Vatersein zwischen Höhen und Tiefen: Wenn Nähe wichtiger wird als Klischee
Vatersein heißt heute nicht nur, präsent zu sein, sondern sich auch von alten Bildern zu lösen. Dafür fehlt noch der Platz, in den Familien, in der Gesellschaft – und manchmal im eigenen Kopf. Zu Besuch bei einem Vater-Kind-Treff.
von Meara-Sophia Betz und Alina Obuchova

Beim Papa-Kind-Treff: Drei Väter auf dem Weg zum Spielplatz. / Quelle: Meara Betz & Alina Obuchova
Zehn Männer sitzen an einem langen Frühstückstisch – Weißwurst in der einen Hand, Spielzeug in der anderen und Kind auf dem Schoß. Gespräche entstehen, über Job, Familie und den täglichen Balanceakt. „Ach krass, du hast auch zwei Jobs“, fragt einer der Väter, während er sich Butter auf die Brezel schmiert. „Dann weißt du ja, wie das ist. Ich will überall alles geben.“ Einige sind zum ersten Mal hier, andere packen beim Abräumen mit an, als gehöre es längst dazu. Zwischen Kinderstimmen und Gesprächen über Einschlafbegleitung passiert das, was viele Väter sonst kaum erleben: Austausch – ganz ohne Erklärungen.
„Der Knackpunkt war für mich, als mein Sohn die ersten Schritte gemacht hat. Da habe ich gemerkt, jetzt passiert mehr als nur Füttern und Tragen. Da beginnt echte Interaktion und genau da wollte ich dabei sein“, erzählt Tim Kurzweg. Er ist ein großer, schlanker Typ mit braunem Haar, Bart und freundlichen, dunklen Augen. In lilafarbenen Sandalen schlendert er entspannt durch den Raum, hört in Gespräche hinein und wirft immer wieder einen lockeren Spruch ein. Wenn Kurzweg nicht am Tisch sitzt oder durch den Raum schlendert, der vom Lachen der Kinder und Väter gefüllt ist, hockt er auf dem Boden, spielt mit seinem Sohn und anderen Kindern mit Bauklötzen. Sein Lachen mischt sich mit dem fröhlichen Stimmgewirr.
Solche Momente wünschen sich viele Väter und erleben sie oft zu spät oder gar nicht. Obwohl sich die Rolle des Vaters in den letzten Jahrzehnten gewandelt hat, hält sich das Bild vom „Ernährer“ hartnäckig. Laut einer Studie des Deutschen Jugendinstituts möchten über 50 Prozent der Väter heute mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen und stärker in den Alltag der Familie eingebunden sein. Die Realität sieht anders aus.
„Wenn meine Frau mehr verdienen würde, wäre ganz klar ich in Elternzeit gegangen“, erzählt Kurzweg. „Leider stehen wir noch an diesem strukturellen Problem: Mann verdient mehr als Frau. Wir mussten schauen, wie wir überleben können und wie wir uns unser Leben finanziell vorstellen.“ Dieser finanzielle Aspekt ist einer der Gründe, warum der Wunsch nach mehr Zeit ein Wunsch bleibt. Laut dem Väterreport 2023 des Bundesministeriums für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend nimmt nur rund ein Viertel der Väter länger als zwei Monate Elternzeit. Der Großteil bleibt beim klassischen Modell: kurze Elternzeit oder gar keine.
Dennoch ist für Kurzweg klar: Vatersein bedeutet Verantwortung. Deswegen sitzt er heute an diesem Tisch im Haus der Generationen und unterstützt andere Väter dabei, mehr Zeit mit ihren Kindern zu ermöglichen. Gemeinsam mit Fabian Edenharder hat er Anfang 2025 den Verein Papa Plus gegründet. Ihr Ziel ist es, Väter von Anfang an dabei zu unterstützen, eine aktive und gleichberechtigte Rolle im Familienalltag zu übernehmen. Dabei ist das Weißwurst-Frühstück nur eins der Angebote. Bei Papa Plus findet Austausch statt, gemeinsame Aktivitäten mit den Kindern stehen auf dem Plan und Väter sollen Antworten auf wichtige Fragen finden: vom Elterngeld bis zu allgemeinen Ratschlägen zur Papa-Rolle. Im Mittelpunkt steht dabei immer die Beziehung zwischen Vater und Kind. Nicht jeder begegnet der Vereinsgründung positiv. „Bei unserem ersten Artikel gab es gleich Kommentare wie: ‚Ach, die wollen nur einen Stammtisch‘ oder: ‚Sind das zwei schwule Väter?‘“, erinnert sich Kurzweg. Solche Reaktionen schrecken ihn nicht ab. Im Gegenteil: Für ihn steht fest: „Man muss sich als Team sehen – in der Familie und auch in der Gesellschaft, die dir Hürden in den Weg legt.“
Alltagshürden und fehlende Angebote
Im Alltag merken Väter schnell, dass viele Situationen rund um die Kinder auf die Mütter ausgerichtet sind. Ein Beispiel: Wickeltische, die es nur auf Damentoiletten gibt.
