Amen im Algorithmus – wie Glaube seinen Platz im Feed findet

Auf den ersten Blick wirkt Kiras Instagram-Account wie der von vielen anderen Student:innen – Kira im Dirndl auf einem Volksfest, ein typischer Uni-Tag in Tübingen. In ihrer Instagram-Bio ist zu lesen: Feminismus, Trash-TV, Mental Health – aber auch katholische Theologie. Denn bei Kira geht es um den Glauben und darum, wie man ihn neu erzählen kann. 

von Runa Romatowski und Anouk Schaich

Kira sitzt im roten Strickpullover bei sich im Zimmer, eine goldene Kette mit kleinem Kreuz um den Hals und spricht direkt in die Kamera: „Eine Segnung ist das Mindeste, was wir Menschen, die sich lieben, die aufrichtig zusammenleben, die aufrichtig glauben und fruchtbar für die Gesellschaft und Kirche sein wollen, bieten müssen.“ Die Bildunterschrift lautet: Ein Rage-Special für alle Diskriminierten – dahinter eine Regenbogenflagge als Emoji.

Es ist ein Reel auf Instagram, eines von vielen, das Kira Beer mit ihren über 8.000 Follower:innen teilt. Die 25-Jährige studiert katholische Theologie in Tübingen und ist christliche Influencerin. Kiras Videos sind persönlich, verletzlich, direkt. Sie spricht über ihre Zweifel, über das Verhältnis von Macht und Glaube, über queere Theologie. Sie postet Fotos von sich auf Demonstrationen – ein Pappschild in der Hand, darauf zu lesen: „Katholisch und gegen den Marsch fürs Leben“. Ein Reel zeigt ihren Schreibtisch: Eine brennende Kerze, daneben ein aufgeschlagenes Buch und eine braune Bibel, darauf ein Sticker, schwarze Großbuchstaben auf weißem Hintergrund: „JEDE CHRIST:IN IST ANTIFASCHIST:IN.“ Kira positioniert sich online für Reformen in der katholischen Kirche: Sie fordert das Recht auf Priesterweihe für Frauen, die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare und eine generelle Öffnung der Kirche für marginalisierte Gruppen.

Dabei war sie nicht immer so Social-Media-affin: Lange empfand sie Plattformen wie Instagram eher als oberflächlich. Deshalb hat sie begonnen, selbst Inhalte zu erstellen und positioniert sich mittlerweile als eine progressive Stimme in der katholischen und digitalen Medienlandschaft. Für ihre Inhalte bekommt sie viel positives Feedback: „Viele sind positiv überrascht davon, dass ich als katholische Gläubige progressive Themen aufgreife und vertrete.“ Aber nicht alle sind begeistert. Besonders aus konservativ-gläubigen Kreisen erntet sie Kritik von Stimmen, die ihre Positionen nicht nachvollziehen können und sie als unvereinbar mit den Inhalten der Bibel begreifen.

Instagram: @kira_beer

Feminismus vs. Frömmigkeit

Kira teilt aber nicht nur ihren eigenen Glaubensweg, sondern übt auch selbst öffentlich Kritik. Auf Instagram übt sie namentlich Kritik an zwei der erfolgreichsten deutschen Christfluencer:innen: Jana Hochhalter (@highholder) und Jasmin Friesen (@liebezurbibel). Beide sind in ihren Zwanzigern, evangelikal geprägt und erreichen jeweils über 80.000 Follower:innen. Wirft man einen Blick auf die Posts von Hochhalter und Friesen, trifft man auf eine klar konservative Weltdeutung, verpackt in ästhetische Reels und persönliche Storys: Videos am Meer, das weiße Kleid weht im Wind, im Bild ist zu lesen: „Ein Mann, der dich näher zu Gott und nicht zur Sünde führt, ist das Warten immer wert“ oder „Jesus ist keine tote Religion, sondern ein lebendiger Gott“. In ihrem gemeinsamen Podcast besprechen Hochhalter und Friesen, warum Sex vor der Ehe eine Sünde ist oder warum eine klare Rollenverteilung zwischen Mann und Frau sinnvoll ist. Jasmin formuliert es so: „Du hast einen wichtigen Job als Frau, und das ist, dir den Mann zu suchen, der deiner Unterordnung würdig ist.“

