Laut einer Studie der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention fühlt sich rund ein Viertel der Deutschen sehr einsam. Viele Menschen suchen deshalb nach einer Alternative zu professioneller Gesprächstherapie, um sich nicht so alleine zu fühlen.

Von Katharina Binder, Linda Fränken, Anna Mugler

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Ein flüchtiger Blick auf die Uhr. Fünf vor sieben. Das Eis ist aufgefüllt, der Boden frisch gefegt. Maurice Hensche macht sich bereit für seine Freitagsschicht in der Mischerei. Seit 2020 besitzt der 36-Jährige die kleine Bar in der Passauer Altstadt. Seine Qualitäten reichen deutlich über das übliche Ausschenken von Getränken hinaus. Als Barkeeper ist er ein wichtiger Ansprechpartner für seine Gäste.

„Ein bisschen Nähe, bitte!“

„Die Leute reden, was ihnen in den Sinn kommt. Manche sagen ‚Hallo‘, manche ‚Schönes Wetter heute!‘, manche ‚Kann ich die Karte haben?‘ und manche reden gar nicht mit dir.“, sagt Maurice scherzend. „Wenn sie ein paar Mal da waren, kriegt man immer mehr einzelne Bits aus ihrem Leben mit, die sie dir erzählen wollen.“

Das Mitteilungsbedürfnis ist hoch und gleichzeitig schambesetzt. Eine Studie der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention aus dem Jahr 2023 zeigt: „Jeder vierte Bundesbürger fühlt sich sehr einsam.“ Familie und Freunde können in dieser Notsituation Abhilfe schaffen. Doch was, wenn das nicht möglich ist?

Der Reiz am Gespräch mit Barkeepern

Die ersten Gäste treffen ein. Heute Abend sitzt Julian am Tresen. Der 26-jährige Student kennt Maurice schon lange und weiß die Gespräche mit ihm zu schätzen. „In meinem Alltag entsteht viel Stress durch teilweise belanglose Sachen. Der Barkeeper hat einfach immer ein offenes Ohr. Auch wenn es nur Smalltalk ist, ist es schön, bei einem netten Getränk jemanden zu haben, mit dem man reden kann.“ Besonders betont Julian das Einfühlungsvermögen von Barkeepern: „Sie sind mehr down to earth und haben einfach das grundsätzliche Empathieverständnis.“

Davon ist auch Tanja Obermüller überzeugt. Als Beraterin an der psychologisch-psychotherapeutischen Beratungsstelle der Universität Passau ist sie laufend im Gespräch mit Menschen, die sich einsam fühlen. Sie weiß, was so eine Art von Verbindung bewirken kann: „Barkeeper, Servicepersonal, Frisörinnen und Frisöre können eine informelle Form der psychotherapeutischen Unterstützung bieten, indem sie zuhören, eine freundliche Atmosphäre schaffen und Ratschläge geben.“ Dabei ginge es nicht immer nur um den Inhalt des Gesprächs, sondern auch darum, sich einer Person zu öffnen oder überhaupt mal wieder unter Menschen zu gehen: „Die Entwicklung von Eigeninitiative kann ein wichtiger erster Schritt sein, der oftmals auch mit einem Erfolgserlebnis einhergeht und das Vertrauen in die eigenen Kräfte stärkt.“

Ein echter Gesprächstherapeut?

Maurice ist skeptisch. Er sieht sich nicht als Gesprächstherapeut an. „Wenn keine Fragen gestellt werden, wie man Drinks oder Wein aussucht, werde ich nicht sonderlich hilfreich sein, aber manchmal reicht das.“ Ein besonders wichtiger Schritt sei seiner Meinung nach bei seinen Gästen die Selbstreflexion: „Ob ein Gespräch mit dem Barkeeper hilft, kommt auf dich drauf an. Wenn du mit ihm reden möchtest, redest du halt mit ihm. Dann hilft es meistens schon, wenn du dein Problem nochmal hörst und für dich wiederholst.“ Sich selbst lässt er in solchen Situationen außen vor. „Hinweise, Tipps und so weiter kann ich in den seltensten Fällen geben.“

Alle Gäste sind gegangen. In der Mischerei ist es dunkel. Nur die Straßenlaternen tauchen den Raum in ein schummriges Licht. Maurice wischt über den bronzefarbenen Tresen und gähnt. Die Schicht ist lang gewesen und auch das Reden kann müde machen. Ob Gesprächstherapeut oder nicht. Er bringt viele seiner Kunden zum Lächeln. Und wer weiß? So manchem rettet er vielleicht sogar den Abend.