Machtkampf zwischen Likes und Leitlinien
Jung, politisiert – und enttäuscht von der Mitte: Bei der Bundestagswahl 2025 wählten viele Erst- und Zweitwähler:innen lieber die linken und rechten Randparteien. Union und SPD verfehlten die Generation TikTok mit ihrem digitalen Wahlkampf. Politische Inhalte boomen und Social Media bestimmt zunehmend, wer Gehör findet.
von Lean Ebus und Leo Greinwald

Soziale Medien bestimmen zunehmend die politische Meinungsbildung junger Menschen. | Foto: Lean Ebus
„Karo, ich habe jemanden kennengelernt.” – „Oh, wen denn?” – „Der ist anders. Also anders als die davor.” – „Zeig mal her, ´n Bild.” – „Okay, aber: In echt sieht er besser aus.” – „Okay, ich glaub´ dir. Aha… der ist aber schon ein bisschen älter, oder?”
Was wie ein Gespräch über die große Liebe klingt, ist Wahlkampf: Zwei Frauen in ihren Zwanzigern inszenieren den Dialog in einem TikTok-Video der CDU-Wahlkampagne Team Merz. Die Pointe? Der Clip soll insbesondere Frauen dazu aufrufen, bei der Bundestagswahl 2025 für die Union zu stimmen. Und der „Jemand” ist Kanzlerkandidat Friedrich Merz.
Mit diesem Clip endet die Social-Media-Kampagne der CDU im Wahlkampf. Zuvor hatte die Jugendorganisation der Union monatelang an einer digitalen Strategie für die Mission Kanzleramt gearbeitet. Dazu bauten sie das Konrad-Adenauer-Haus in Berlin zu einem Medienzentrum mit Kameras, Greenscreen und einem Podcast-Studio um. Am 20. Dezember ging dort der erste TikTok-Post mit dem Hashtag #teammerz2025 online. Ziel: Der Wahlsieg. Über Likes, Shares und Videoformate.
Wie ein Politiker der Jungen Union und ein politischer Content Creator versuchen, ihre Zielgruppen anzusprechen, seht ihr in diesem Video:
Gut zwei Monate und 220 TikTok-Beiträge später steht das Ergebnis: Bei der Bundestagswahl im Februar gewinnt die CDU zwar auf Bundesebene. Doch bei den 18- bis 24-Jährigen landen AfD und Die Linke ganz vorn. Eine dramatische Umkehr der Jugendpräferenzen seit 2021, als noch FDP und Grüne die beliebtesten Parteien waren. Während die Linke bei den Jungwähler:innen 25 Prozent erreichte, kam die AfD auf 21 Prozent. Bei beiden Randparteien haben sich die Stimmenanteile innerhalb von vier Jahren mehr als verdreifacht. Die Regierungsparteien schnitten hier deutlich schlechter ab: Der Koalitionspartner SPD erzielte nur zwölf Prozent der Stimmen, die Union selbst kam auf 13 Prozent – trotz der intensiven Social-Media-Kampagne.

Klaus Hurrelmann, einer der renommiertesten Bildungs- und Generationenforscher Deutschlands, begründet das Wahlergebnis in dieser Altersgruppe: „Wir haben eine junge Generation, die politisch im historischen Vergleich ungewöhnlich hoch interessiert ist, aber keine Resonanz für ihr Interesse bei den etablierten Parteien findet.“ Er spricht von einem „epochalen Bruch“, vor allem in der medialen Ansprache. Ältere Generationen setzen noch auf Rundfunk und Zeitungen, die Jüngeren holen sich ihre Informationen fast nur auf TikTok und Instagram. Dort dominieren Inhalte Hurrelmann zufolge „nur dann, wenn sie in einer bestimmten Weise kommunikativ verpackt sind.” Für den Jugendforscher bedeutet das: Knapp, kurz, lebendig und auf den Punkt.
Linke und AfD haben außerdem einen großen Vorteil: Sie sind Oppositionsparteien. Dadurch können sie „das Blaue vom Himmel versprechen”, erklärt Hurrelmann. „Dass die Opposition sagt, dass sie alles anders macht, gehört zu den demokratischen Grundregeln. […] Regierungsparteien können nicht so agieren, wie das die beiden Oppositionsparteien am linken und am rechten Rand tun und damit bei jungen Leuten Eindruck machen.” Randparteien haben somit größere Freiheiten in ihrer Kommunikation – sowohl inhaltlich als auch in der Aufbereitung auf Social Media.

