Volksfeste, Geburtstagsfeiern: Orte, an denen Klinikclowns eher nicht zu finden sind. Sie besuchen stattdessen Seniorenheime oder Pflegezentren. Doch was macht ihre Arbeit aus und wie beeinflusst sie die Bewohner, aber auch die Clowns selbst?

Von Pia Stock

Foto: Renate Neckermann

Montagnachmittag, 14 Uhr: Strahlender Sonnenschein fällt auf den Vorplatz des Pflegezentrums „An der alten Waage“. Das Heim ragt imposant über den gepflasterten Halbkreis, in dessen Mitte ein gelbes Häuschen mit der rostigen Namensgeberin des Pflegezentrums prangt. Ein Grünstreifen mit einzelnen Bäumen umrahmt das Gebäude, während Polder den restlichen Platz umspannen. Munteres Vogelgezwitscher dringt aus dem Park gegenüber. Neben der „Alten Waage“ steht eine Frau mit roten Haaren, schwarzem Mantel und orangem Rucksack: Mira Neumeier.

Rollatoren reihen sich aneinander

Mira Neumeier ist Klinikclown. Schon seit 23 Jahren arbeitet die 55-Jährige mit dem „KlinikClowns Bayern e.V.“ zusammen und besucht regelmäßig Kinderkliniken, aber vor allem Senioren wie hier in Straubing. Seit Oktober 2012 spielt sie dort, immer als Teil eines Duos, seit 2016 mit ihrem Kollegen Max. Dieser begrüßt Mira mit einem fröhlichen Hallo, dann geht es weiter in den mit Holzelementen versehenen Eingangsbereich des Pflegezentrums. Dort reihen sich links hinter der Eingangstür Rollatoren aneinander, rechts ist die Rezeption, es riecht nach Desinfektionsmittel. Dazwischen befindet sich ein langer, verwinkelter Gang, der zu einem Besprechungsraum führt – dem heutigen Ankleidezimmer der Klinikclowns.

Foto: Luitpold Claasen

Nach dem obligatorischen Coronatest entleert Mira ihre geblümte Tasche und den Rucksack auf den Tisch des Konferenzraumes. Verschiedenste Utensilien breiten sich dort aus: Ihr neongrünes T-Shirt, das rot-gelb-blaue Flanellhemd, die gestreifte Hose mit grellpinken Trägern, grau-pinke Schuhe. Auch ein schwarzer Filzhut mit Papierzigarette als Dekoration findet seinen Platz. Die Stimmung ist gelöst, mehrmals stimmen beide „Always look on the bright side of life“ an – sie freuen sich auf den Einsatz. Noch die rote FFP2-Maske als Clownsnase aufsetzen, dann ist es soweit: Aus Mira Neumeier wird Klinikclown Rosi Sauerkräuter.

„Ich bin ja eigentlich kein Clown“

Drei- bis viermal die Woche ist sie so im Einsatz, den Rest der Zeit spielt sie Figuren- oder Clownstheater. Dabei war Klinikclown ursprünglich gar nicht der Plan: Mira ist gelernte Schauspielerin. Zwei Kollegen waren zur Überzeugung nötig, bis ihre Bewerbung beim damals noch jungen Verein einging. Es klappte, trotz anfänglicher Skepsis. „Erst dachte ich mir: ich bin ja eigentlich kein Clown, aber das machst du jetzt einfach mal. Dann fand ich‘s immer besser und immer toller. Aus ein bisschen nebenher mal, wurde dann viel mehr und alles andere lief nur noch nebenbei“, erzählt sie lachend.

Die Senioren der „Alten Waage“ profitieren heute von dieser Entscheidung: Mit großem Hallo stürmen Rosi und Siggi, Max‘ Clownsfigur, in den lichtdurchfluteten Tagesraum im obersten Stockwerk des Hauses. Die Bewohner sitzen an mehreren Tischen verteilt, ihre Gesichter hellen sich sofort auf – die Freude über den Besuch ist spürbar. Während Siggi sich mit einer Seniorin über ihren neuen Haarschnitt unterhält, holt Rosi ihr rotes Mini-Akkordeon aus ihrer Tasche. Zuerst stimmt sie ein bayerisches Volkslied an, danach singen Senioren und Clowns voller Elan „Alle Vögel sind schon da“. Das Lied kommt gut an, überall wippen Köpfe und Füße im Takt. Doch nun der Schock: Siggis Koffer ist verschwunden! Sofort macht sich Rosi mit auf die Suche und empfiehlt ihrem Partner – unter Gelächter der Bewohner – „es mal mit Plié zu probieren“, um unter dem Tisch nachzusehen.

Humor sieht Mira als die Essenz ihres Spiels, denn „er ist ein Wesenszug des Menschen, ein wichtiger Teilaspekt des Menschseins“. Manchmal müssten die Leute daran erinnert werden, dass sie noch Humorfähigkeit besäßen. Als Klinikclown sei sie nicht nur zur Erheiterung da, sondern auch dafür, andere den eigenen Humor wiederentdecken zu lassen. Einer der schönsten Momente sei dementsprechend, jemanden aus einem Stimmungstief zu holen „und derjenige lacht, ist leichter, freudiger. Wenn der Mensch vorher wahnsinnig fertig war und man beim Gehen sieht: er lächelt immer noch“. Das gebe den Betroffenen Kraft.

„Ich mach mir die Welt wie sie mir gefällt“

Plötzlich ertönt das Pippi Langstrumpf–Titellied aus einer Ecke des Tagesraumes: es ist das Telefon. Rosi und Siggi greifen die Melodie sofort auf und schmettern begeistert „Ich mach mir die Welt, widde-widde-wie sie mir gefällt!“. Der Abschied fällt allen schwer: Unter dramatischem Tuchwedeln verlassen Rosi und Siggi die erheiterten Senioren.

