Seit 1977 ist eines der ältesten Gebäude in Passau Anlaufpunkt für junge Menschen. Mit verschiedenen Angeboten vermitteln die Sozialpädagogen Werte und schlagen interkulturelle Brücken. Ein Safe-Space, ein Treffpunkt, ein Vertrauensort – das Jugendzentrum Zeughaus in Passau hat für jeden Jugendlichen eine andere Bedeutung. Was bewegt die jungen Menschen und wie gestalten sie den Betrieb im Jugendzentrum mit?

Von Jana Borowski

Ein Pfadfinder setzt sich an einen der dunkelbraunen Tische neben der Theke. Sein Hemd hängt an einer Seite etwas aus der Hose, seine gelb-blaue Krawatte ist schief gebunden. Klack-klack, klack-klack – im Hintergrund liefern sich vier Jugendliche ein Tischtennisturnier. Jubelnd feiert ein Team seinen Sieg. Auch der Billardtisch ist belegt. Konzentriert trägt ein Junge Kreide auf seinen Queue auf. Staub fliegt durch die Luft und verdeckt den Glanz des weißen Billardballs, der im gedimmten Neon-Licht sonst ganz leicht schimmert. Seine Freunde rennen um den Tisch herum und probieren Tricks, zielen auf den Ball, mit dem Queue hinter dem Rücken. Zwei weitere Jungs kommen rein, man gibt sich die Hand, prüft mit einem Blick die Situation. Bammm – das Fangnetz um die Tischtennisplatte fällt um. Zwei Mädchen auf einem dunklen Ledersofa kichern leise.

Jugendliche bringen ihre Ideen mit ein

Aber der Pfadfinder, der trägt dunkelblaue Overhead-Kopfhörer, wippt mit dem Fuß zur Musik und scheint abseits vom Trubel in seiner eigenen Welt versunken. Vor ihm steht ein Teller mit Gemüseeintopf. Den hat Katrin Riedmayr heute mit ehrenamtlichen Jugendlichen gekocht. Die 47-jährige ist Erzieherin und arbeitet seit 23 Jahren im Jugendzentrum Zeughaus – bereitet unter anderem ein günstiges Mittagessen für die Jugendlichen zu. Heute am lumpigen Donnerstag steht sie mit einem Cowboyhut hinter dem Tresen. „Einen Krapfen gibt es nur, wenn ihr geschminkt seid!“, ruft sie zwei Jugendlichen zu. „Hast du einen Haarreif?“, entgegnet ihr einer der Jungs. Katrin Riedmayr dreht sich um und kruschelt im Schrank. Irgendwo zwischen Tassen, Gläsern, bunten Strohhalmen und Süßigkeiten findet sich in der Schublade ein graues, grobgestricktes Stirnband.

Vorsichtig tunkt Philip (Name geändert) den Pinsel in den Wasserbecher und dann in die Farbe. Das Schwämmchen neben dem Farbkasten ist nicht mehr schneeweiß, sondern leicht rosa, mit einem roten Fleck in der Mitte. Philip ist 14 Jahre alt und arbeitet ehrenamtlich im Zeughaus. Freitags von 15 bis 17 Uhr reicht er Getränke, Tischtennisschläger und Queues über die Theke – und hilft bei Konzerten mit, die regelmäßig im Jugendzentrum stattfinden. „Wir sind beim Zeughaus-Meeting mit dabei und können unsere Ideen einbringen“, sagt Philip, „zum Beispiel einen Adventskalender oder eine Schatzsuche.“ Ihm habe in letzter Zeit die U-18 Wahl am besten gefallen, bei der das Zeughaus als Wahllokal diente und Ort der Auszählung war – ein Angebot, um politische Bildung zu verwirklichen und mit den jungen Menschen über Themen wie Flucht und Klima ins Gespräch zu kommen.

