Testosteron. Masturbation. Illusion?

Er hat ähnliche Probleme wie Gleichaltrige, stellt sich ähnlichen Herausforderungen und wählt einen unkonventionellen Weg. Fabi war Teil der No-Fap- Bewegung. Eine Geschichte über die Suche nach Identität und Männlichkeit.

Marie Kasseroler & Greta Arndt

Fabi vor seiner Wohnung in Leipzig | Quelle: Marie Kasseroler

Fabi dreht sich eine Zigarette. Es ist nicht die erste und wird auch nicht die letzte sein am heutigen Tag. Er sitzt in seinem Garten, kippelt auf seinem Plastikstuhl und bläst den Rauch aus seiner Lunge. Im Hintergrund fährt die Leipziger Straßenbahn.

„Ich weiß nicht, ob ich wie voll der Arsch rüberkomme“, murmelt der 25-Jährige und fischt einen verirrten Käfer aus seinem Wasserglas. Immer wieder zupft er an seinem schwarzen Tanktop oder fährt sich durch die hellbraun gefärbten Haare. Er ist nervös und das nicht ohne Grund. Fabi will heute über sein Leben reden, über Maskulinität, über Masturbation und über seinen Pornokonsum.

Fabi war Teil der NoFap-Bewegung. Eine Internet-Gemeinschaft, die sich lose über Reddit organisiert, sich für konsequenten Masturbations- und Pornoverzicht ausspricht und das Gerücht verbreitet, weniger Orgasmen würden den Testosteronspiegel junger Männer langfristig steigern. Letzteres ist mittlerweile wissenschaftlich widerlegt. Es ist akademisch umstritten, inwieweit Pornosucht tatsächlich existiert und es gibt bisher nur wenige Studien, die sich mit dem Internet- Phänomen NoFap auseinandersetzen. Trotzdem bleibt NoFap ein Sammelbecken für Männer, die ihre Maskulinität durch Pornos bedroht sehen und versuchen, durch den gegenseitigen Austausch im Internet Strategien für den Weg aus ihrer, meist selbst diagnostizierten, Pornosucht zu finden.

Die Themen, über die Fabi heute spricht, sind sehr persönlich. Doch er möchte ehrlich über seine Herausforderungen reden. NoFap ist ein Teil von Fabis Vergangenheit. Deswegen sitzt er an einem schwülen Juni-Samstag im Schatten eines Baumes an diesem weißen Gartentisch. Schlussendlich ist er mit seinen Problemen nicht allein, der NoFap-Subreddit zählt über eine Million Abonnenten.

Er erzählt seine Geschichte mit Witz, mit dem schelmischen Grinsen, das ihm schon seine Klassenlehrerin attestiert hatte. Neben seinem Fußball- und Tischtennisverein ist er auch im lokalen Burschenverein aktiv. Einem Verein, ausschließlich für Männer, jedoch mit weiblichem Pendant, der sich gemeinnützigen Zwecken der Ortsgemeinschaft widmet und bayerische Traditionen lebt. Als ihm sein Kinderzimmer in Oberbayern zu klein wird, macht er die Welt zu seinem Zuhause. Seine Reise beginnt mit einem Auslandssemester auf Bali, danach geht er für seinen Master nach Venedig und nach seinem Zwischenstopp in Leipzig wird er nach Südafrika ziehen. Fabis Verlangen nach Wissen und Erfahrungen hat ihn bereits mit dem Fahrrad auf die Spitze des Olymps nach Griechenland gebracht, aber auch schon an die Schwelle der Unterwelt. Unerlaubterweise besteigt er nachts Funktürme und Fabrikdächer und gibt zu, dass seine Begleitung einmal fast in den Tod gestürzt wäre. Es hat ihn nicht davon abgehalten, immer höhere Aussichtspunkte zu erklimmen.

„Es war kein Turning Point für uns. Ich halte mir gerade auch zum ersten Mal vor Augen, dass es uns vielleicht sogar ein bisschen geiler gemacht hat.“

Die Tabakpackung raschelt. Fabi steckt sich einen Filter zwischen die Lippen und fängt gedankenverloren an, sich eine Zigarette zu drehen . Er lässt sich mit seinen Antworten Zeit, macht lange Pausen und wählt seine Worte mit Bedacht.

„Ich habe definitiv Suchtpotenzial“, sagt er schließlich. „Manche Sachen probiere ich nicht aus, weil ich Respekt davor habe, dass sie mir vielleicht zu gut gefallen.“

Gibt es denn konkrete Süchte, die ihn begleiten?

