Im folgenden Text geht es um Racial Profiling. Wenn du dich mit Inhalten zu diesem Thema unwohl fühlst, überlege dir bitte, ob du den Beitrag lesen möchtest.

Schwarz auf weiß:

Racial Profiling im Visier

Ausweiskontrolle eine Routine, heißt es. Bestimmte Menschen werden aufgrund ihres Aussehens auffällig oft kontrolliert. Racial Profiling ist ein Vorgehen, das häufig auf rassistischen Vorurteilen basiert. Wie Betroffene Racial Profiling empfinden und ob sie sich dagegen wehren können.

Katharina Schöndorfer & Luka-Andreas Robič

Symbolbild I Quelle: Luka-Andreas Robič

Mau ist am Berliner Flughafen unterwegs, als zwei Polizeibeamte direkt auf ihn zukommen. Eine „allgemeine Personenkontrolle“ – Mau soll seinen Ausweis zeigen, die Beamten wollen zusätzlich auch seinen Rucksack durchsuchen. Erstmal nichts allzu Ungewöhnliches, vor allem am Flughafen. Doch dann geschieht der „kleine Realitätscheck“, der Mau stutzig werden lässt: „Das hat schon ein bisschen an mir genagt und das ist sicherlich auch einer der Gründe, warum ich jetzt hier bei euch sitze und davon erzählen will.“ Es ist Mitte Mai 2018, kurz nach Maus 18. Geburtstag. Er ist mit seinem Papa unterwegs. Genau in dem Moment, als Mau von der Polizei angesprochen wird, schaut sich sein Vater in einem Geschäft um. Mau reagiert entspannt auf die Kontrolle. Klar, kann er seinen Rucksack aufmachen. Nur seinen Vater will er kurz dazuholen, der ist hier gleich um die Ecke. Die beiden Polizisten begleiten ihn. Als sie seinen Papa sehen, wirken sie – in Maus Augen – ein kleines bisschen überrascht. Achso, dann hätte sich das erledigt. Die Kontrolle sei plötzlich nicht mehr notwendig. Maus Papa ist weiß.

Vor vielen Jahren wandert Maus Mama von Peru nach Deutschland aus, wo sie Maus deutschen Papa in einer Münchner S-Bahn kennenlernt. Mau wächst im Landkreis Fürstenfeldbruck – in der Nähe von München – zweisprachig und im Besitz beider Staatsbürgerschaften auf. Die braunen Augen und die dunklen Locken hat er von seiner Mama. Seine lateinamerikanischen Wurzeln machen ihn zu einer Person of Color (PoC) – also einer Person, die nicht weiß ist. Als ihn die Polizisten im Mai 2018 kontrollieren wollen, wirkt es auf Mau im Nachhinein merkwürdig. Denn das Auftauchen seines deutschen Vaters ändert anscheinend so viel, dass er erst gar nicht kontrolliert wird.

Mau Kreuss | Quelle: Katharina Schöndorfer

Das, was Mau hier erlebt hat, nennt sich Racial Profiling. Menschen, die nur aufgrund ihres Aussehens – beispielsweise wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit oder Hautfarbe – gezielt von Sicherheits- oder Polizeikräften kontrolliert und verdächtigt werden, ohne dass es konkrete Anhaltspunkte für ein Fehlverhalten gibt, erleben Racial Profiling. Ein Vorgehen, das nur auf Vorurteilen basiert. Wäre es wirklich eine „allgemeine Personenkontrolle“ gewesen, dann hätte das Auftauchen von Maus Papa nichts an der Kontrolle ändern dürfen. Dass Mau kein Einzelfall ist, bestätigen Wissenschaftler:innen und Expert:innen. Doch wie viele Personen in Deutschland genau von Racial Profiling betroffen sind, ist unklar. In einer Afrozensus-Umfrage gaben rund 57 Prozent der befragten schwarzen, afrikanischen und afrodiasporischen Menschen an, dass sie ohne erkennbaren Grund von der Polizei kontrolliert werden. Andere betroffene Personengruppen sind in diesem Ergebnis nicht mit eingeschlossen. Die Dunkelziffer bei Racial Profiling ist dementsprechend hoch. Die Meisten melden den Vorfall gar nicht erst.

