute Popkultur. „Wir schreiben hier nicht Shakespeare.“ Sie selbst gibt sich Mühe, viel Arbeit in die fantastischen Welten ihrer Bücher zu investieren und über das einfache Stereotyp hinauszudenken. Denn genau das macht für sie Romantasy anspruchsvoller als eine einfache Liebesgeschichte: Eine eigene Fantasy-Welt aufzubauen, auch „Worldbuilding“ genannt. Nicht immer findet das laut Anna Fleck im Romantasy Genre statt.
„Viele Bücher handeln von zwei Personen, die mehr oder weniger schnell miteinander ins Bett gehen und die Handlung ist eher zweitrangig,„
Bestseller-Autorin Anna Fleck
Persönlich habe Fleck noch keine Erfahrungen mit Vorurteilen gemacht. „Es hat noch keiner gewagt, mich damit zu konfrontieren“, sagt die Autorin nachdenklich. Dennoch bekomme sie einiges außerhalb ihrer sehr positiven Leser:innenschaft mit. „Ich bin vermutlich eher eine von denen, die die Vorurteile hat“.
„Das Vorurteil ist, dass Romantasy eher bessere Schundliteratur und anspruchslose Popcornliteratur sei“, meint Anna Fleck. Darin sieht die Bestseller-Autorin kein Problem. Sie lässt erkennen, dass sie die Kritik leicht nimmt, da sie die Romantasy selbst sehr kritisch betrachtet. In den meisten Fällen sei Romantasy tatsächlich eher leicht zu lesende Literatur. „Diejenigen, die das kritisieren, sehe ich nicht unbedingt Kafka lesen,” fügt sie an.
So wie sich das Romantasy-Genre entwickelt hat, liegt der Fokus laut Anna Fleck stark auf der Liebesgeschichte. Häufig dreht sich das Buch zu 70 Prozent um das Pärchen, das im Fokus der Handlung steht. Für Fleck ist das selbstverständlich, denn Romantasy ist Unterhaltungsliteratur. Sie selbst jedoch empfinde einen so großen Liebesgeschichten-Anteil als unbalanciert. „Das Genre läuft dadurch Gefahr, in bestimmten Kreisen als unseriös eingeschätzt zu werden.“ Kreise wie die klassische Literaturkritik. Wenn die Handlung und das Aufbauen der Fantasy-Welt darunter leiden, könne die Autorin verstehen, dass Romantasy als „unseriös“ eingeschätzt werde. Das heißt nicht, dass Fleck zustimmt. Ihrer Meinung nach ist das Genre Romantasy dennoch ernst zu nehmen.
Sie vermutet, dass alte und festgefahrene Denkmuster der Grund dafür seien, warum Romantasy eher belächelt wird. Als Frau dann noch Frauenliteratur zu schreiben, die dazu leichte Unterhaltung sei – wie für sie die Romantasy – sei das die perfekte Kombi, um unterbuttert zu werden.
Der deutsche Buchmarkt: Wer sind die Leser:innen und was wollen sie lesen?
Circa acht Millionen Menschen lesen, laut dem Institut für Demoskopie Allensbach, in Deutschland täglich aus einem Buch und rund 12,8 Millionen Menschen lesen mehrmals pro Woche. Frauen lesen zudem häufiger als Männer. 15,1 Prozent der Frauen geben an, täglich zu lesen, während es bei den Männern nur 7,8 Prozent sind. 40 Prozent der Deutschen sehen Lesen als Freizeitbeschäftigung, der sie zumindest mehrmals im Monat nachgehen.
Große Verlage können am besten überblicken, wer ihre Bücher kauft, liest, bewertet und schreibt. Und was den Leser:innen am besten gefällt. Es sind meist Mädchen und Frauen, die die Bücher sowohl lesen als auch schreiben. Auf die Frage, was dem deutschen Publikum bei einem Romantasy-Buch wichtig sei, antwortet die Lektorin und Expertin für einen großen Verlag, dass die Liebesgeschichte das wichtigste und größte Element der Geschichte sein sollte. Dazu sollten Romantasy-Geschichten, ihrer Meinung nach, mit einem „Happy End“ enden, weil die Bücher oftmals ein Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit erzeugen. Die Bücher seien für viele eine Flucht aus der Realität. Diese Atmosphäre bis zum Schluss aufrechtzuerhalten, ist der Lektorin wichtig.
