Mit Babybauch beim Training für den Triathlon
Leistungssportlerinnen wie die Marathonläuferin Gesa Krause, die Rennrodlerin Dajana Eitberger oder die Beachvolleyballerin Laura Ludwig haben alle eins gemeinsam: Sie sind Leistungssportlerinnen und Mütter. Diese beiden Aufgaben sind jedoch mit Herausforderungen verbunden, denn in der Schwangerschaft kann das Training nicht fortgesetzt werden. So lautet zumindest der weitverbreitete Glaube in der Gesellschaft. Ambitionierte Sportlerinnen müssen ihr Training in der Schwangerschaft jedoch nicht pausieren.
Maike Gebhart & Annemarie Reichelt
Melissa ist Triathletin und wird bald zum zweiten Mal Mutter. Vor der Schwangerschaft hat sie an vier bis fünf Wettkämpfen pro Jahr teilgenommen, von Mai bis Mitte September. „Das ganze Jahr trainiert man auf den Wettkampf hin“, sagt sie. Dieses Jahr fallen die Wettkämpfe weg, denn sie ist schwanger. „Ich würde gerne teilnehmen, aber das mache ich nicht“, antwortet die 33-Jährige auf die Frage, ob sie sich denn vorstellen kann, noch während der Schwangerschaft an Wettkämpfen teilzunehmen. „Bei Wettkämpfen im Triathlon gibt es Rennrad-Distanzen, die auch manchmal über Schotterpisten führen können, und das ist einfach zu gefährlich, wenn es zu einem Sturz kommen sollte. Das Verletzungsrisiko für Mutter und Kind ist dabei einfach zu hoch“, erzählt Melissa. Triathlon als Wettkampf gehört zu den nicht empfohlenen Sportarten während der Schwangerschaft. Wenn man die Disziplinen des Triathlons allerdings einzeln ausübt und den Wettkampfaspekt weglässt, werden sie sogar von der Deutschen Zeitschrift für Sportmedizin empfohlen.
In einer normalen Trainingssaison ohne Schwangerschaft trainiert Melissa in den Wintermonaten von Oktober bis Februar zehn bis elf Stunden und im Sommer sogar bis zu vierzehn Stunden pro Woche. Einmal im Jahr fährt sie für ein bis zwei Wochen ins Trainingslager. „Wenn du etwas gut machen willst und besser werden willst, dann musst du viel Zeit dafür aufwenden – und mit den drei Disziplinen Schwimmen, Radfahren und Laufen gibt es beim Triathlon immer etwas zu trainieren“, erzählt sie. Melissa ist über ihren Fitnessstudio-Coach zum Triathlon gekommen. Er ist selbst Triathlet und hat Melissa deswegen die Sportart empfohlen. „Seit 2018 trainiere ich mehrmals die Woche dafür“, sagt Melissa.
Was ist Triathlon?
Triathlon ist eine Ausdauersportart, die aus den drei Disziplinen Schwimmen, Radfahren und Laufen besteht, die nacheinander in einer festgelegten Reihenfolge absolviert werden. Die Strecken zu Wasser und zu Land können je nach Wettkampfdistanz unterschiedlich sein. Die einzelnen Distanzen unterscheiden sich in der Länge der einzelnen Streckenabschnitte, die laufend, Fahrrad fahrend oder schwimmend absolviert werden können. Dabei geht es darum, die einzelnen Strecken so schnell wie möglich zu bewältigen. Die Uhr stoppt die Zeit dabei nicht nur während der einzelnen Disziplinen, sondern läuft auch beim Wechsel zwischen den Disziplinen mit. Der bekannteste Triathlon ist der Ironman Hawaii.
Im Sommer 2021 wurde sie dann zum ersten Mal schwanger. Mit dem positiven Schwangerschaftstest in den Händen hat sie bei ihrem Coach angerufen. „Ich wusste gar nicht, was man im Training in der Schwangerschaft machen kann und darf“, erklärt sie. Das Ausüben von Sport in der Schwangerschaft führt nicht nur bei Amateursportlerinnen zu Verunsicherungen. Auch Melissa, die ihren Sport auf hohem Niveau betreibt, war erstmal vorsichtiger. „Einen guten Coach an der Seite zu haben, der empathisch ist und bereits andere schwangere Sportlerinnen betreut hat, kann die Verunsicherung ein Stück weit nehmen. Ich glaube, wenn ich die Betreuung nicht gehabt hätte, dann hätte ich natürlich gegoogelt, und da findest du alles Mögliche“, sagt die Triathletin. Im Internet häufen sich die Empfehlungen zum Sport in der Schwangerschaft. „Sport in der Schwangerschaft – was ist (nicht) erlaubt?“ oder „Sport in der Schwangerschaft: Das ist zu beachten“ sind nur zwei der Titel zu Ratgeber-Seiten im Internet. Tatsächlich sind in den Köpfen noch viele Vorurteile verankert, wenn es um Schwangerschaft und Sport geht.