Für Kira ist das problematisch. Sie kritisiert diese wörtliche Auslegung der Bibel, das konservative Frauenbild und sieht eine Gefahr darin, dass fundamentalistischer Glaube immer populärer wird. In ihrem Story-Format: „Kira in Rage“ verarbeitet sie diese Wut öffentlich. Dort teilt sie ihre Gedanken, manchmal fassungslos, manchmal traurig, oft sauer: „Die nehmen einfach die Bibel, holen da Sätze raus, die ihnen in den Kram passen und schreien dann in die Welt, dass es mega sündig ist, Sex vor der Ehe zu haben. Das macht mich wütend!“ Trotzdem möchte Kira nicht nur Gegenstimme sein. Sie betont: „Ich glaube, es ist nicht so richtig guter Content, wenn er immer nur aus ,Ich bin gegen die Anderen‘ besteht. Mir ist es in erster Linie wichtig, dass ich zeige, wie man es besser machen kann“, sagt sie.

Die Videos von Hochhalter und Friesen erreichen teilweise über 250.000 Aufrufe. Doch was macht ihre Inhalte so erfolgreich? Julia Müller, Kommunikationswissenschaftlerin an der Universität Zürich, forscht zu Digital Religions und hat dafür eine Erklärung: „Gerade freikirchliche Accounts posten nicht nur christliche Inhalte, sondern auch zu Alltag und Lifestyle, was schon sehr ansprechend sein kann für junge Leute.“ Müller beschäftigt sich mit spiritueller Religion und digitaler Mediennutzung, speziell auch christlichem Influencing. Gerade im Bezug auf die transportierten politischen und gesellschaftlichen Vorstellungen sieht Müller eine bedenkliche Entwicklung: „Das Problem ist, dass diese Influencer:innen sehr stark mit der Bibel argumentieren und es in der Bibel eben doch einige Stellen gibt, die passend auslegbar wären. Dadurch, dass sie als Expert:innen und als vertrauenswürdig angesehen werden, kann es tatsächlich dazu führen, dass Meinungen übernommen werden.“

Kira erzählt, dass sie sich manchmal mehr Follower:innen als Jana Hochhalter und Jasmin Friesen wünsche, nicht aus Eitelkeit, sondern einfach, damit sie eines Tages mehr Reichweite hat als Leute, die so etwas verbreiten würden. Ihrer Meinung nach liegt der Erfolg der Beiden auch in deren klarer Rhetorik: „Mein Eindruck ist, dass das Schema einfache Antworten auf komplexe Fragen besser ankommt und das haben oft konservative Leute, wohingegen ich leider nicht so einfache Antworten parat habe, weil die Dinge einfach komplexer sind.“

Instagram: @liebezurbibel und @highholder/ 27.05.24

Instagram: @kira_beer/ 19.01.25

Instagram: @liebezurbibel/ 21.06.25

 Seelsorge auf Social Media

Dabei versteht sie sich selbst nicht nur als Content-Creatorin, sondern auch als digitale Seelsorgerin. Sie bekommt viele Nachrichten von Menschen, die ihr ihre Geschichten oder Probleme erzählen – teils sehr persönlich. Manche erzählen ihr vom Hadern mit der katholischen Kirche oder dass sie sich ein Leben im kirchlichen Dienst wünschen, aber nicht trauen. Das macht sie traurig: „An einem Ort, an dem immer über Nächstenliebe geredet wird, können Menschen nicht sein, wie sie sind. Das kann nicht die Lösung sein.“ Sie sieht die Chance, Menschen, die in der Kirche Ausgrenzung erfahren, sichere Räume in den sozialen Medien zu bieten und ist überzeugt, dass man dadurch viel wiedergutmachen kann, was sonst in der Kirche schiefläuft. Dafür wünscht sie sich mehr Akzeptanz von der Kirche: „Ich wünsche mir, dass die Kirche akzeptiert, dass es auch ein Beruf ist, Seelsorgerin auf Social Media zu sein“, meint sie.