„Vor allem junge und weibliche Autorinnen schreiben Romantasy-Bücher“, verrät uns die Lektorin eines deutschen Großverlages. Die Autorinnen, die sie betreut, seien zwischen 19 und 40 Jahre alt und schreiben vor allem nebenberuflich. Sie betreut nur einen Autor, der unter einem männlichen Pseudonym im Romantasy-Genre schreibt. Männer, die gerade junge Frauenfiguren in einem romantischen Setting schreiben, seien nicht gerne gesehen, erzählt sie. Weil Frauen die weibliche Perspektive hören wollen, ist es für Autorinnen hier einfacher. Auch von der Leser:innenseite schätzt sie, dass circa 90 Prozent der Leser:innen von Romantasy-Büchern Frauen sind. Diese sind zwischen 14 und 35 Jahren alt und sehr buchaffin. Es ist eine Zielgruppe, die gerne schöne Bücher sammelt und bereit dazu ist für besondere Ausgaben etwas mehr Geld auszugeben. Zudem ist die Zielgruppe auf den Social Media Plattformen stark vernetzt und kennt sich mit den Trends in der Buch-Community aus.
Michaela Harich: Romantasy ist ein seriöses Genre, das unter sexistischen Vorurteilen leidet
Michaela Harich ist 35 Jahre-alt und arbeitet bereits seit 16 Jahren in der Buchbranche. Sie ist nicht nur Autorin, sondern auch Lektorin und Verlegerin. Sie schreibt Fantasy-Romane, welche satirisch angehaucht sind. So auch in ihrer „Fairytale-Gone-Bad“-Trilogie, die 2019 erschienen ist. Während ihres Studiums gründete sie den Verlag „Alea Libris“ mit, den sie heute leitet. Sie versucht schon lange, ihren Verlag groß herauszubringen, doch der Durchbruch bleibt bislang aus. Von der Autorenschaft allein leben zu können, ist und bleibt schwierig. 2022 wurden laut Börsenverein des Deutschen Buchhandels insgesamt 71.524 Titel erst- und neuveröffentlicht. „Es gibt vielleicht nur eine Handvoll Bestseller-Autor:innen in Deutschland und es gibt vielleicht vier Prozent, die davon leben können“, schätzt Michaela Harich grob. Wenn der Bestseller-Titel ausbleibt, wird besonders bei Autorinnen gesagt: Das Schreiben sei nur ihr Hobby. Michaela Harich bleibt gelassen. Bei ihrer sarkastischen und selbstsicheren Art ist keinerlei Enttäuschung zu erkennen.
Als sie zum ersten Mal die Frage hört, ob Romantasy ein unseriöses Genre sei, verdreht sie genervt die Augen. Die Diskussion ist ihr bekannt, da sie auch einige Romantasy-Autorinnen als Lektorin betreut.
„Romantasy ist nicht unseriös, aber der Ruf des Genres ist es.”
Autorin, Lektorin und Verlegerin Michaela Harich
Beide Autorinnen – Fleck und Harich – sind sich einig, dass der Fantasy-Aspekt das Genre aufwertet und anspruchsvoller als eine einfache Liebesgeschichte macht. Denn es brauche sehr viel mehr Recherche und Planung. Gerade deshalb sind für Harich die Vorurteile gegenüber der Romantasy, aber auch spezifisch die Kritiken, welche die Autorinnen bekommen, ungerechtfertigt.
Sie vermutet, dass der Kern der unfairen Kritikpunkte und des unseriösen Rufs Sexismus sei.
„Sexismus ist der Kern der Herabwürdigung des Genres: seichte Literatur für die frustrierte Hausfrau und hauptsächlich von Frauen geschrieben, weil man weniger komplex denken muss – aus diesen Sichtweisen entstand der unfaire Ruf der Romantasy.”