In Internetforen findet sich der Mythos, dass körperliche Aktivität während der Schwangerschaft schädliche Folgen für Mutter und Kind hat. Daraus resultiert auch die Schlussfolgerung, dass sich die Frau in der Schwangerschaft besser ausruhen und schonen soll.
Allgemeine Empfehlungen zu Sport in der Schwangerschaft
Alle Sportarten und Übungen sollten während der Schwangerschaft im moderaten, aeroben Bereich absolviert werden. Aerob bedeutet, dass der Körper ausreichend Sauerstoff zur Verfügung hat, um die benötigte Energie bereitzustellen. Nach Alter und Trainingszustand wird ein Herzfrequenzbereich von 125 bis 155 Schlägen pro Minute empfohlen von der Deutschen Sporthochschule in Köln. Beim Radfahren sollte der Puls bis zu 10 Schläge pro Minute und beim Schwimmen sogar 20 Schläge pro Minute niedriger sein. Neben der Herzfrequenzkontrolle ist vor allem das subjektive Belastungsempfinden wichtig, um die eigenen körperlichen Belastungsgrenzen nicht zu überschreiten.
Sport in der Schwangerschaft erhöht die körperliche Leistungsfähigkeit, wodurch die Geburt und die Zeit danach erleichtert wird. So entlastet das Radfahren auf der Ebene beispielsweise die Wirbelsäule, denn dabei trägt das Fahrrad das eigene Körpergewicht. Besonders Schwimmen eignet sich bei Schwangeren, die zu Wassereinlagerungen neigen, zudem ist es gelenkschonend. Auch entgegen dem Mythos ist das Risiko für eine Vaginalinfektion beim Schwimmen nicht erhöht, fasst die Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin zusammen. Um zusätzliche Kreislaufreaktionen zu vermeiden, sollte das Wasser eine Temperatur von nicht unter 20 und über 33 Grad haben. Ein moderates und dynamisches Krafttraining kann Rückenschmerzen in und nach der Schwangerschaft vermeiden.
Melissa ist während ihrer ersten Schwangerschaft oft laufen gegangen. Auch mit schon sichtbarer Babykugel war sie draußen unterwegs. „Da wurden mir auch komische Blicke zugeworfen und die Leute haben sich sicher gefragt: ‚Was macht sie denn da?‘ Ich habe mich davon nicht irritieren lassen“, erzählt sie. „Und vielleicht haben manche sogar dazu eine Bemerkung gemacht, das weiß ich aber nicht, weil ich beim Laufen meistens Kopfhörer in den Ohren habe und Musik höre“, fügt sie hinzu. Aber auch davon hätte sie sich nicht vom Sport abbringen lassen.
Positive Auswirkungen von Sport in der Schwangerschaft
Sport in der Schwangerschaft ist sogar wünschenswert, denn er bringt viele Vorteile mit sich für den Schwangerschaftsverlauf, die Geburt und die Zeit danach. So wird durch Sport in der Schwangerschaft das Risiko einer Wochenbett-Depression nach der Geburt verringert. Eine Studie der Universität Madrid fand heraus, dass in einer Gruppe an Frauen, die während der Schwangerschaft sportlich aktiv waren, nur 19 Prozent der Frauen eine depressive Verstimmung hatten. In der Vergleichsgruppe, bei der die Frauen keinen Sport während der Schwangerschaft machten, waren es mit 36 Prozent fast doppelt so viele.