Jugendforscher Klaus Hurrelmann. | Foto: Hertie School Berlin
Die Linken-Politikerin Heidi Reichinnek macht vor, wie die Opposition auf TikTok Wirkung erzielen kann – sie nimmt in einer Bundestagsrede die AfD für ihre vielen Anträge zum Thema Gendern auseinander. „Why they so obsessed with that” steht unter dem dazugehörigen Video auf ihrem offiziellen TikTok-Account. Headlines, Untertitel, traurige Musik für die gescholtene AfD – und schon geht der Beitrag viral. Über sechs Millionen Aufrufe bestätigen Hurrelmanns These, dass junge Menschen vor allem zugespitzte Botschaften wahrnehmen.
@heidireichinnek Why they so obssessed with that 😒💅 Mal ehrlich, lasst uns doch unsere Zeit sinnvoll nutzen. #gendern #noafd #bundestag #dielinke #politiktok #politik #queer #feminismus
@maximilian_krah Schau in den Spiegel!! Sei #stolz auf dich!
♬ Epic Motivational Cinematic Background Atmospheric Trailer – Proxa_Sound
Die AfD inszeniert sich noch provokanter. Bundestagsabgeordneter Maximilian Krah kämpft auf TikTok gegen linke Politik und Migration. „Um dich herum will man dir einreden, dass das, was du bist, schlecht ist” lautet seine Kernbotschaft in diesem Video. Unterlegt mit dramatischer Orchestermusik diffamiert Krah lautstark die Einbürgerung von Migrant:innen und verharmlost die Verbrechen des NS-Regimes. Stattdessen ruft er zu mehr Stolz und nationalem Selbstbewusstsein auf. Polarisierend und aggressiv – diese Mischung beschert dem Clip über eine halbe Million Aufrufe.
Nicht nur einzelne Politiker:innen sind mit solchen Strategien erfolgreich. Auch ihre Parteien hinterlassen mit der richtigen Social-Media-Taktik Eindruck bei jungen Wähler:innen. Einer Studie des Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS) zufolge sammelten Linke und AfD zwischen November 2024 und Februar 2025 jeweils 100 bis 120 Millionen TikTok-Views. Demgegenüber waren die Regierungsparteien weit abgeschlagen: Die SPD kam nur auf 35 Millionen, die Union immerhin auf 51 Millionen Aufrufe.

Dabei galt bei Team Merz von Anfang an „TikTok First“. Die CDU-Wahlkampagne setzte fast vollständig auf Videocontent, blieb im Kampf um Reichweite aber auf der Strecke. „Wir müssten anfangen zu kommunizieren wie die AfD oder die Linke, nämlich wahnsinnig polarisierend, in Teilen sehr populistisch. Das ist nicht die Art und Weise, wie die CDU kommuniziert. Das ist auch nicht unsere Haltung, wie wir Politik machen”, erklärt Nina Weise. Als Head Of Content im Team Merz war sie für sämtliche Produktionen verantwortlich und kennt die Strategie des Projekts sehr genau.

Nina Weise im Medienzentrum des KAH - dem sogenannten Space. | Foto: Team Merz
Hurrelmann sieht Wirtschaft und Sicherheit als Kernthemen junger Wähler:innen. Genau darauf setzen Linke und AfD bereits erfolgreich. Auch Team Merz griff diese Themen auf und machte sie zum Schwerpunkt der Social-Media-Initiative – gemäß dem Kampagnenmotto „Inhalte pur”. Weise betont: „Wir dürfen nicht aufhören, über Probleme zu sprechen, die real existieren, nur weil eine Partei darüber spricht, mit der wir nicht zusammenarbeiten wollen.“ Dabei spielten auch bekannte Gesichter aus der Union eine tragende Rolle.
Philipp Amthor beispielsweise sei Weise zufolge „prädestiniert” für politische TikTok-Formate. In einer Serie kurzer Clips präsentiert der 32-Jährige die wichtigsten Inhalte des Wahlprogramms der Union: Wirtschaft, Sicherheit, Digitalisierung. „Hey du! Du willst richtig Kohle machen?“, ruft Amthor bei einem Beitrag in die Kamera. Daraufhin erklärt er, dass seine Partei die Bedingungen für Gründer:innen von Unternehmen verbessern wolle. Wie das geschehen soll, lässt er offen. Das Ergebnis: 986 Aufrufe, 93 Likes, vier Kommentare. Kein Vergleich zu den Reichweiten, die AfD und Linke mit ihren Beiträgen regelmäßig erzielen.
@teammerz2025 🚀 KOMM IN DIE GRUPPE 🚀 Teile dieses Video und komm ins Team unter www.teammerz2025.de 👊🏼
Bis zum Tag der Bundestagswahl erzielte der gesamte TikTok-Account des Team Merz überschaubare 463.000 Likes. Zum Vergleich: Über 15 Millionen Likes verzeichnete allein der Account von Heidi Reichinnek zum gleichen Zeitpunkt. „Gegen die Linke ist das Team Merz auf TikTok nicht angekommen“, gesteht sich Weise ein. Sie sieht in der Team-Merz-Initiative aber zumindest einen Teilerfolg, weil sie „der Partei die Selbstvergewisserung gegeben hat: Wir können jung und cool kommunizieren und sind gar nicht so angestaubt, wie viele immer behauptet haben.” Für Weise ist jedoch klar: „Die Union hat komplett verschlafen, was für eine Bedeutung Social Media für die junge Generation hat.”
Während Linke und AfD auf TikTok zuspitzten und provozierten, passten Ton, Dramaturgie und Tempo bei Team Merz nicht zur Plattform. Der Versuch, junge Wähler:innen über ihre Social-Media-Kanäle zu erreichen, war bei der CDU da. Innerhalb der Partei hat die Kampagne zumindest eine Debatte angestoßen, wie die richtige Sprache auf TikTok aussehen kann. Team Merz wird diesen möglichen Wandel aber nicht mehr erleben: Die Union hat die Social-Media-Initiative kurz nach der Wahl eingestellt.
Wie schnell der TikTok-Algorithmus schon durch reines Scrolling politisieren kann, hört ihr hier in dieser Podcast-Folge. Dazu gibt es weitere Insights von Hurrelmann und Weise.

Lean Ebus & Leo Greinwald
Besonders unser Drehtag in Halle ist uns in Erinnerung geblieben. Das Verständnis von Demokratie ist in Ostdeutschland ein ganz anderes als in Westdeutschland – die Menschen sind mit der Politik extrem unzufrieden und kommunizieren das direkt.