Zwischen zwei Welten – Wie Grenzen trennen

Die Weltpolitik ist heute mehr denn je geprägt von Konflikten, in denen Grenzen eine zentrale Rolle spielen. Dabei werden oft die Auswirkungen auf Zivilisten verdrängt. Diese haben oft selbst nach einer gelungenen Flucht mit Schwierigkeiten zu kämpfen. So ging es auch der Ukrainerin Lisa Sarmina als sie mit 16 Jahren gezwungen war, ihre Heimat Kiew zu verlassen.

von Anna Hall und Mirco Schütz

Aus datenschutzrechtlichen Gründen benötigt YouTube Ihre Einwilligung um geladen zu werden.

Zwischen Flucht und Zukunft 

Wenn Lisa Sarmina von sich und ihren Erlebnissen erzählt, dann tut sie dies langsam. Oft wandert ihr Blick dabei prüfend zu ihrer Mutter Hanna, um sicherzugehen, dass das, was sie sagt, auch dem entspricht, was sie sagen wollte. Lisa heißt eigentlich Jelizavjeta, doch da die meisten Menschen in Deutschland Schwierigkeiten haben, ihren Namen auszusprechen und Lisa im Ukrainischen wie eine Kurzform für den Namen ist, nennt sie sich seit dreieinhalb Jahren so. Genauso lange ist es her, dass sie mit ihrer Mutter Hanna die Ukraine verlassen und nach Deutschland fliehen musste. Sechzehn Jahre alt war sie, als sie ihr Zuhause und alles Bekannte zurückließ, um in einem fremden Land Schutz zu suchen. Laut der International Organization for Migration hat die russische Invasion dort zu einer der größten Fluchtbewegungen seit dem Zweiten Weltkrieg geführt. Bis zum Ende des Jahres 2022 mussten 5,7 Millionen Ukrainer ihr Land verlassen, wodurch die Ukraine zum zweitgrößten Herkunftsland von Flüchtlingen weltweit wurde.


„Ich hatte Angst und wusste nicht, was auf uns zukommt. Nur, dass wir nicht bleiben können“, sagt die 19-jährige Lisa Sarmina über ihre Flucht aus der Ukraine. „Damals war alles sehr chaotisch und ungewiss, wir wussten nicht, wohin wir fliehen können. Es war dann sehr spontan, dass wir uns für den Weg nach Deutschland entschlossen haben.“, während sich ihr oft ein „Naja“ zwischen die Worte schleicht. Auch wenn sich ihre Deutschkenntnisse seit ihrer Ankunft deutlich gebessert haben, ist das Naja ein Überbleibsel aus ihrer Heimat, da es den ukrainischen Partikel „ну“ (nu) ersetzt, der sowohl in der ukrainischen als auch in der russischen Sprache als Füllwort verwendet wird und fast in jedem Satz auftaucht. Ihre Mutter Hanna ist der Grund dafür, dass es die beiden Frauen nach Deutschland verschlagen hat. Bereits 2016 hat sie an der Universität Passau als Gastdozentin gearbeitet und sich mit den Menschen angefreundet, die den beiden eine sichere Unterkunft auf der Flucht gewährt haben.

Lisa Sarmina und ihre Mutter Hanna Sarmina beim Spaziergang am Inn in Passau - Foto: Hall

