Drei Disziplinen, ein Ziel

Beim Paratriathlon der Sehbeeinträchtigten Anja Renner wird eine Individualsportart zum Teamwettbewerb: In den drei Disziplinen Schwimmen, Radfahren und Laufen ist Anjas Guide Maria Paulig immer an ihrer Seite. Gemeinsam trainieren sie hart, um Kommandos zu verfeinern und die Abläufe zu perfektionieren. Denn im Herbst werden sie bei den Paralympischen Spielen in Paris starten. Und darauf sind sie sehr stolz.

Hannah Schweiger & Emma Lentzkow

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Anja Renner und Maria Paulig schwimmen durch den Tegernsee. Es ist so früh, dass sie das Wasser für sich allein haben. Verbunden durch ein elastisches Seil gleiten die beiden nebeneinander durch die leichten Wellen. Anja hat eine Sehbeeinträchtigung und braucht die Unterstützung ihrer Guide. Maria führt sie sicher durch den See. Wenn man Anja so sieht, merkt man nicht, dass sie nur noch ein sehr reduziertes Sehvermögen hat. An diesem Wochenende trainieren die beiden nicht nur im Wasser, sondern auch auf dem Rad und beim Laufen. So wollen sie sich bestmöglich auf die Paralympischen Spiele in Paris vorbereiten. Denn dort werden sie im Paratriathlon für Deutschland antreten.

Der Paratriathlon ist eine Sportart, die speziell für Athlet:innen mit unterschiedlichen Arten von Beeinträchtigung entwickelt wurde. Dieser Sport kombiniert die Herausforderungen des Schwimmens, Radfahrens und Laufens zu einem einzigen Wettkampf. Im Gegensatz zum traditionellen Triathlon, der für Sportler:innen ohne Einschränkung ausgelegt ist, stellt der Paratriathlon Anpassungen und spezielle Regeln bereit, um sicherzustellen, dass Athlet:innen mit körperlichen Beeinträchtigungen fair und sicher an allen Disziplinen teilnehmen können.

Im Laufe der Jahre hat sich der Paratriathlon zu einer anerkannten und respektierten Sportart entwickelt, die Sportler:innen mit unterschiedlichsten Fähigkeiten eine Plattform bietet, ihre Stärken unter Beweis zu stellen. Durch seine Inklusivität fördert der Paratriathlon nicht nur den sportlichen Wettbewerb, sondern auch die Gemeinschaft und den Zusammenhalt unter Paraathlet:innen weltweit.

Die Geschichte und Entwicklung des Paratriathlons

Die Geschichte des Paratriathlons zeigt eine Entwicklung von einer Nischenaktivität zur internationalen Disziplin. Die Wurzeln des Paratriathlons lassen sich bis in die frühen 1990er Jahre zurückverfolgen, als erste Versuche unternommen wurden, Triathlon-Wettkämpfe für Sportler:innen mit Einschränkung zu adaptieren. Diese frühen Veranstaltungen waren geprägt von einer starken Gemeinschaft und einem gemeinsamen Ziel: die Freude und den Wettkampfgeist des Triathlons für alle zugänglich zu machen.

Ein entscheidender Meilenstein in der Geschichte des Paratriathlons war die Gründung der International Triathlon Union (ITU) im Jahr 2006. Diese Kommission setzte offizielle Regeln und Klassifikationssysteme auf, um den Sport auf eine professionelle Ebene zu heben und internationale Wettkämpfe zu ermöglichen. Durch die Standardisierung und Förderung von Paratriathlon-Events wuchs die Teilnahme und Anerkennung stetig.

Erst 2016 wurde in Rio de Janeiro der Paratriathlon erstmals in das Programm der Paralympischen Spiele aufgenommen. Der deutsche Athlet Martin Schulz gewann dabei die erste Goldmedaille und schrieb damit Geschichte. „Die mediale Aufmerksamkeit im Triathlon aber auch im Paratriathlon ist [durch die Aufnahme bei den paralympischen Spielen] deutlich gestiegen“, sagt der Bundestrainer Tom Kosmehl, der auch Anja und Maria trainiert. Diese erhöhte Sichtbarkeit führt zu größerer Unterstützung und Finanzierung für Athlet:innen und Veranstaltungen im Paratriathlon.

Seitdem hat sich der Paratriathlon kontinuierlich weiterentwickelt. Nationale und internationale Wettkämpfe sind häufiger und vielfältiger geworden und die Zahl der Sportler:innen, die in dieser Disziplin antreten, hat zugenommen. Die Entwicklungen in der adaptiven Technologie und Ausrüstung haben es Athlet:innen ermöglicht, ihre Leistung weiter zu verbessern und neue Maßstäbe zu setzen. Trotz der hohen technischen Herausforderungen bezüglich des Materials und der medizinischen Versorgung bieten immer mehr Länder Paratriathlon an. Dies führt jedoch zu einem Problem: Nicht alle Länder können diese Anforderungen erfüllen, wodurch unterschiedliche Voraussetzungen entstehen.