„Nikotin in verschiedensten Formen, Cannabis und Social Media würde ich definitiv als Sucht bezeichnen.“ Er macht eine weitere Pause. „Und Masturbation.“

Such(t)en

Eine klinische Diagnose hat Fabi nicht. Seine Masturbationssucht habe im Jugendalter begonnen, erinnert er sich. Damals machte er eine schwere Phase durch, doch genauer möchte er auf diese Zeit nicht eingehen.

Stattdessen erzählt er von den persönlichen Hürden, die seine Masturbationssucht auslösen, wie seiner fehlenden Disziplin, gekoppelt mit einem überhöhten Anspruchsdenken. Es ärgert ihn zum Beispiel, dass er gerade nicht in sein E-Mail-Postfach hineinschauen kann, obwohl er genau weiß, wenn er seine E-Mails nicht liest, wird es ihm später auf die Füße fallen. In diesem Moment wartet eine wichtige Mail auf ihn. Er könnte exmatrikuliert werden, doch das ignoriert er. Paradoxerweise macht es ihn wütender, dass er mit diesem destruktiven Verhalten bisher immer durchkommt. Die Tatsache, dass er gerade seine universitäre Laufbahn aufs Spiel setzt, stört ihn weniger.

Fabi seufzt: „Ich komme immer durch. Immer aufschieben, immer prokrastinieren, immer doppelt leiden.“ Dass er sein Potenzial nicht vollends ausschöpft, frustriert ihn. Er glaubt, mehr zu können, als nur den ganzen Tag in seinem Zimmer zu sitzen und an die Decke zu starren. Wer er stattdessen sein soll, beantwortet ihm das Internet. Erfolgreich, interessant, kontrolliert und muskulös sind die Männer, denen er nacheifert. Fabi will sein Leben schließlich umkrempeln und für ihn ist klar, was er dafür tun muss: „Ich muss ins Gym gehen, ich muss weniger rauchen, ich muss damit aufhören, ich muss mein Zimmer aufräumen, ich muss aufhören zu masturbieren, ich muss früh ins Bett gehen, ich muss aufhören, Playstation zu spielen. Also die Liste ist lang.“

Fabi fängt an, öfter ins Fitnessstudio und früher ins Bett zu gehen. Doch mit dem Masturbieren aufzuhören schafft er nicht – im Gegenteil. In seiner Höchstphase schaut Fabi Pornos und masturbiert über Monate hinweg drei bis vier Mal täglich. Er sucht nach dem Dopamin-Kick, der Befriedigung und der kurzzeitigen Entspannung. Nur langfristig findet er sie nicht.

Er glaubt, damit nicht aufhören zu können und die Kontrolle über sein Leben zu verlieren.

Fabi in Leipzig | Quelle: Marie Kasseroler

Finden

Ein Freund macht ihn schließlich auf die NoFap-Community aufmerksam. NoFap suggeriert, dass nur ein paar einfache Schritte befolgt werden müssen, um der Masturbation und dem Pornokonsum abzusagen. Nutzer ignorieren infolgedessen konsequent, dass ihr Konsumverhalten auch ein Symptom für mögliche psychische Ursachen sein könnte. Auch wenn es in der NoFap-Community weniger rassistisch oder antisemitisch als in anderen Foren von Männerbewegungen zugeht, sind die Diskussionen, die dort stattfinden, oftmals frauenfeindlich und toxisch.

Der Aktivist Christoph May vom „Institut detox masculinty” findet deutliche Worte für die NoFap– Bewegung: „Wie kommt man darauf, dass es irgendwie sinnvoll wäre aufzuhören zu ornanieren, obwohl Ornanieren nachgewiesenermaßen gesund ist? Das ist einfach lustfeindlich! Warum gehen Männer so eine Lustfeindlichkeit gegenüber ihrem eigenen Körper ein?”

Trotzdem versprechen zahlreiche NoFap-Apps und Videos mit millionenfachen Aufrufen Erfolg im Leben: Für mehr Glück in der Liebe und im Beruf müsse man nur drei Monate auf Masturbation verzichten. Für Fabi scheint es, als hätte er die Lösung für sein Problem gefunden.