„Verdachtsunabhängige Personenkontrollen, die ohne sachlichen Grund wegen des Aussehens erfolgen, sind diskriminierend, weil wegen der ethnischen Zugehörigkeit oder religiöser Symbole ein rechtswidriges Verhalten unterstellt wird. Damit werden vor allem nicht-weiße Menschen einem Generalverdacht ausgesetzt.“

Antidiskriminierungsstelle des Bundes

Wie erleben Betroffene Racial Profiling?

Und an wen können sie sich wenden? Wir haben mit Menschen gesprochen, die Racial Profiling erfahren mussten. Antidiskriminierungsberater vom Bayerischen Jugendring und dem Projekt weact erklären, wie sie Betroffene unterstützen.

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In dem Landkreis, in dem Mau selbst groß geworden ist, befindet sich auch die Hochschule für den öffentlichen Dienst in Bayern. In einem ehemaligen Klostergebäude in Fürstenfeldbruck bildet unter anderem Sebastian Alltertseder die zukünftigen Führungskräfte der Polizei aus. Racial Profiling bezeichnet er als „absolutes Gift“, sowohl für das Klima intern als auch für die Wirkung und die Legitimität polizeilichen Handelns nach außen. „Wir repräsentieren die demokratische Kultur dieses Staates. Das tut jeder einzelne Polizist und jede einzelne Polizistin, und dessen müssen wir uns auch bewusst sein“, betont Allertseder. Er und seine Kolleg:innen setzen deshalb ganz vorne an: im Psychologieunterricht. Hier geht es um Fragen wie: Wie bilden sich Stereotype aus? Wie funktioniert unser kognitiver Prozess? Was heißt eigentlich Migration? Und was sind Ursachen für Migrationsprozesse?

Es sei wenig sinnvoll, sich vorne hinzustellen und zu sagen: „Diskriminierung ist böse, das dürft ihr nicht machen.“ Die Auszubildenen sollen später als Führungskraft erklären können, warum es sich lohnt, den Blick zu weiten und „nach links und rechts zu gucken, weil man sich sonst selbst am Ende in eine Sackgasse manövriert“, erklärt Sebastian Allertseder.

Kreislauf einer verzerrten Kriminalstatistik

Menschen, die aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes häufiger kontrolliert werden, landen mit größerer Wahrscheinlichkeit als „Treffer“ in den polizeilichen Datenbanken. Dies führt dazu, dass auch andere Personen mit ähnlichem Aussehen vermehrt ins Visier der Polizei geraten, wie eine Studie des Deutschen Instituts für Menschenrechte erklärt. Auch Fabian Kahlert erlebt das in der Praxis als Rechtsanwalt im Strafrecht. Denn Betroffene von Racial Profiling seien viel häufiger mit Strafverfahren konfrontiert: „Statistisch gesehen nicht, weil sie mehr Straftaten begehen, sondern weil sie häufiger kontrolliert und durchsucht werden. Weil man ihnen einfach mehr unterstellt.“

Für Menschen, die Racial Profiling erfahren, können diese Unterstellungen schmerzhaft und in schlimmen Fällen sogar traumatisch sein. Das weiß auch Hamado Dipama. Er ist Antirassismus- und Antidiskriminierungsberater im Projekt weact in München und selbst Betroffener. Nachdem er 2002 als Geflüchteter aus Burkina Faso nach Deutschland kam, musste er eine – so nennt er es – „lange Asylkarriere“ machen. Neun Jahre kämpfte er gegen die Abschiebung und verbrachte insgesamt sechs Jahre in Asylunterkünften. Heute ist er Sprecher des Bayerischen Flüchtlingsrats und kämpft in seinem Alltag für Veränderung und gegen Rassismus. Als Person of Color hier in Deutschland sei es schwierig zu sagen, man hätte noch nie Racial Profiling erlebt, erklärt Hamado. Ihm selbst sei es beispielsweise am Münchner Hauptbahnhof ständig passiert: „Bis vor ein paar Jahren konnte man keine 100 bis 200 Meter laufen, ohne kontrolliert zu werden.“

Rassismus entgegentreten und diskriminierungsfreie Gesellschaft mitgestalten.”