Autorin, Lektorin und Verlegerin Michaela Harich
Gerade als Autorin sei man sexistischen Beleidigungen sehr stark ausgesetzt.
Die Lektorin eines Großverlages sieht Sexismus bei der Beliebtheit der Autorinnen im Vergleich zu Autoren nicht mehr. „J.K Rowling hat unter einem Pseudonym veröffentlicht, weil sie sich nicht getraut hat als Frau zu veröffentlichen, da sie befürchtete sie würde kein Geld mit ihren Büchern verdienen. Damit hatte sie zu dem Zeitpunkt recht. Jetzt ist es anders, weil man als Frau ebenso gut verdient. Pauschal lässt sich nicht mehr sagen, dass man als Frau schlechter verdient.“
Ob Autorinnen Nachteile haben sei, laut der Lektorin eines Großverlages davon abhängig wie alt das Publikum ist, ob es offen für weibliche Autorinnen ist und in welchem Genre sie veröffentlichen.
Michaela Harich stößt einen tiefen Seufzer aus, bevor sie ihre Erfahrungen schildert. Es scheint für sie leicht, sich daran zu erinnern, denn die Erfahrungen haben sich bei ihr eingebrannt. In einer Facebook-Gruppe, in der sich Autor:innen zu ihren Büchern und der Veröffentlichung austauschen wollten, hat ein Autor als Antwort auf die Frage, wie man sein Buch besser bewerben könne, Frauen sexistisch beleidigt. Er redete sich in Rage, dass es Autorinnen sehr viel leichter hätten, ihre Bücher zu verkaufen, denn sie müssten ja nur Nacktbilder in ihren Büchern mit abdrucken, damit sie sich besser verkaufen. Das war 2016. Es ist einer der ersten Vorfälle, die Michaela Harich in den Sinn kommen, wenn sie von ungerechten Behandlungen berichtet. Für sie ist es persönlich. Zum Teil muss sie innehalten und ihrer Frustration Luft machen. „Was stimmt denn bei denen nicht?“.
Das bleibt kein Einzelfall. Ein Jahr später, auf der Frankfurter Buchmesse – einem Ort, an dem Autor:innen und Verlage miteinander ins Gespräch kommen: An einem professionellen Ort des Austauschs erlebt sie eine ähnliche Situation. In diesem Fall ist die Aussage, dass Frauen sich ja nur ein Buch auf den Ausschnitt kleben müssen und sofort mehr Bücher verkaufen würden. Generell würden weibliche und männliche Autor:innen sehr unterschiedlich wahrgenommen und es gäbe einen unterschiedlichen Maßstab. Sie sieht allgemein bei allen Genres das Problem, dass sie in „für Männer“ und „für Frauen“ eingeteilt sind. Ein Problem, das Anna Fleck eigentlich nur bei Liebesromanen sieht, denn in anderen Genres sei laut der Bestseller-Autorin mehr Diversität vorhanden.
Persönliche Angriffe – Keine Seltenheit
Michaela Harich atmet tief durch, bevor sie weiterspricht. Denn sie selbst wird auch mit einigen Vorurteilen konfrontiert. Wenn sie Satire schreibe, sei sie zu dumm für andere Genres. Sie muss kurz lachen. „Das ist ja mein Lieblingsvorurteil.“ Doch dann wird sie schnell wieder ernst. Etwas, über das sie diesmal nicht lachen kann, ist, dass sie zu salopp schreibe. „Ich bin ja ein „Ausländerkind“, und deswegen denken viele anscheinend, dass ich das Schreiben nie richtig gelernt habe und es deshalb bei mir noch nicht für einen Durchbruch gereicht habe.“ Michaela Harich seufzt. In ihrem Fall kommt zu Sexismus auch Rassismus hinzu. Bei Frauen, meint Harich, werden die Angriffe schnell persönlich.
Anna Fleck versteht, worauf Michaela Harich hinauswill. Sie vermutet, dass, sobald Frauen in der Öffentlichkeit stehen, diese angegriffen und zur Zielscheibe werden. “Das geht ziemlich schnell unter die Gürtellinie,” sagt Fleck. In der Buchbranche sei das aus ihrer Perspektive noch zahm, da dort das Buch meist erstmal gelesen werden muss und das etwas länger dauere.