Melissas Training in der Schwangerschaft bis zum erfolgreichen Comeback
In der Schwangerschaft war Melissas Ziel, ihren Trainingsstand so lange wie möglich aufrechtzuerhalten. Nachdem ihr Sohn im April zur Welt kam, startete sie im August wieder bei einem Wettkampf. „Das war cool“, erzählt sie und fügt hinzu: „Zwar war ich nicht auf dem gleichen Niveau wie vor der Schwangerschaft, aber die Entscheidung, an dem kurzen Sprint-Wettkampf teilzunehmen, war von mir gut überlegt und für mich nicht zu voreilig.“
Trainerwechsel: Melissa’s gezielte Vorbereitung auf die zweite Schwangerschaft im Sport
Letztes Jahr ist sie dann von ihrem alten Coach zu ihrer neuen Trainerin Laura-Sophie Usinger gewechselt. „Es ist ganz normal, nach ein paar Jahren den Trainer zu wechseln, um neue Impulse zu bekommen, um sich weiterzuentwickeln“, erklärt Melissa. Ihre jetzige Trainerin ist auf die Themen Menstruationszyklus und Schwangerschaft im Sport spezialisiert. Vor dem Wechsel gab es zwischen Melissa und Laura-Sophie ein ausführliches Gespräch. Dabei hat Melissa Laura-Sophie auch von ihrem Plan, ein zweites Kind zu bekommen, erzählt. Ihre Trainerin Laura-Sophie konnte sich schon während des Gesprächs vorstellen, Melissa durch ihre zweite Schwangerschaft zu begleiten. „Wenn ich weiß, dass meine Athletin schwanger ist oder eine Schwangerschaft plant, dann führe ich ausführliche Gespräche mit ihr, bei denen wir das Trainingsziel für die Schwangerschaft festlegen. Erst dann erarbeite ich die Trainingseinheiten“, erzählt Laura-Sophie Usinger.
Melissas eigentliches Wettkampfziel, die olympische Triathlon-Distanz, hat sich dann mit der zweiten Schwangerschaft geändert.
Jetzt trainiert sie dafür, gesund durch die Schwangerschaft zu kommen und sich auf die Geburt vorzubereiten. Melissa sagt: „In meiner zweiten Schwangerschaft vertraue ich meinem Körper mehr und weiß, wo meine Belastungsgrenze ist und wie weit ich gehen kann. Der Körper ist viel robuster, als man denkt.“ Es gibt auch mal Tage, an denen es ihr nicht so gut geht und sie viel mit Übelkeit zu kämpfen hat. „Mir hilft es, mich zu bewegen und Sport zu treiben. In der Zeit ist bei mir das Unwohlsein weg“, erzählt Melissa. Eine aktuelle Studie indonesischer Forscher zeigt, dass man Schwangerschaftsübelkeit mit Sport vorbeugen kann.
„In den ersten drei bis fünf Monaten ist man noch relativ beweglich. Der Trainingsplan wird aufgrund der körperlichen Veränderungen während der Schwangerschaft angepasst“, erklärt die Trainerin Laura-Sophie Usinger: „Ich bin in engem Austausch mit meinen Athlet:innen. Eine Schwangerschaft ist etwas, das den ganzen Körper der werdenden Mutter verändert. Es ist einfach eine Zeit, in der ich als Trainerin auch das Gefühl habe, dass das Training jetzt nicht die oberste Priorität genießt, aber auf jeden Fall eine gewisse Notwendigkeit hat.“ Laura-Sophie Usinger möchte nicht durch irgendwelche hohen Erwartungen zu viel Druck schüren, sondern lässt die schwangere Melissa mehr Einfluss auf die Trainingsplanung haben, als sie das bei nicht schwangeren Athletinnen tun würde.
Melissa versucht, ihren Trainingsplan so gut es geht durchzuziehen, doch sagt selbst, dass sie das Training in der Schwangerschaft etwas lockerer sieht: „Seit ich ein Kind habe und wieder schwanger bin, lasse ich mal eine Einheit ausfallen. Das war vorher nie der Fall. Da habe ich immer meinen Plan durchgezogen.“ Melissa ist im vierten Monat schwanger. Ihre Trainingswoche sieht zurzeit so aus: Montags beginnt die Woche bei Melissa mit einem Ruhetag, um sich von den vergangenen sechs Tagen Training zu erholen. Am Dienstagmorgen geht sie dann laufen und abends zum Schwimmen. „Da kann ich erst um 20:30 Uhr hingehen wegen unserer Vereinsschwimmzeiten“, sagt sie.