Unter diesem Motto steht das Projekt weact vom Bundesverband Netzwerke von Migrant:innenorganisationen e. V.. Ziel von weact ist es, durch Beratungsangebote Betroffene mit ihren Rassismuserfahrungen zu unterstützen und ihre Handlungsfähigkeit zu stärken.

Die Polizei, euerFreund und Helfer?

Sebastian Allertseder von der Hochschule für den öffentlichen Dienst erklärt, dass eine gewisse Art von Racial Profiling nahezu unvermeidbar ist. Denn bei einer Fahndung würde ein:e Täter:in automatisch äußerlich beschrieben werden, „da ist es jetzt egal, ob es um einen südländisch wirkenden Tätertyp geht oder, wenn es heißt, der ist blond und wirkt nordeuropäisch.“ Er betont aber auch, dass es wichtig sei zu unterscheiden: einerseits beim anlassbezogenen Kontrollverfahren, wenn eine klare Beschreibung eines:r Tatverdächtigen vorliegt, und andererseits bei einer nicht anlassbezogenen Kontrolle. „Wenn ich immer nur die Person raussuche, von der ich glaube, dass sie – weil sie so aussieht, wie sie aussieht – Dreck am Stecken hat, dann ist das natürlich Quatsch und diskriminierendes Verhalten.“

Unvoreingenommene Polizeiarbeit sei aber nicht immer leicht. Sebastian Allertseder erklärt es so: „Der Mensch steht sich am Ende wahrscheinlich selbst im Weg, weil er es sich gerne leicht macht, gerne seine Schubladen rauszieht. Irgendwann passiert es dann auch mal, dass man in solche Muster fällt. Das muss ja nicht immer gleich in Diskriminierung münden. Es kann auch einfach in einer schlechten Ermittlungsarbeit münden, weil ich nur in eine Richtung denke.“

Bei Mau hat es damals ein, zwei Tage gedauert, bis er die Situation am Flughafen zuordnen konnte und er realisiert hat: „Okay, das war halt wirklich dieses Racial Profiling.“ Die bisherigen Erfahrungen mit Racial Profiling haben sein Leben trotzdem nicht beeinträchtigt. Mau würde die Polizei auf jeden Fall anrufen, wenn er in Schwierigkeiten wäre. Obwohl das für alle Menschen hier in Deutschland selbstverständlich sein sollte, ist es für manche nicht die Realität.

„Wenn mir irgendwas passiert, wenn ich hier gleich rausgehe, und es passiert ein Streit mit jemandem oder so. Dann muss ich mehrfach überlegen, ob es eine gute Idee ist, die Polizei anzurufen. Das sollte eigentlich normal sein, wenn ich in Gefahr bin. Als schwarzer Mensch hier in Deutschland muss ich mehrfach überlegen, ob es eine gute Idee ist, die Polizei anzurufen. Eine Täter-Opfer-Umkehr kann ganz schnell passieren.“

Hamado Dipama

Racial Profiling spielt nicht nur bei Taten, sondern auch bei der Wahrnehmung der Polizei in bestimmten Situationen eine Rolle. Die Wahrscheinlichkeit, dass nicht ihm geglaubt wird, sondern dem Täter oder der Täterin, sei hoch. Hamado betont, dass diese Momente mit vielen Vorurteilen verbunden sind. „Und das macht was aus, was das Vertrauen in die Sicherheitsbehörden angeht.“ Dabei sollte die Polizei doch „unser Freund und Helfer“ sein. Im allgemeinen Leitbild der Polizei ist klar formuliert, „dass die Polizei sich als Teil dieser Gesellschaft sieht und für alle Bürgerinnen und Bürger da ist und es nicht sein kann, dass wir da einseitiges Verhalten an den Tag legen, weil es einfach mit unseren grundlegenden Werten so nicht vereinbar ist“, sagt Allertseder von der bayerischen Polizeihochschule.