Veröffentlichungen in Großverlagen – Komplizierter als gedacht
Michaela Harich sieht eine Problematik dabei wie Verlage mit Autorinnen umgehen. Sie hat Erfahrungen gemacht, in denen Verlage ihr Möglichkeiten verbaut haben, weil unbedingt eine Liebesgeschichte im Vordergrund stehen sollte. Als sie sich bei einem der großen deutschen Verlage mit einem Manuskript bewarb, weigerte sie sich eine Dreiecksbeziehung in ihr Buch einzubauen und den romantischen Aspekt zu verstärken. Der Verlag wollte daraufhin ihre Geschichte nicht mehr veröffentlichen.
„Ich hätte damals meine Werte verraten sollen. Dann wäre ich jetzt bei einem Großverlag. Im Nachgang denke ich mir aber auch: So sehr kannst du dich gar nicht selbst verraten.”
Autorin, Lektorin und Verlegerin Michaela Harich
Manchmal bereut sie ihre Entscheidung. Doch die Richtung, die der Verlag von ihr wollte, hat einfach nicht zur Geschichte gepasst.
Die Problematik, dass Romantik und Liebesgeschichten „Frauensache” seien, kennt Michaela Harich sehr gut. Die Behauptung sei, dass Frauen emotionaler und einfühlsamer seien und deshalb besser Romantasy schreiben können. Nicht nur weibliche Autorinnen erfahren dadurch Nachteile, wenn sie keine Liebesgeschichten schreiben wollen, sondern auch männliche Autoren, wenn sie es wollen. Die Autorin betreute bereits einen Mann in ihrem Verlag, der Romantasy schrieb. Er entschied sich aufgrund der Vorurteile dafür, unter einem weiblichen Pseudonym zu schreiben. Als öffentlich geworden ist, dass es sich beim Autor um einen Mann handelt, brachen die Verkaufszahlen ein.
Michaela Harich nimmt diese Vorurteile eher als ein deutsches Phänomen wahr. Im angloamerikanischen Raum sei dieser geschlechtsspezifische Unterschied deutlich geringer. Eine Erklärung hat sie dafür nicht.
Die Insiderin aus der Buchbranche sieht im Moment keinen Stopp beim Wachstum des Genres. Im Gegenteil: Ihrer Meinung nach werde Romantasy auch noch in den nächsten Jahren wachsen. Es kommen neue Autor:innen mit frischen Ideen, die das Genre weiter beflügeln und wachsen lassen.
Autorin Michaela Harich hingegen sieht bei den großen Verlagen auf dem deutschen Markt nur begrenzte Möglichkeiten, da diese oftmals stark in den Schreibprozess der Autor:innen eingreifen. Wie stark die Eingriffe sind, hänge laut ihr vom Verlag ab. Harich erzählt von einer Kollegin, die von ihrem Verlag dazu gezwungen wurde, das Ende ihres Buches umzuschreiben. Nun passen die verschiedenen Teile ihrer Reihe nicht mehr zueinander und „lesen sich wie sehr schlechte Fanfiction.“ Fleck hingegen hat ein sehr gutes Verhältnis zu ihrem Verlag und berichtet, dass dieser noch nie in ihren Schreibprozess eingegriffen habe.
Michaela Harich erkennt ein Muster. Entweder wollen die Verlage ein Happy End in einer Romantasy-Geschichte erzwingen oder drängen weibliche Autorinnen dazu, den romantischen Aspekt ihres Buches in den Vordergrund zu rücken. So werden Bücher, die eigentlich als Fantasy-Geschichten geplant waren, zu Romantasy-Geschichten. Dies passiert aber vor allem den Autorinnen. Harich kritisiert das scharf.
Die Lektorin aus einem Großverlag kann bestätigen, dass sie sehr stark auf das Happy End achtet.