„Man möchte ja einen fairen Wettkampf, weil so ganz fair finden wir es aufgrund der materiellen Voraussetzungen nicht. Die sind teils gravierend unterschiedlich. Wenn man sich Entwicklungsländer anschaut, die mit Prothesen dort an den Start kommen, die wir hier im Alltag niemals anziehen würden. Und wir im Industrieland Deutschland – hochentwickeltes, technologisches Land – das merkt man auch in der Prothesenversorgung und das hat natürlich dann auch Auswirkungen auf den Wettkampf.“

Bundestrainer des deutschen Paratriathlonteams Tom Kosmehl

Im Paratriathlon gibt es ein Klassifikationssystem, das entwickelt wurde, um Triathlet:innen basierend auf ihrer Beeinträchtigung in faire und wettbewerbsfähige Kategorien einzuteilen. Diese Klassifikationen sind essenziell, um sicherzustellen, dass Sportler:innen mit ähnlichen Fähigkeiten gegeneinander antreten und somit gerechte Wettkampfbedingungen geschaffen werden. Trotz der Herausforderung, dass es im Triathlon drei Sportarten gibt, die in die Beurteilung miteinfließen, sei das Klassifizierungssystem gut und führe zu faireren Bedingungen, beurteilt Trainer Kosmehl.

Die Klassifikationen im Paratriathlon sind nach dem Schweregrad und der Art der Einschränkung unterteilt. Es gibt Kategorien für Menschen mit körperlichen Einschränkungen, wie Amputationen oder Bewegungsstörungen, sowie für Personen mit neurologischen oder intellektuellen Beeinträchtigungen. Jede dieser Kategorien hat spezifische Anforderungen und Regeln, die auf die Bedürfnisse und Fähigkeiten der Athlet:innen abgestimmt sind. Mit Hilfe von verschiedenen Tests werden die Muskelfunktion und Techniken bewertet. Diese Tests unterstützen die Einteilung in die verschiedenen Kategorien.

Anja und ihre Guide Maria starten in der Kategorie PTVI-3, da Anja noch über ein Restsehvermögen verfügt. In der PTVI-Kategorie treten alle Athlet:innen mit Guides an, die sie durch alle drei Disziplinen des Triathlons begleiten. Der:Die Guide ist eine wichtige Unterstützung, da er:sie durch ständige Kommunikation und physische Verbindung, oft über ein Seil oder eine Tandemverbindung, sicherstellt, dass die Athlet:innen die Strecke sicher und effizient bewältigen können. Zwischen Guide und Athlet:in braucht es gerade auf dem Tandem, aber auch bei den anderen beiden Disziplinen außerdem großes Vertrauen. Wie das Vertrauensverhältnis zwischen Anja und Maria ist, erfährt man in der Podcastfolge.

Die Einteilung in die verschiedenen Klassen wird allerdings nicht nur positiv wahrgenommen, sondern auch stark kritisiert, da diese moralische Herausforderungen mit sich bringt. Potenziell führt die Einteilung der Athlet:innen nach dem Schweregrad ihrer Einschränkung zu Stigmatisierung und einem Gefühl der Bewertung. Die Sportler:innen könnten sich in ihrer Identität und ihrem Selbstwertgefühl beeinträchtigt fühlen, wenn ihre Einschränkung zu schwerwiegend oder zu schwach für eine bestimmte Kategorie eingestuft wird. Zudem besteht ein Spannungsfeld zwischen Inklusion und Fairness, da eine faire Einteilung notwendig ist, um die sportliche Leistung vergleichen zu können, aber auch das Gefühl der Zugehörigkeit beeinträchtigt werden kann. Um diese Probleme zu adressieren, müssen die Klassifikationsprozesse transparent und sensibel gestaltet werden, wobei die individuellen Fähigkeiten und Leistungen der Sportler:innen im Vordergrund stehen sollten.

Disziplinen und Regelungen für sehbeeinträchtigte Athlet:innen

Für Sehbeeinträchtigte, wie der Protagonistin der Videoreportage Anja Renner, gibt es spezielle Regelungen für jede der drei Disziplinen des Triathlons: Schwimmen, Radfahren und Laufen. Diese festgelegte Reihenfolge stellt spezifische Anforderungen an die Teams, da jeder Wechsel zwischen den Disziplinen – auch bekannt als Transitions – sorgfältig koordiniert und sicher durchgeführt werden muss. Diese kritischen Phasen müssen im Wettkampf nahtlos und effizient ablaufen, um wertvolle Zeit zu sparen und die Sicherheit der Athlet:innen zu gewährleisten. Aufgrund der hohen Anforderungen und der nötigen Präzision wird der Wechsel zwischen den Disziplinen oft als die vierte Disziplin bezeichnet.