Fantasy, Rapp und ein offenes Ohr für alle

Währenddessen kommen noch zwei weitere Jugendliche hinzu. Sie sind fast jeden Donnerstag im Jugendzentrum, um beim Fantasy-Treffen mitzumachen. „Wir spielen Pokémon, Yu-Gi-Oh! und haben die gleichen Interessen, zum Beispiel Animes und Mangas“, sagt einer der beiden, „hier kann ich mit jemandem darüber reden.“

„Das Fantasy-Treffen, bei dem die Kinder und Jugendlichen Brett- und Kartenspiele spielen, gehört zu den regelmäßigen Aktionen, die im Zeughaus stattfinden“, erklärt Christian Anetzberger. „Im Bandraum gibt es Equipment, um sich ohne Beobachtung ausprobieren zu können – zum Beispiel im Rappen“, ergänzt er.  Der Sozialpädagoge bildet mit Hanna Jetzinger, der Leiterin des offenen Bereichs und Katrin Riedmayr das pädagogische Team der kommunalen Jugendarbeit im Zeughaus. Als Stadtjugendpfleger ist ihnen Edmund Kriegl direkt vorgesetzt. Ein ehrenamtliches Team, bestehend aus acht Jugendlichen, unterstützt beim Thekenbetrieb und bei Konzerten.

Die Jugendlichen vom Fantasy-Treffen haben sich in der Zeit in den Gruppenraum verzogen. Eine kleine Metallschachtel gefüllt mit Würfeln trennt ihre Spielmatten. Grob aufgerissen liegt daneben eine Keksschachtel und zwei Durstlöscher. Eistee-Pfirsich-Geschmack. Einer der beiden Jungs steckt den Plastikstrohhalm in das Getränkepäckchen. „Das Spiel funktioniert so: Man muss das gegnerische Pokémon besiegen und Preiskarten bekommen“, erklärt er und legt seine Karten auf der Spielmatte aus.

Laut Christian Anetzberger kommen an den Haupttagen – Mittwoch, Donnerstag und Freitag – zwischen 30 und 60 Jugendliche im Alter von 12 bis 26 Jahren ins Zeughaus: „Manche bleiben stundenlang, andere kommen kurz rein und sind dann wieder weg“, sagt der Sozialpädagoge. Mit einer braun-karierte Kappe – schief und rückwärts aufgesetzt – auf dem Kopf steht der 52-jährige hinter der Theke und schenkt Limonade ein – hat ein offenes Ohr für alle.

„Nur einer kennt die Spielregeln“

Neben dem offenen Betrieb, also Kickern, Billard, Tischtennis, strukturieren verschiedene regelmäßige Aktionen den Ablauf im Jugendzentrum. „Bei „Skate und Break“ können die Jugendlichen die Miniramp benutzen. Eingepasst zwischen drei Wänden ist die Halfpipe nicht nur ein Ort zum Skaten, sondern auch zum Abhängen. Wie eine Collage hängen Skateboard Decks an der rechten Wand über der Rampe. „Zu Hip-Hop und Funk tanzen wir alles in Richtung Streetdance“, sagt Anetzberger, „wer will, kann natürlich auch Salsa tanzen.“ Mit diesem Angebot möchte er „Bewegung, Kreativität und Selbstwirksamkeit“ fördern. „Die Jugendlichen sollen mitgestalten und selbst aktiv werden“, so Anetzberger.

Heute war niemand zum Skaten da. Christian Anetzberger lässt aber beim zweiten Teil des Angebots „Break“ nicht locker. „Der Chris macht mit uns am Donnerstag immer Challenges“, sagt Philip, „zum Beispiel eine Plank-Challenge.“ Vor ihm und seinen Freunden vom Fantasy-Treffen häufen sich blaue, rote, grüne und schwarze Poker-Chips, akkurat in Türmchen gestapelt. Auf dem Tisch liegen Spielkarten verteilt, auf dem Fensterbrett ein Texas Hold‘ em Karton. „Nur einer von uns kennt wirklich die Spielregeln“, ruft Philip ins Stimmengewirr.