NoFap war das Portal in eine bessere Zukunft“ Fabi schmunzelt bitter. „Ich dachte, wenn ich NoFap durchziehe und mich aufpumpe, dann bin ich alle meine Probleme los und kann mich besser aushalten.“ Zwei Jahre lang hat er NoFap versucht. Er probiert verschiedene Methoden aus, von Liegestützen bis hin zu NoFap-Apps, die er sich herunterlädt, um sich bei dem Gedanken ans Onanieren abzulenken, doch es hilft nichts. 90 Tage ohne Masturbation schafft er nie. Stattdessen geht es ihm schlechter als vorher. „Von den 700 Tagen, an denen ich das gemacht habe, gab es 300 Tage, an denen ich mich unverhältnismäßig fertig gemacht habe deswegen.“

Fabi steht auf. Er möchte über das Thema NoFap nicht weiter in seinem Garten reden. Zu viele offene Fenster und zu viele potenzielle Zuhörer:innen. Er packt seine Zigarettenschachtel in die Bauchtasche und läuft los. Drei Straßen weiter ist ein Park, in dem er sich gerne aufhält und auch ab und an mit Freund:innen trifft. Hier ist viel Platz und abgesehen von ein paar Kindern, die in der Ferne Fußball spielen, sind nicht viele Passant:innen unterwegs. Fabi ist dabei, sich hinzusetzen, doch hält inne, als er feststellt, dass er die Picknickdecke vergessen hat. Entschieden schüttelt er den Kopf: „Mit Picknickdecke ist es viel besser. Ich komme gleich wieder.“ Er läuft nochmal zum Haus und kommt kurz darauf mit besagter Decke zurück. Sichtlich zufrieden macht er es sich auf dem Boden bequem, zieht das Feuerzeug aus seiner Tasche und setzt seine Geschichte fort.

NoFap ist für Fabi lange omnipräsent. Andauernd denkt er an das Durchhalten und an seinen Wunsch, mehr Selbstkontrolle zu erlangen. Er zählt die Tage, die er geschafft hat und ist trotzdem nie zufrieden mit seinem Ergebnis.

„Ich dachte, wenn ich NoFap durchziehe und ich mich aufpumpe, dann bin ich alle meine Probleme los und ich kann mich besser aushalten.“

Fabi

„In der Phase, in der ich war, hat auch der Instagram- Algorithmus gerochen, dass ich nicht so ganz weiß, wohin ich will. Da war ich auch anfälliger für Red Pill Content.“ Die „rote Pille“ zu nehmen, ist in der Männerrechtsbewegung ein Ausdruck dafür, aus einer Illusion erwacht zu sein und über Wissen zu verfügen, das anderen Gruppen der Gesellschaft verborgen bleibt. Anhänger der NoFap-Bewegung fühlen sich von Pornografie bedroht und sehen sich als Opfer neurobiologischer Prozesse.

Sie teilen die Auffassung, im Kampf um die Bedeutung Männlichkeit eine Art Alpha-Position annehmen zu müssen, um sich ihrer männlichen Hegemonie zu beweisen. In den NoFap-Foren werden infolgedessen oftmals Homosexuelle, Frauen oder Feminismus für die Schmach der “NoFaper” verantwortlich gemacht. Häufig wird argumentiert, der Feminismus habe Männer verweichlicht und diese für Pornosüchte anfällig gemacht. Folglich sei der Kampf gegen die Sucht bloß der Kampf ums eigene männliche Überleben. Anhänger der Bewegung finden in den Foren Gleichgesinnte und bilden eine brüderliche Gemeinschaft. Im Gegensatz zu anderen Männerrechtsbewegungen suchen “NoFaper” durchaus Kontakt zu Frauen und artikulieren den Wunsch nach einer liebevollen Beziehung, doch oft steht ihnen ein paranoides Frauenbild im Weg.

Als misogyn würde sich Fabi nicht bezeichnen. Er habe ein positives Frauenbild, sei mit zwei Schwestern aufgewachsen und habe viele enge Freundinnen in seinem Umfeld. Für ihn geht es um Selbstverbesserung, und NoFap sei ein Teil davon gewesen.

Trotzdem – seine Sucht und Suche nach Selbstoptimierung gehen nicht spurlos an ihm vorbei: Fabi hatte noch nie eine Freundin. Er tut sich schwer damit, Frauen kennenzulernen, mit denen er sich eine langfristige Partnerschaft vorstellen könnte. Durch Pornos habe er unterbewusst ein Anspruchsdenken an den weiblichen Körper entwickelt. Frauen mit äußerlichen Makeln seien es „nicht wert“, dass er aus seiner Komfortzone herauskomme.