Wenn Lisa Sarmina an das, was sie im Krieg erlebt hat, zurückdenkt, dann bricht ihre Stimme mitten im Satz, während sie die Worte „Es war sehr schlimm“ hervorpresst. Über ihre Gefühle und Erlebnisse möchte sie ungern sprechen, noch immer sind diese zu präsent für sie.
Während Hanna Sarmina im März 2022 schon so gut wie perfekte Deutschkenntnisse und einen bestehenden Bekanntenkreis in Passau vorweisen konnte, war die Integration für Lisa schwerer. „In dem ersten Jahr hier war es sehr schwer für mich“, sagt sie und wendet den Blick ab. „In der Ukraine hatte ich Freunde, doch als ich dann nach Deutschland fliehen musste, ist der Kontakt abgebrochen“, sagt sie und schluckt. In Deutschland fiel es ihr am Anfang schwer, neue Freunde zu finden. „Ich hatte Angst, mit den Menschen zu sprechen und zu kommunizieren. Insbesondere in der Schule war das am Anfang extrem schwer für mich“, erklärt sie mit leiser Stimme.
Die Situation wurde noch dadurch erschwert, dass sie ständig mit Fragen zu der Ukraine und dem Krieg konfrontiert wurde. „Es waren zu viele Fragen und die Gesamtsituation hat mir Angst gemacht“, erinnert sie sich zurück. Trotzdem hat sie die 10. Klasse an der Mittelschule St. Nikola abgeschlossen und einen Mittelschulabschluss erreicht.

Im zweiten und dritten Jahr in Passau hat sich die Situation dann gebessert: „Mir fällt es leichter zu kommunizieren und ich habe jetzt viele Freunde“, sagt sie und lächelt. Zwar hat sie keine Freunde, mit denen sie in ihrer Muttersprache sprechen kann, doch das macht ihr nichts aus. Auch auf der Arbeit im Passauer Erlebnisbad hat sie Freunde gefunden und fühlt sich wohl. Dinge, die ihr in der Ukraine Freude bereitet haben, wie regelmäßiges Schwimmtraining und Springreiten, hat sie wieder aufgenommen. Doch während sie in der Ukraine Leistungssport gemacht hat, ist es beides mittlerweile nur noch ein Sport. „Ich liebe Tiere und die Kommunikation zwischen Mensch und Tier beim Reiten“, betont sie.
Lisa möchte gerne in Deutschland bleiben. „Hier hat man bessere Zukunftschancen als in der Ukraine und ich finde es schön hier“, erklärt sie und ergänzt den für sie wichtigsten Grund: „Außerdem ist man hier in Sicherheit!“ Aktuell schreibt sie Bewerbungen und sucht einen Ausbildungsplatz. „Großartig wäre die Bundespolizei, da diese die besten Zukunftsaussichten bietet“, sagt sie und strahlt bei der Vorstellung. Dort möchte sie eine Ausbildung machen und hofft, in dem Eignungstest durch ihr sportliches Können zu glänzen.

Die junge Sportlerin ist nur eine von zwei Millionen Flüchtlingen aus der Ukraine, die laut der International Organization for Migration bis Ende 2022 in Deutschland aufgenommen wurden. Doch all die Menschen, die ihre Heimat verlassen müssen, verbindet eines: Sie werden durch Grenzen von Dingen, die ihnen vertraut sind, getrennt. Sei es durch Ländergrenzen, politische Grenzen oder die Grenzen, die durch eine unbekannte Umgebung entstehen. Die Ursachen für die Flucht variieren dabei zwischen Krieg und Gewalt, Verfolgung und Diskriminierung, zerstörte Lebensgrundlagen und Perspektivlosigkeit. Ein Trend, der sich hierbei weltweit beobachten lässt, ist eine strengere Überwachung und das Schließen von Ländergrenzen. Wie im EU-Raum, wo die Grenze zwischen Deutschland und Polen seit ein paar Wochen von beiden Seiten kontrolliert wird.
Fälle wie der von Lisa Sarmina und ihrer Mutter wird es geben, solange es Grenzen und Konflikte gibt, doch nicht jede Geschichte muss dabei ein schlechtes Ende finden. Für Lisa und Hanna Sarmina konnte Deutschland, durch die Hilfe, die sie am Anfang erhalten haben, mittlerweile zum Alltag werden.

Wie Grenzen von Menschen in Deutschland wahrgenommen werden, könnt ihr hier hören:

Anna Hall & Mirco Schütz

Durch unser Projekt zum Thema Grenzen hatten wir die Möglichkeit, zahlreiche spannende Perspektiven und persönliche Geschichten zu hören. Wir selbst kennen die Auswirkungen, die Grenzen auf Menschen haben, und es war uns ein Anliegen darauf aufmerksam zu machen.