Währenddessen gibt es einen musikalischen Cut. Vorher lief Radio. Jetzt erfüllen dynamische Hip-Hop- und Funkklänge den Raum. Die kleinen Lichtpunkte der silbernen Discokugel spazieren über den Boden, klettern die Wände hoch. Christian Anetzberger wärmt sich auf der anderen Seite des Raums auf. Er springt Seil, mal auf dem einen, dann auf dem anderen Bein. Stellt sich mit dem Rücken nah an die Wand und streckt einen Arm weit von sich. Er geht in die Knie, stützt dann die Hände auf den Boden, streckt die Beine gerade in die Luft. Handstand. „Die Arbeit hier hält mich jung“, sagt der 52-jährige, „sie gibt mir Perspektiven für offeneres und freieres Denken – und lässt mich Regeln hinterfragen.“

FIFA ist grad kaputt

„Na Jungs, habt ihr Bock auf eine Challenge?“, fragt er die Poker-Runde, zu der sich auch der Junge in Pfadfinderuniform gesellt hat. Vorher noch allein unter seinen Kopfhörern, ist er jetzt Teil einer lachenden Gruppe, die sich über ihre Lateinhausaufgaben beschwert und kleine Chip-Türmchen über den Tisch schiebt. „Ne Chris, wir sind mitten im Spiel!“, erwidert Philip die Frage.

Christian Anetzberger kehrt zurück zur Tanzfläche. Der Sozialpädagoge setzt nach einer Weiterbildung in Tanz und Bewegung in Linz, den Fokus auf Ziele wie Gesundheit und Körperbewusstsein, die er mit seiner Jugendarbeit erreichen möchte.

Er geht in die Knie, stützt die Hände parallel neben sich auf den Boden, spreizt die Finger für besseren Halt und verlagert sein Körpergewicht auf diese Seite, bis sein Kopf den steinernen Untergrund berührt – entfernt vorsichtig die Beine vom sicheren Boden. „Das ist der Baby-Freeze, den lernen manche in zehn Minuten, manchen kommen dreimal dafür vorbei“, sagt Anetzberger. Und ergänzt: „Mentor zum Beispiel, der hat den Baby-Freeze sehr schnell gelernt.“

Mentor ist 18 Jahre alt und kommt aus dem Kosovo. Zweimal pro Woche besucht er das Zeughaus: „Ich spiele hier am liebsten Billiard, Tischtennis und FIFA – aber das ist grad kaputt“.  Außerdem macht er bei „Skate and Break“ mit, möchte Hip-Hop lernen. Mentor ist gerade auf Ausbildungssuche und Christian hat angeboten, ihm dabei zu helfen.

„Meine besten Freunde kenne ich vom Zeughaus“

Ziel der Jugendarbeit im Zeughaus ist es, abseits von Projekten und Angeboten, ein offenes Ohr für die Probleme und Sorgen der Jugendlichen zu haben und sie dabei zu unterstützen. „Wichtig ist das Gespräch, ein Mensch, der zuhört, Fragen stellt und Interesse zeigt“, sagt Anetzberger. Er unterstützt die Jugendlichen bei Bewerbungen, Lebensläufen – bietet praktische Hilfe an. So auch Mentor, der eine Ausbildung zum Maler anfangen möchte. „Je nach Fragestellung können wir an eine Beratungsstelle verweisen, zum Beispiel in psychosozialer Hinsicht oder an die Familienberatung“, erklärt der Sozialpädagoge, „wir haben ein Netzwerk, können Informationen weitergeben und die Jugendlichen emotional stärken.“

„Du bist Pokerkönig!“, ruft jemand von der anderen Seite des Raums. Der Junge mit der Pfadfinderuniform hat das Spiel gewonnen. Laut Anetzberger gehört er im Gegensatz zu den anderen Jugendlichen keiner festen Gruppe im Jugendzentrum an – und ist trotzdem Teil von etwas. Christian Anetzberger beschreibt das Zeughaus als eine interkulturelle Begegnungsstätte, in der verschiedene soziale Schichten, Abstammungen und Schulformen aufeinandertreffen. Laut ihm führe das automatisch zu einem Spannungsverhältnis.  „Mit einem gemeinsamen Tischtennisspiel kann man dem ohne viele Worte begegnen, sich näher kennenlernen und Verständnis füreinander aufbringen“, charakterisiert der Sozialpädagoge die Integrationskultur im Zeughaus. Auch für Philip ist es wichtig, auf Toleranz und Respekt zu achten. „Philip ist wie ein Vermittler, wenn es mal Streit gibt“, beschreibt einer seiner Kumpels ihn. Philip selbst sagt: „Es ist wichtig, jeden zu respektieren, denn die besten Freunde, die ich habe, kenne ich vom Zeughaus.“