„Wenn du als Vater mit deinem Kind bei Müller stehst und der Wickeltisch nur auf der Damentoilette ist, merkst du, wie weit wir von einer Gleichberechtigung entfernt sind. Als mir das passiert ist, habe ich schräge Blicke bekommen“, erzählt Kurzweg. Sophie Schwab vom Zukunftsforum Familie in Berlin sagt dazu: „Familien, die von der Norm abweichen, müssen sich mehr erklären. Auch Väter, die Verantwortung übernehmen, geraten schnell in eine Art Rechtfertigungsdruck.“ Der Wickeltisch ist nur ein Beispiel dafür, wie sich viele Väter im Alltag ausgeschlossen fühlen.
„Gerade während der Schwangerschaft fehlt es an Möglichkeiten für Väter, sich auszutauschen. In den Kursbeschreibungen steht zwar: ‚Väter willkommen‘ – aber in Wirklichkeit sind es reine Mutter-Angebote“, sagt Kurzweg. In den Köpfen der Menschen ist immer noch stark verankert, dass der Mann sich auf den Job konzentrieren solle: „Die Politik redet viel über Vereinbarkeit von Familie und Beruf – aber der Fokus liegt immer noch stark auf der Erwerbsarbeit und nicht auf der Familienzeit“, kritisiert auch Schwab.
Für Kurzweg sollte das Hineinwachsen in die Vaterrolle nicht erst mit der Geburt beginnen, sondern schon in der Zeit davor. Während bei Frauen durch die Schwangerschaft sichtbar wird, dass sie Mutter werden, bleibt dieser Prozess bei Vätern unsichtbar. Darin sieht Kurzweg einen der Gründe, warum es vielen Männern schwerer fällt, sich frühzeitig in ihre Vaterrolle hineinzufinden. Deshalb lädt Papa Plus auch werdende Väter ein. „Für uns gibt es diese natürliche Vorbereitungszeit kaum oder sie läuft ganz anders ab. Wir wollen schon vor der Geburt den werdenden Vätern die Chance geben, sich mit ihrer Vaterrolle auseinanderzusetzen.“ Ob sie das Angebot künftig regelmäßig annehmen werden, bleibt abzuwarten.
Im Alltag versucht Kurzweg, klassische Rollenbilder aufzubrechen. Er und seine Frau teilen sich Haushalt und Kinderbetreuung – für beide eine Selbstverständlichkeit, aber nicht jeder in seinem Umfeld sieht das so.
Einmal, erinnert sich Kurzweg, war er mit seinem Sohn unterwegs. Der Kleine schlief friedlich in einem Tragetuch, eng an ihn geschmiegt. Für Kurzweg war das selbstverständlich, sein Kind zu tragen, nah bei sich zu haben. Das gehörte für ihn einfach dazu. Als er einem Familienmitglied begegnete, kam die Frage wie nebenbei: „Warum trägst du dein Kind im Tragetuch? Das ist doch nicht männlich.“ Kurzweg muss schmunzeln. Für ihn ist die Antwort klar. „Ich habe da nie drüber nachgedacht. Natürlich trage ich mein Kind. Das hat nichts damit zu tun, ob ich ein Mann bin.“
Ein Ort, wo Väter nicht erklären müssen
Bei Papa Plus zeigt sich, wie Vaterschaft heute sein kann: Verantwortung teilen, Unsicherheiten nicht verstecken und merken, dass man mit seinen Fragen nicht allein ist. Oftmals klingt das nach einem klaren Plan, ist aber in der Realität ziemlich spontan.
„Hier kann einfach alles passieren“, sagt Fabian Edenharder, Co-Gründer von Papa Plus. Manchmal Frühstück, manchmal Spielplatz. Immer offen für alle, die Lust auf Austausch haben. Wie viele kommen, wisse man nie, und das solle so bleiben: locker, zwanglos, echt.
Für einige Väter ist es das, was ihnen sonst fehlt. „Meine Freunde sind überall auf der Welt verstreut, ich habe nicht viele, mit denen ich offen über das Vatersein sprechen kann. Zudem hat man am Anfang keine konkreten Vorstellungen, was es heißt, Vater zu sein – das sei eben etwas, in das man hineinwachsen müsse“, erzählt einer der anwesenden Papas, während er seine Tochter mit Sonnencreme eincremt. Dass viele von ihnen heute präsente, zugewandte Väter sein wollen, ist kein Zufall – sondern eine bewusste Reaktion auf die oft distanzierten Vaterfiguren, mit denen sie selbst aufgewachsen sind. „Mein Vater kam von der Arbeit heim, hat gegessen und sich aufs Sofa gesetzt – das war’s“, sagt ein anderer. Dass es heute anders laufen soll, ist für viele hier nicht nur ein Wunsch, sondern ein notwendiger Schritt raus aus alten Mustern.