Fabi lehnt sich zurück und denkt nach. Er ist überzeugt, dass viele Dinge, die er sagt, nicht richtig sind, bezeichnet sie selbst als „oberflächlich und blöd“, aber er weiß sich nicht zu helfen. Seine ungesunden Muster sind längst internalisiert, seine Selbstheilung noch nicht abgeschlossen.

Weitermachen

Nach Bali zu ziehen, habe ihm schließlich geholfen, von seiner “NoFap– Reise” Abstand zu nehmen. NoFap ist dort plötzlich nicht mehr allgegenwärtig. Er masturbiert heute immer noch regelmäßig, aber viel weniger als früher. Fabi sagt, er habe keinen Paradigmenwechsel durchgemacht, aber wisse, dass es wichtigere Dinge in seinem Leben gäbe als Muskeln oder Männlichkeit: „Es ist mir nicht wichtig, männlich zu sein, aber es ist mir wichtig, nicht unmännlich zu sein.“

Mittlerweile würde er auch Therapie in Betracht ziehen, obwohl er immer der Meinung war, dass er derjenige sei, der es ohne schaffen würde. „Masturbation in Kombination mit Pornos bleibt für mich eine Droge, die mit Vorsicht zu genießen ist.” Fabi zieht an seiner Zigarette. „Ich weiß nicht, ob ich auf der Suche bin. Ich weiß nicht, ob ich nicht sogar vielleicht vor irgendetwas weglaufe. Ich weiß nicht, ob ich mir selber was beweisen will.“ Er sagt, es ginge ihm jetzt besser. Er sei nicht mehr so hart zu sich. Er sei zwar noch nicht da, wo er gerne wäre, aber: „Ich arbeite jeden Tag darauf hin, jemand zu werden, auf den ich stolz bin.“

Fabi muss los. Heute steht ein wichtiges Fußballspiel an und er möchte den Anpfiff nicht verpassen. Er zündet sich eine letzte Zigarette an, rollt die Picknickdecke zusammen und macht sich auf den Heimweg. Auf dem Weg zurück zur Wohnung bleibt Fabi plötzlich stehen. Jemand hatte sich seiner leeren Chipstüte entledigt und sie achtlos in einen Hauseingang geworfen. „Soll ich mal nett sein?“, fragt er, hebt die Chipstüte auf und wirft sie in einen Abfallbehälter an der nächsten Bushaltestelle. Er schmunzelt. „Das ist Männlichkeit für mich“, sagt Fabi und geht weiter, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt.

3 Tipps, um toxischer Männlichkeit im Alltag zu begegnen

von Christoph May

  1. Awareness, Awareness, Awareness: Die meisten Männer erkennen das eigene toxische Verhalten nicht. May rät deswegen zuerst einmal abzuklopfen, wie  die Umgebung ist, in der sich der Betroffene bewegt und welche Berührungspunkte er mit Feminismus hat. Man kann fragen,  welche weiblichen Vorbilder die Person hat oder welche Filme sie schaut. Das könnte dabei helfen, den Stand der Männer zu bewerten. 
  2. Patriarchatskritik von der ersten Klasse an: May schlägt vor, Männern schonungslos bewusst zu machen, in welcher vorteilhaften Position sie sich befinden. Man sollte vor möglichen Auseinandersetzungen nicht zurückschrecken, findet May, stattdessen sollte man Männer dazu auffordern, ihre Männerrunden zu verlassen, um den Herausforderungen von Frauen Gehör zu schenken.
  3. Vorschläge machen: Haben Männer ein Grundverständnis für das eigene toxische Verhalten, kann man dazu übergehen, ihnen Vorschläge zu machen, wie sie ihr Alltagsverhalten verändern können. Man könnte Ihnen zum Beispiel feministische Buchempfehlungen geben oder ihnen ans Herz legen, sich zwischendurch Frauenfußball anzuschauen. May weiß, dass dafür ein Grundverständnis bei Männern für die ungerechten gesellschaftlichen Strukturen vorhanden sein muss, aber Männer da anzupacken, wo sie sich auskennen und mit ihnen gemeinsam überlegen, wie sie den lokalen Feuerwehrverein umstrukturieren und inklusiver gestalten können, macht am meisten Spaß.”
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Marie Kasseroler & Greta Arndt

Begeistert hat uns an dem Thema, in eine so maskuline Domäne einzutauchen und ein sehr persönliches Thema beleuchten zu können.