Der zeitliche Aspekt beim Training als Elternteil
Wie bei Melissa spielt für viele Sportlerinnen mit Kind der Zeitaspekt im Training eine zentrale Rolle. Oftmals sind sie auf ihr persönliches Umfeld angewiesen, wie die eigenen Eltern oder den Partner, die die Kinder zu den Trainingszeiten betreuen. Auch die Unterstützung in den Sportverbänden wird dringend benötigt. In einer Umfrage des SWR gab jede dritte Sportlerin an, dass es in den Verbänden an Unterstützung mangelt, um weiter an Wettkämpfen teilnehmen zu können. Ein Verband, der vormacht, wie es gehen könnte, ist der Deutsche Segler-Verband. Der hat eine finanzielle Soforthilfe für Eltern mit Kind eingerichtet. Damit wird Eltern die Kinderbetreuung in Trainingslagern vom Verband finanziert.
„Die finanzielle Hilfe war das Schnellste und Einfachste, was wir als Verband machen konnten.“
Präsidentin des Deutschen Segler-Verband e.V.: Mona Küppers
Nach ihrer Meinung spielt auch das Umfeld eine entscheidende Rolle beim Trainingserfolg: „Uns vom Deutschen Segler-Verband ging es darum, in der langen Zeit der Abwesenheit während der Trainingslager zu garantieren, dass die Athlet:innen fokussiert vor Ort sein können. Wenn es hilft, dass das Kind auch vom Strand aus den Eltern beim Training zuschauen kann und da ist, wenn die Athlet:innen wieder vom Wasser kommen, dann ist das eine gute Sache. Da ist der Kopf freier.“ Dabei spielt auch die mentale Gesundheit eine Rolle. „Wenn so ein kleiner Knirps mir morgens noch ein Küsschen gibt und sagt: ‚Mama, mach es schön‘, dann fährst du mit einem breiten Grinsen schon aufs Wasser raus“, erzählt Mona Küppers und fügt hinzu: „Das ist besser, als am Telefon zu sagen: ‚Mama, wo bist du?‘“.
Während ihr Sohn in der Kita ist, hat Melissa vormittags ein bisschen Zeit, um zu trainieren. Jeden Mittwoch steht momentan ein kurzer Lauf bei ihr an und am Donnerstag fährt sie 90 Minuten mit leichter Intensität Fahrrad zuhause auf der Rolle. Am Freitag geht sie eine Stunde laufen. Im Trainingsplan war eigentlich eine Stunde länger vorgesehen, doch Melissa merkte, dass es ihr zu viel war und verkürzte die Laufeinheit. „Man muss einfach auf den Körper Rücksicht nehmen, der sich gerade verändert, und auf Symptome wie Müdigkeit achten. Da sollte man nicht über seine körperlichen Grenzen gehen“, sagt ihre Trainerin Laura-Sophie Usinger.
Am Samstag setzt sich Melissa wieder auf die Rolle und macht eineinhalb Stunden Intervalltraining. Am Sonntag läuft sie 50 Minuten. Laura-Sophie Usinger hat sich am Anfang viel mit Ärzten ausgetauscht, wie sie am besten Athletinnen in der Schwangerschaft trainieren kann. „Ich habe auch Erfahrungsberichte von anderen Trainer:innen eingeholt, die schwangere Athletinnen betreut haben. So kann ich mein Wissen ausbauen, welche Trainingsbelastung im Verlauf der Schwangerschaft möglich ist“, erzählt Laura-Sophie und erhofft sich dabei noch mehr Zusammenarbeit zwischen Gynäkologie und Sport. Durch die Zusammenarbeit mit der schwangeren Triathletin Melissa weitet Laura-Sophie ihr Wissen über Sport in der Schwangerschaft weiter aus. Und Melissa achtet bei ihrem Training auf ihren Körper. Sie hat die Hoffnung, dass sie mit der Unterstützung von Laura-Sophie als Trainerin noch lange mit dem Training weitermachen kann. Nach der Geburt will Melissa wieder einsteigen und hofft, nächstes Jahr wieder an Wettkämpfen teilnehmen zu können.
Maike Gebhart & Annemarie Reichelt
Uns hat begeistert, dass das Thema Schwangerschaft im Leistungssport auf viel Zustimmung trifft und alle unsere Protagonist:innen gerne mit uns darüber geredet haben.
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