Nach dem Frühstück geht es für die Gruppe auf den Spielplatz. Zwischen Rutsche und Sandkasten wird gespielt und getobt. Die Kinder untereinander können sich gegenseitig kennenlernen und neue Freundschaften knüpfen. Kurzweg steht lächelnd an der Schaukel und schubst seinen Sohn an. Ein paar Meter weiter reden zwei Väter darüber, wie schwer es manchmal ist, sich zwischen Job, Familie und den eigenen Ansprüchen nicht zu verlieren. „Man muss sich Zeit nehmen und verstehen, dass die Rolle als Vater nicht einfach mit der Geburt des Kindes kommt“, sagt der eine. Der andere nickt zustimmend.
Vatersein heißt, sich Zeit zu nehmen, Fragen zu stellen und sich nicht immer als Einzelkämpfer zu begreifen. Manchmal bedeutet es, sich auf eine Rolle einzulassen, auf die Mann gar nicht vorbereitet war – wie bei einem der Väter, der selbst kein leibliches Kind hat, aber für das seiner Partnerin Verantwortung übernimmt. Er ist deshalb dabei, um sich auszutauschen und besser zu verstehen, wie er diese Rolle füllen kann. Solche Väter passen oft nicht ins gesellschaftliche Bild von Familie, sagt Eva Maria Schmidt, Soziologin und Ethnologin am Österreichischen Institut für Familienforschung an der Universität Wien. „Es gibt nach wie vor ein sehr starkes Idealbild von Familie – Vater, Mutter, verheiratet, zwei Kinder. Alles, was davon abweicht, wird nicht wahrgenommen oder sogar als defizitär betrachtet.“
Mehr als nur Spielplatz und Café: Kurzwegs Engagement für Familien
Treffen wie das heute sind nur der Anfang. Zusammen mit Papa Plus möchte Kurzweg ein Familienzentrum gründen, das im noch größeren Stil einen Platz für Austausch und Begegnung ermöglicht. „Immer nur auf den Spielplatz zu gehen, wird für die Kinder, meine Frau und mich langweilig. Ständig in Cafés zu gehen, wird auf Dauer ganz schön teuer. In Passau fehlt ein Ort, an dem sich Familien treffen können“, sagt Kurzweg.
Wie er erklärt, soll ein solches Familienzentrum nicht nur Treffpunkt sein, sondern ein Raum für Gespräche, Workshops und gemeinsame Aktivitäten bieten. Ein Ort, an dem Familien Unterstützung finden, Kontakte knüpfen und sich im Alltag gegenseitig stärken können. „Wir wollen einen Raum schaffen, der offen für alle Familien ist, unabhängig von ihrer Lebensform“, sagt Kurzweg.
Als Behörden in Passau davon mitbekommen, hätten diese eher zurückhaltend reagiert: „Wir haben das Feedback bekommen, dass es genügend Anlaufstellen gäbe. Wir merken aber, dass sich die Bedürfnisse der Familien verändert haben. Was wir brauchen, ist mehr als nur irgendein Angebot. Es muss etwas sein, das wirklich Familien entlastet, unterstützt und zusammenbringt“, resümiert Kurzweg.
An diesem Vormittag geht es um all das, was Väter bzw. Eltern häufig für sich behalten. Darum, wie es ist, wenn das Kind abends nicht schlafen will und die Geduld irgendwann reißt – obwohl Wut fehl am Platz sein sollte. Darum, wenn als Vater keine Antwort mehr einfällt und es trotzdem weitergeht. Darum, einfach mal zu hören, dass es anderen genauso geht. „Es tut einfach gut zu wissen, dass man nicht allein ist“, sagt einer der Väter, bevor er mit seinem Kind an der Hand den Spielplatz verlässt – kurz nachdem sich alle voneinander verabschiedet haben.
Mehr zu: Nicht vorgesehen – Wenn Familien durchs Raster fallen
Julia Neumann leitet ein Start-Up und ist Solo-Mama einer zweieinhalb jährigen Tochter. In dem Video zeigt sie, wie ein Tag bei ihr aussehen kann. Der Morgen ist geprägt von Hektik, im Büro stehen Meetings an. Sie schafft es, alles unter einen Hut zu bekommen. Wie funktioniert das alles? Julia erzählt,wie ihr das gelingt, obwohl die Gesellschaft immer noch an dem Idealbild von Mutter, Vater und zwei Kindern festhält.

Lea mit ihrem Sohn. / Quelle: Instagram, lea.nxz
Lea wurde mit 15 schwanger. Heute ist sie 18, aktiv auf Social Media und trotzdem mit alten Rollenbildern konfrontiert, die sich hartnäckig halten. Trotz Likes und Reichweite bleiben viele ihrer Hürden im Hintergrund. Von der Gesellschaft wird sie verurteilt, muss sich mehr beweisen als andere Mütter und das alles nur wegen ihres Alters. Zwei Expertinnen ordnen ein: Warum werden manche Familien übersehen? Wer bekommt Unterstützung? Wer fällt durchs Raster?

Meara-Sophia Betz & Alina Obuchova
Durch unser Projekt hatten wir die Möglichkeit, zahlreiche spannende Geschichten zu lesen und uns intensiv mit einem Thema zu beschäftigen, über das man normalerweise eher ungern spricht.