Längst findet sich die Kirche also nicht mehr nur sonntags um zehn in der Kirche statt – sondern auch im Feed. Kiras Content passt dabei nicht in die klassische Kommunikationsform der Kirche: Während lange klar gewesen sei, dass das Recht, im Namen des Glaubens zu sprechen, geweihten Männern mit theologischer Ausbildung, eingebettet in die kirchliche Hierarchie, vorbehalten war, seien christliche Influencer:innen jetzt ein Add-on zur klassischen Hierarchie-Verteilung, erklärt Julia Müller. „Früher hatten nur Priester wirklich einen Einfluss und eine Meinung, das ist jetzt durch die sozialen Medien eben anders“, sagt sie. Ob sich die traditionellen Strukturen der Kirche grundlegend verändern werden, bezweifelt sie: „Gerade die katholische Kirche hat schon sehr lange diese hierarchischen Strukturen und diese zu durchbrechen ist sehr schwierig.“

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Trotzdem bewegt sich, mit Blick auf die digitale Welt, in der katholischen Kirche einiges. Neben Einzelpersonen wie Kira sind inzwischen auch viele katholische Bistümer selbst auf Instagram aktiv. Das Bistum Osnabrück postet regelmäßig Reels, das Projekt youpax aus Paderborn richtet sich gezielt an junge Gläubige. Und gerade kirchliche Veranstaltungen werden häufig über Social Media angekündigt. Bereits 2021 lobte die deutsche Bischofskonferenz die Social-Media-Bemühungen der einzelnen Bistümer und stellte fest, dass besonders Corona einiges dazu beigetragen habe, die katholische Kirche digital präsenter zu machen. Die CONTOC-Studie, eine Analyse der Online-Kommunikation deutscher Kirchen zu Zeiten von Corona, zeigt: Die Nutzung von digitalen Medien, speziell Instagram, ist bei deutschen Kirchen im Zeitraum seit 2021 stark angestiegen. Julia Müller sieht trotzdem Nachholbedarf: „Gerade was die deutschsprachige katholische Kirche betrifft, gibt es noch mehr Möglichkeiten, von den sozialen Medien zu profitieren und die Social-Media-Arbeit der einzelnen Bistümer zu verbessern.“

Kira stört besonders, dass der katholische Content oft genau jene Klischees bedient, die ohnehin über Kirche existieren: „Ich sehe unfassbar viel Content, wo ich mir denke: Toll, jedes Klischee bestätigt. Da würde ich mir einfach noch mehr Gespür dafür wünschen, was eigentlich auf Social Media funktioniert.“ Trotz all der Kritik ist Kiras Beziehung zur katholischen Kirche tief in ihr verwurzelt: „Ich finde es nicht einfach, katholisch zu sein, und wir wissen alle, die katholische Kirche macht unfassbar viel Scheiß. Ich weiß zwar nicht, ob ich das ein Leben lang so packe mit meinem Gewissen, aber ich finde katholische Gottesdienste einfach unfassbar schön.“

Sie ist fest entschlossen, von innen heraus Veränderung zu bewirken und für ihre Werte zu kämpfen. „So viele Dinge, die ich heute schon als Frau in der katholischen Kirche machen kann, selbst wenn noch viel fehlt, kann ich nur machen, weil Leute vor mir dafür gekämpft haben“, sagt sie. Kira wünscht sich, dass alle irgendwann die Möglichkeit haben, mitzuerleben, wie kraftvoll und schön die katholischen Gottesdienste sein können – und dass eines Tages auch eine Frau vorne am Altar stehen und diesen Gottesdienst leiten darf.

Runa Romatowski & Anouk Schaich

 Durch unser Rechercheprojekt waren wir so oft in der Kirche wie noch nie zuvor. Zwischen Weihrauch, Zweifel und neuen Perspektiven haben wir junge Menschen getroffen, die der katholischen Kirche trotz allem verbunden bleiben.