Wie geht die Polizei gegen rassistisches Verhalten in den eigenen Reihen vor?

Ein falsches Handeln von Polizist:innen würde benannt werden, so Allertseder. Als Erstes würde man mit Polizist:innen, die bei Kontrollen offensichtlich diskriminierend vorgehen, ein klärendes Gespräch führen. Doch bei einem ernsthaften Fall von Diskriminierung gäbe es nichts, was die Person schützt. „Dann sind wir auch klar in der Anwendung von disziplinarrechtlichen Maßnahmen. Das wird klar als Ziel postuliert vom Landespolizeipräsidenten.“ Wer ein diskriminierendes Verhalten einer anderen Person deckt, exponiert sich selbst im erweiterten Sinne als Mittäter:in, erklärt der Dozent der bayerischen Polizeihochschule weiter.

„Wer rassistisch handelt, hat bei der Polizei schlicht und ergreifend nichts verloren. Und dann hat, glaube ich, kein Kollege und keine Kollegin Mitleid mit so jemandem, weil am Ende ist es ein Ansehensschaden für alle.“

Sebastian Allertseder

Das große Problem ist wohl eher, ein solches Handeln zu identifizieren und zu beweisen. „In vielen Fällen werden die Verfahren dann tatsächlich auch fallen gelassen, weil die Vorwürfe nicht haltbar oder vielleicht auch manchmal nicht beweisbar sind“, bestätigt Sebastian Allertseder.

Rechtliche Schritte gegen Racial Profiling: Können sich Betroffene überhaupt wehren?

In unserer Podcastfolge sprechen wir mit Rechtsanwalt Fabian Kahlert über Racial Profiling. Wir werfen einen Blick auf Maus Fall und lassen uns von Fabian Kahlert erklären, welche rechtlichen Möglichkeiten es gibt und wie die Erfolgsaussichten für Betroffene stehen.

Tief verwurzelte Vorurteile

Maus Erlebnis am Berliner Flughafen ist ein klassisches Beispiel für Racial Profiling. Die Polizeikontrolle, die abrupt endete, als sein deutscher Vater hinzukam, zeigt, wie tief verwurzelt Vorurteile in unserer Gesellschaft sind. Mau betrachtet die Erfahrung als eine Art „Realitätscheck“, trägt aber keine bleibenden Narben davon. Er hat nie rechtliche Schritte unternommen und wird dies vermutlich auch in Zukunft nicht tun.

Auch wenn Mau nicht zu den Extremfällen gehört, zeigt sein Fall die alltägliche Realität von Racial Profiling. Es zeigt, wie Menschen aufgrund ihres Aussehens und ihrer ethnischen Zugehörigkeit unverhältnismäßig oft ins Visier der Polizei geraten. Für Menschen, wie Hamado Dipama, die regelmäßig Racial Profiling erleben, sind die Folgen weitreichender. Sie verlieren das Vertrauen in die Polizei, was dazu führt, dass sie in gefährlichen Situationen zögern, Hilfe zu suchen.

Racial Profiling liegt schwarz auf weiß vor uns. Dennoch lehnte der ehemalige Bundesinnenminister Horst Seehofer 2020 eine Studie zu Rassismus in der Polizei ab. Nach zahlreichen Diskussionen wurde ein Jahr später eine Untersuchung in Auftrag gegeben, die gezeigt hat, dass es aktuell mehr als nur Einzelfälle gebe, bei denen die persönlichen Einstellungen von Polizist:innen kaum mit den Leitbildern der Polizei übereinstimmen.

Katharina Schöndorfer & Luka-Andreas Robič

Wir finden es erschreckend, wie schwer es für Betroffene ist, gegen Racial Profiling vorzugehen. Deshalb ist es umso wichtiger, Racial Profiling anzusprechen. Wir sind unseren Interviewpartnern sehr dankbar, dass sie ihre Geschichten mit uns geteilt haben.