Foto: Claudia Sterr

Nicole Wiesmüller, Leiterin des Pflegezentrums, hat genau deshalb die Klinikclowns engagiert. Sie habe schon in einem anderen Heim die Beobachtung gemacht, dass die Clowns als „Brückenbauer“ fungieren. „Freude und Erleichterung für die Bewohner ins Haus bringen, aber auch für die Mitarbeiter“ sei ihre Intention gewesen. Mira und Max, lobt sie, hätten eine sehr gute Art, mit Bewohnern und Personal umzugehen – „von komplett flippig zu ganz ruhig, leise, die Situation bedächtig zu erspüren und den jeweiligen mitzunehmen und zu tragen“.

Leise verläuft auch der nächste Besuch bei einem – von seiner Coronaerkrankung noch geschwächtem – Herrn, ein paar Abzweigungen hinter dem Tagesraum. Seine Ehefrau sitzt neben ihm am Bett und hält seine Hand, als die Clowns in der Tür erscheinen. Anders als in der großen Gruppe stürmen Rosi und Siggi hier nicht ohne Vorankündigung herein, sondern fragen vorsichtig: „Dürfen wir reinkommen?“

Autonomie erlangen, indem die Senioren entscheiden, ob und wie sie die Clowns in ihren Alltag lassen – für Prof. Dr. Michael Bossle, Professor für Pflegepädagogik der TH Deggendorf, ein wertvoller Gewinn. Anders als das Personal erscheinen die Klinikclowns „zweckfrei“, was ein willkommener Stimulus für die Menschen sein könne, „weil diese in der Regel keine zweckfreien Begegnungen mehr erleben“. Mira sieht das ähnlich: „Wir haben das Privileg, dass wir von den Leuten nichts wollen. Wir schauen, was unser Gefühl ist, was gerade gefragt ist.“ Entsprechend empathisch sollten die Klinikclowns auch sein, um sich auf ihr Gegenüber einzulassen.

Schon die kleinste Reaktion ist schön

Foto: Renate Neckermann

Im Zimmer des Mannes kommt das zum Vorschein: Rosi erkundet sich nach seinem Befinden, spricht leise mit seiner Ehefrau. Die Stimmung ist ernster, die Entspannung aber spürbar. Durch die zugezogenen Vorhänge dringen ein paar Sonnenstrahlen, als Rosi ihr Akkordeon hervorholt, sie spielt „Alle Vögel sind schon da“ und „Tulpen aus Amsterdam“ – frühlingshafte Lieder. Sie scheinen den zuvor passiv in seinem Bett liegenden Herrn zu beleben, eine klitzekleine Reaktion, doch sie ist da. „Es muss nicht immer ein Lächeln sein, es reicht schon eine Emotion“, meint Mira. Gerade bei schweren Schicksalen sei psychische Stabilität als Klinikclown unabdingbar. Es sei wichtig, Ereignisse verarbeiten zu können und eine emotionale Distanz zu den Schicksalen der Senioren zu haben, „im Guten wie im Schlechten.“

Wieder heißt es Abschied nehmen: Rosi und Siggi schenken dem Ehepaar einen roten Herzluftballon, den sie an der Tür befestigen und verlassen das Zimmer. Beim nächsten Bewohner entscheiden sich Mira und Max dafür, heute nicht zu spielen, der Mann ist in schlechter Verfassung. Grenzen wie hier halten die Clowns ein, wenn sie den Bewohner durch ihren Besuch in eine unangenehme Situation bringen. Solche Erfahrungen, positiv und negativ, beeinflussen Mira auch persönlich. Klinikclown zu sein helfe ihr, „den Kritiker im Koffer zu lassen“, sich weniger zu fragen, ob sie in einer Situation richtig oder falsch gehandelt habe. Wichtiger sei, „dass der Moment stimmt“. Außerdem sei sie weicher geworden, sich „einzulassen und keinen Plan zu haben“ ihre Aufgabe halte sie im Hier und Jetzt, genauso wie ihr Publikum.

„Mache das so lange, wie ich kann“

Die Zeit rinnt dahin, Rosi und Siggi besuchen noch weitere Gruppenräume und Zimmer. In einem von ihnen singen sie „Die Bergvagabunden“, ein großer Hit, die Seniorinnen um sie herum tanzen. Auch ein grauhaariger Herr, der zuvor an seinem Tisch hinter der Tür ins Leere starrte, taut auf. Gegen Ende des Liedes
wirkt er wacher, summt sogar die letzte Strophe mit.

Diese Erinnerungsarbeit sei gerade bei dementen Menschen wichtig, meint Prof. Dr. Bossle: „Die Klinikclowns arbeiten nicht mit therapeutischem, sondern mit künstlerischem Zugang, mit Farben, Kostümen, Liedern.“ Ihr Spiel rufe bei den Senioren das Gefühl einer positiven Erinnerung hervor, was ein paar Minuten lang ein wichtiger Zugewinn an Lebensqualität sei.

Mittlerweile ist es 16:15 Uhr, das Labyrinth des Pflegezentrums führt Rosi und Siggi wieder an die Rezeption, ihren Ausgangspunkt. Sie wirken müde, beim Umziehen reden sie wenig – Rosi Sauerkräuter wird wieder zu Mira Neumeier. „Schön war‘s“, sind sie und Max sich bei der Verabschiedung einig. Wie Mira ihre Zukunft als Klinikclown sieht? Die Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen: „Wenn ich merke, dass ich mehr Energie mit heimnehme, als ich hinbringe, höre ich auf. Ansonsten mache ich das so lange, wie ich kann.“