Schwimmen

 

Die erste Disziplin ist das Schwimmen, bei dem eine festgelegte Strecke im offenen Wasser zurückgelegt wird. Die übliche Distanz für Paratriathlons ist 750 Meter Sprint-Distanz, kann jedoch je nach Wettkampf variieren. Sehbeeinträchtigte Sportler:innen schwimmen mit einem:einer Guide, der durch ein elastisches Seil oder eine dehnbare Schwimmleine mit ihnen verbunden ist. Dieses Seil, das typischerweise am Oberschenkel, Handgelenk oder an der Hüfte befestigt wird, ermöglicht es dem:der Guide, den:die Athlet:in sicher durch die Schwimmstrecke zu navigieren, gleichzeitig die Distanz und Richtung beizubehalten und Hindernissen auszuweichen. Der:Die Guide gibt verbale Anweisungen und führt den:die Sehbeeinträchtigte:n, um Zusammenstöße zu vermeiden und die effizienteste Route zu halten.

Radfahren

Nach dem Schwimmen wird zum Radfahren gewechselt. Beim Verlassen des Wassers helfen die Guides ihren Athlet:innen, schnell zur Wechselzone zu gelangen. Währenddessen unterstützen sie die Triathlet:innen beim Ausziehen des Neoprenanzugs. Die Helme und das Fahrrad stehen bereit, damit die Transition möglichst reibungslos ablaufen kann. Die Radstrecke ist bei einem Sprint-Paratriathlon 20 Kilometer lang. Hierbei verwenden sehbeeinträchtigte Athlet:innen Tandemräder, wobei die Guides vorne als „Pilot:in“ in die Pedale treten, den Fahrradlenker steuert und die Verantwortung über die Schaltung und Bremsen hat, während der:die Athlet:in hinten als „Stoker“ agiert und in die Pedale tritt. Der:Die Guide ist dafür zuständig, die Richtung und Geschwindigkeit zu kontrollieren, während die sehbeeinträchtigten Athlet:innen mit ihrer Tretkraft unterstützen. Dies erfordert eine starke Koordination, Kommunikation und großes Vertrauen zwischen Athlet:in und Guide, um sicher und effektiv zu fahren.

Laufen

Die letzte Disziplin ist das Laufen. Im Wechsel vom Radfahren zum Laufen werden in den letzten Metern auf dem Tandemrad bereits mit Hilfe von Kommandos synchron die Schuhe ausgezogen, um anschließend in der Wechselzone möglichst zeiteffizient zu den bereitstehenden Laufschuhen wechseln zu können. Die Guides unterstützen ihre Athlet:innen bei dem Prozess in der Orientierung sowie dem Umziehen. Mit der letzten Disziplin wird eine Laufstrecke von fünf Kilometern zurücklegt. Im Laufsegment sind die Athlet:innen und ihre Guides durch ein nicht dehnbares Seil verbunden, das oft in der Hand gehalten wird oder an der Hüfte befestigt ist. Diese Verbindung sorgt dafür, dass der:die Guide seine:n Athlet:in durch die Strecke leiten kann, Hindernisse vermeidet und bei Bedarf Tempoanpassungen vornimmt. Die verbale Kommunikation zwischen Athlet:in und Guide ist hier besonders wichtig, um klare Anweisungen zu geben und eine gleichmäßige Laufgeschwindigkeit zu halten.

Diese speziellen Ausrüstungen für jede Disziplin sind darauf ausgelegt, die Synchronisation zwischen Athlet:in und Guide zu maximieren und gleichzeitig die Sicherheit und Effizienz in jeder Phase des Wettkampfs zu gewährleisten. Ein Team, das diese Synchronisation perfektioniert hat, ist das der Sehbeeinträchtigten Athletin Anja Renner und ihrer Guide Maria Paulig, wie man in der Videoreportage sieht.

Zukunftsaussichten des Paratriathlons

Die Zukunft des Paratriathlons ist vielversprechend. Mit zunehmender medialer Präsenz und wachsendem öffentlichen Interesse steigt die Unterstützung durch Sponsoren und Sportverbände. Initiativen zur Förderung der Inklusion und Barrierefreiheit tragen außerdem dazu bei, dass der Paratriathlon eine breitere Basis von Triathlet:innen anzieht und deren sportliche Erfolge mehr gesehen werden. Vielleicht gibt es dann bald mehr stolzer Teams, die so wie Anja und Maria gemeinsam durch das Wasser gleiten, mit dem Tandem über den Asphalt fliegen oder Seite an Seite durch die Straßen rennen. Aber egal ob zu zweit oder allein, mit Rennrollstuhl oder Prothese, die kontinuierliche Entwicklung des Sports und die wachsende Gemeinschaft von Paratriathlet:innen versprechen eine spannende, inspirierende und stolz erfüllte Zukunft für diesen besonderen Bereich des Triathlons.

Hannah Schweiger & Emma Lentzkow

Am meisten stolz sind wir auf das BTS-Video (checkt gern den Insta-Kanal aus). Am wenigstens stolz sind wir auf dieses Foto von uns und die Nachtschicht vor dem Abgabetag.