„Es muss ja nicht ein Happy-Happy-End sein, aber wenn beide Protagonisten am Ende todunglücklich sterben, ist das kein Ende, das bei uns ins Verlagsprogramm gehört. Da sind wir als Lektor:innen diejenigen die da einen Riegel vorschieben oder eingreifen was ja auch unsere Aufgabe ist. Wir haben nochmal einen anderen Blick auf den Buchmarkt als zum Beispiel die Autorinnen und wissen was die Leser:innen wollen.”
Lektorin eines deutschen Großverlages
Gerade Romantasy-Leserinnen, ist der Lektorin aufgefallen, nehmen sich die Bücher sehr zu Herzen. Ein unglückliches Ende kann für Autor:innen unvorhergesehene Konsequenzen wie Hassbriefe haben.
Wie Social Media das Genre populär gemacht hat und den Buchmarkt verändert
Die Lektorin von einem großen deutschen Verlag meint, dass die treibende Kraft hinter dem Genre die Social Media Communitys auf TikTok und Instagram sind. Die Bookcommunitys dort bewerben ihre Lieblingsbücher, stellen Bücher ästhetisch zur Schau, tauschen sich untereinander aus und fiebern mit ihren Lieblingscharakteren mit. Lesen hat sich von einem stillen Hobby zu einer gesellschaftlichen Aktivität entwickelt.
Auf Social Media gibt es zudem Book-Influencer:innen. Also Influencer:innen, die Bücher bewerben und bei denen das Lesen im Mittelpunkt steht. Die Expertin meint dazu, dass Romantasy früher mal eine Nische war, aber das Genre inzwischen unter jungen Leser:innen absolut Mainstream ist.
Wenn du mehr über Book-Influencer:innen und ihre Arbeit erfahren möchtest, klicke auf das folgende Video.
Der Einfluss von TikTok auf den Buchmarkt ist groß. Mittlerweile erstellt die Plattform ihre eigene „TikTok Bestsellerliste“, die in vielen deutschen Buchhandlungen aushängt.
Von Zeit zu Zeit finden sich auch Sticker mit der Aufschrift „TikTok made me buy it“, also zu Deutsch „TikTok führte zum Kauf”, auf den Büchern. Gerade auf Social Media liegt der Fokus stark darauf, dass sehr explizite Sexszenen enthalten sind. Dass Romantasy viele erotische Szenen enthält und sonst keine Substanz hat, ist ein weitverbreitetes Vorurteil, das gerade von den Literaturkritiker:innen kommt. Denis Scheck, ein Literaturkritiker, geht hart mit dem beliebten Buch „Iron Flames“ von Rebecca Yarros ins Gericht. Das Buch ist auf TikTok beliebt und enthält einige Sexszenen. Er beschreibt das Buch als eine Mischung aus „Topgun mit Drachen und Shades of Grey-Elementen“. Scheck bezeichnet das Buch als „intellektuelle Ödnis”. Die Kritik ist ein Beispiel dafür, wie nicht nur das Werk selbst, sondern auch die Autorin beleidigt wird. Die Beliebtheit von erotischen Büchern nimmt gerade auf den Social Media weiter zu, da vor allem Beiträge, die polarisieren und über die Leute sich gut aufregen können, viele Menschen erreichen.
Auch hier können einige Vorurteile entstehen. Autorin Michaela Harich kann bestätigen, dass Social Media Plattformen, wie TikTok und Co. dazu animieren, sich anzufeinden. Auf YouTube beispielsweise ist die Diskussion entstanden, ob soziale Medien das Lesen ruiniert hätten.
Beispielbild für Online-Diskurs | Screenshot des Videos „are tropes on booktok ruining reading?“ des YouTube-Kanals „The Book Leo“. Aufrufbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=9IIpNxPh_3k
Es kommen also mehrere Faktoren zusammen. Die Leser:innen sind jung, weiblich und kommunizieren miteinander auf Social Media, um ein einsames Hobby stärker zu vernetzen. Dies ist wie auch schon bei den Autorinnen eine Kombination, welche dazu einlädt, die Leser:innen zu belächeln.
Oftmals stempeln gerade Männer weibliche Interessen als „Frauenkram“ ab und machen sich über diese lustig. Im angloamerikanischen Raum hat sich beispielsweise schon lange der Begriff „Basic Bitch“ etabliert. Dieser beschreibt Mädchen, die gerne die Farbe Pink, Starbucks und Social Media mögen. „Basic“ bedeutet einfach, „sie“ – die Basic Bitches, würden sich alle nur für dasselbe interessieren. Dasselbe Prinzip greift hier: Eine große Gruppe junger Frauen hat ein Genre für sich entdeckt. Die Bücher sind tatsächlich in den meisten Fällen leicht zu lesen. Dieses Vorurteil lässt sich oft bestätigen. Doch ein einfacherer oder anderer Stil als bei den großen Klassikern der Literatur, müssen nicht unbedingt bedeuten, dass es ein schlechter Stil ist. Einen guten Stil kann Anna Fleck schwer festzumachen. „Für mich bedeutet guter Schreibstil das sichere Beherrschen der eigenen Sprache gepaart mit einem kreativen Umgang damit. Mut zu eigenen, neuen Formulierungen statt 08/15-Phrasen, aber ohne sich hochgestochen oder gekünstelt auszudrücken.”
Romantasy – ein Genre in der Kritik
Auch Michaela Harich sind die Behauptungen, dass das Genre seicht sei und dass beim Lesen nicht viel gedacht werden müsse, aufgefallen. Anna Fleck beschreibt Romantasy als Popcornliteratur. Ob es sich hierbei um eine zu schnelle Vorverurteilung handelt oder tatsächlich ein Stück der Wahrheit entspricht, hänge für Michaela Harich vom Buch ab. „Es gibt im Genre Romantasy Bücher, da braucht man eine Excel-Tabelle, um sie wirklich verstehen zu können, aber auch Bücher zum Gehirn weglegen. Es geht beides”. Dass sich die Vorurteile gegenüber dem Genre so weit verbreitet haben, könne laut der Verlegerin, Autorin und Lektorin daran liegen, dass es einige Romantasy Bücher gäbe, die das Klischee tatsächlich bedienen. Aus diesem Grund sagt auch die „Meeresglühen”-Autorin Anna Fleck, dass sie mit den Stereotypen kein Problem habe. Sie stimmen, auch wenn es ein paar Ausnahmen gäbe.
„Schöne Menschen in Lebensgefahr ist sowieso mein Lieblingsgenre, manchmal sind die Geschichten nicht komplizierter als das.”
Bestseller-Autorin Anna Fleck
Mithilfe berühmter Bücher wie Twilight, der 2000er-Jahre gelang der Durchbruch von klassischer Fantasy zu Romantasy auf dem deutschen Publikumsmarkt. Denkt man an diese Zeit zurück, lassen sich viele Ansatzpunkte der Kritiker:innen von heute, schon damals wiederfinden. Die Expertin sieht seit dieser Zeit einen starken Wandel. Um das Jahr 2000 herum war laut ihr Fantasy „für die Nerds” und wurde stark belächelt. Seitdem habe sich schon viel zum Positiven geändert. „Noch vor drei Jahren stand das Genre viel stärker in der Kritik,“ meint sie.
Nicht umsonst ist das Sprichwort „Beurteile niemals ein Buch nach seinem Einband” bekannt. Das Genre Romantasy und seine Autorinnen sind nicht mit einem Blick einzufangen.
Das Genre „Dark Romance“ wird ebenfalls diskutiert. Wenn du mehr darüber erfahren willst, was „Dark Romance“ ist und ob das Genre für junge Leser:innen gefährlich ist, höre in die Podcastfolge der JMC 2024 „Alles auf eine Karte – Zwischen Stolz und Vorurteil“ rein.
Michelle Dresler & Tanja Pfister
Wir sind beide begeisterte Leserinnen. Das passt vielleicht auch zu unserem Studiengang. Auf Social Media haben wir schon oft mitbekommen wie Romantasy als Genre kritisiert und vorverurteilt wird. Da haben wir uns gefragt: Ist das gerechtfertigt?
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